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Ein Kämpfer der Libyschen Nationalarmee. Anfang 2019 schlug sich die Miliz der Kani-Brüder auf die Seite von Rebellengeneral Haftar.

© Esam Omran Al-Fetori/REUTERS

Milizchef Abdel Rahim al-Kani: Kämpfer in Libyen, Patient in Bonn

Ein berüchtigter Milizchef und mutmaßlicher Kriegsverbrecher reiste zur Behandlung nach Deutschland. Libyens Staatsanwaltschaft sucht ihn per Haftbefehl.

Im libyschen Bürgerkrieg gehören Abdel Rahim al-Kani und seine Brüder zu den berüchtigsten Milizenchefs. Ihre Gruppe, nach dem Familiennamen als „Kaniyat“ bezeichnet und auch als 7. Brigade bekannt, soll in ihrer Heimatstadt Tarhuna südöstlich der Hauptstadt Tripolis Massaker an Zivilisten verübt haben: In Tarhuna sind seit Juni Massengräber mit mehr als 230 Leichen entdeckt worden. Trotz der schweren Vorwürfe gegen ihn konnte sich Kani laut einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ jahrelang in Deutschland unbehelligt medizinisch behandeln lassen, zuletzt im Januar und Februar in Bonn.

Wie andere libysche Milizenchefs versorgten sich die Kanis im Chaos nach dem Sturz von Ex-Diktator Muammar Gaddafi im Jahr 2011 mit Waffen. Spätestens ab 2015 beherrschten sie die Kleinstadt Tarhuna mit mehreren Tausend Kämpfern und waren für ihre Brutalität bekannt. So hätten die Kanis mutmaßliche Verbrecher öffentlich hingerichtet, berichtete der Libyen-Experte Wolfram Lacher von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik.

Rivalen wurden rücksichtslos aus dem Weg geräumt. Die Kanis sollen ganze Familien getötet haben. Im August 2018 griff die 7. Brigade im nahen Tripolis an, das von anderen Milizen kontrolliert wurde. Die Kanis wollten sich einen Teil des Geldes sichern, das den anderen Gruppen zufloss, doch ihre Offensive scheiterte.

An der Seite von General Haftar

Im Krieg zwischen dem Rebellengeneral Chalifa Haftar und der international anerkannten libyschen Regierung in Tripolis legten sich die Kanis zunächst nicht fest. Erst Anfang 2019 schlugen sie sich auf die Seite von Haftar, der damals militärisch stärker zu sein schien als die Regierung.

Die Kani-Miliz wurde im Westen Libyens zum wichtigsten Verbündeten von Haftar bei seinem Versuch, Tripolis einzunehmen und die Macht in ganz Libyen an sich zu reißen. Tarhuna wurde zu einem Brückenkopf von Haftars Libyscher Nationalarmee (LNA) beim Großangriff auf die nur rund 60 Kilometer entfernte Hauptstadt, den Sitz der Regierung. Haftars Offensive begann im April 2019, blieb aber in den Vororten von Tripolis stecken.

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Die Türkei, die mit der libyschen Regierung verbündet ist, schickte ab Herbst vorigen Jahres Kampfdrohnen, Militärberater und syrische Kämpfer. Damit wendete sich das Blatt: Haftar und die Kanis gerieten in die Defensive. Zwei der Brüder – Abdel Adim sowie Mohsen, der Kommandeur der Miliz – wurden bei einem türkischen Drohnenangriff getötet. Abdel Rahim al-Kani und Clanchef Mohammed al-Kani seien daraufhin aus dem Ausland nach Libyen zurückgekehrt, um den Kampf der Miliz auf Haftars Seite fortzusetzen, schrieb der Libyen-Experte Jalel Harchaoui vom niederländischen Clingendael-Institut in einem Beitrag für die Internet-Plattform „War on the Rocks“. Kurz darauf wurde Abdel Rahmi al-Kani laut „Süddeutscher Zeitung“ im Dezember bei Kämpfen verletzt und reiste zur Behandlung nach Bonn. Möglicherweise kehrte er anschließend nach Libyen zurück.

Deutsches Visum unter falschem Namen

Im Juni fiel Tarhuna an die libyschen Regierungstruppen, und die Kanis mussten ihre Heimatstadt verlassen. Clan-Mitglieder und tausende Kämpfer flohen laut Harchaoui in das LNA-Gebiet im Osten des Landes. Ob auch Abdel Rahim al-Kani darunter war, ist unbekannt.

Unklar ist auch, wie er aus Libyen nach Deutschland und zurück reisen konnte. Der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge verlautete aus dem Auswärtigen Amt in Berlin, Kani habe vor drei Jahren unter einem anderen Namen ein deutsches Visum erhalten. In den Jahren darauf konnte er weiter nach Deutschland reisen, weil er eine Aufenthaltsgenehmigung bekam, um eine Krebserkrankung behandeln zu lassen.

Massengräber hinter Wohnhäusern

Vor ihrer Flucht aus Tarhuna sollen die Kaniyat-Truppen viele Gegner und deren Familien hingerichtet und verscharrt haben. Seit Juni wurden die Leichen der Opfer in Massengräbern hinter Wohnhäusern, in Brunnen und im städtischen Leichenschauhaus gefunden. Unter den Toten waren junge Kinder.

Wie viele Menschen insgesamt ums Leben kamen, ist nicht bekannt: Erst vor wenigen Tagen wurde ein weiteres Grab mit fünf Leichen in Tarhuna entdeckt. Die libysche Staatsanwaltschaft lässt Abdel Rahim al-Kani mit Haftbefehl suchen und hat den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingeschaltet. Die mutmaßlichen Gräueltaten der Kani-Brigade sind allerdings nicht das einzige Zeichen für die Brutalität des Konflikts in Tarhuna. Auch den siegreichen Regierungsverbänden wird vorgeworfen, in Tarhuna geplündert und gemordet zu haben.

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