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Schneller abschieben, weniger Leistungen, weniger Chancen - das Migrationspaket macht es Geduldeten schwerer, in Deutschland Fuß zu fassen.

© picture alliance / Sebastian Wil

Migrationspaket: Die Koalition hat nicht verstanden

Neue Gesetze sollen das Leben von Ausländern in Deutschland noch schwerer machen. Die Koalition feiert ihre Handlungsfähigkeit. Was für ein Irrtum. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Andrea Dernbach

Die Koalitionsfrauen und -männer ließen keinen Zweifel, als sie diese Woche stolz ihr dickes Paket neuer Migrationsgesetze vorstellten: Man wollte „Handlungsfähigkeit“ beweisen. „Hurra, wir leben noch!“, ruft die GroKo ins Land. Obwohl die SPD ihre Wählerschaft gegen Null bringt und ihre Führung sich gerade zerlegt: Wir können uns einigen und das auch noch rasch, und Ende der Woche sind sieben Gesetzesvorhaben auf einen Streich durchs Parlament. Hurra und Tusch.

Das breite Lächeln auf den Gesichtern der Innenpolitikerinnen von SPD und Union würde ihnen entgleiten, wenn sie auch nur ab und zu aus den jeweiligen Blasen herausfänden, der im Willy-Brandt- wie der im Adenauerhaus. Handlungsfähigkeit? Wer will denn diese Art des Handelns noch?

Die Koalition hat offenbar den Schuss nicht gehört

Keine zwei Wochen liegt die Europawahl zurück, deren Wahlergebnisse nicht nur der deutschen Grünen bewiesen, auf welchen Gebieten und in welche Richtung sich eine große Zahl von Menschen politisches Handeln wünscht. Auch wenn man skeptisch sein darf und soll, was Wählers aktuelle Lieblinge eines Tages davon umsetzen werden: Dem Grünen-Wahlvolk sind das Klima, saubere Luft, das Überleben des Planeten jedenfalls wichtiger als die unendliche Fortsetzung einer untauglichen Ausländer-Spezialgesetzgebung.

Und wer grün wählt, will offensichtlich auch nicht, dass die Republik weiter nach rechts rutscht.  Erst das christsoziale Desaster zur Landtagswahl in Bayern, jetzt der Absturz der Sozialdemokraten in Europa: Dass die Koalitionspartnerinnen auch diesen zweiten Schuss nicht gehört haben, zeugt von allerschwerster Schwerhörigkeit. Man könnte es auch Politikunfähigkeit nennen. Handlungsfähigkeit ist jedenfalls etwas anderes.

Menschen ohne deutschen Pass sollen es schwer haben

Das, was sie in dieser Woche ins Werk gesetzt haben, setzt vor allem die unselige Tradition fort, Menschen ohne deutschen Pass das Leben, das sie aus unterschiedlichsten Gründen hier verbringen wollen oder müssen, so schwer wie möglich zu machen. Statt ihre Anwesenheit in Deutschland, ob sie einem nun passt oder nicht, zum Nutzen des Gemeinwesens zu erleichtern, fließt alle politische Fantasie ins Erfinden untauglicher Mittel, sie loszuwerden. Horst Seehofers „Geordnete-Rückkehr-Gesetz“, das heißt: dreimal längere Massenunterbringung, eine Unmenge mehr Möglichkeiten, Menschen in Abschiebehaft zu halten und ihnen die Mittel zu eigenem Leben zu beschneiden. All das zur angeblichen „Durchsetzung des Rechts“.

Dabei verstößt allein die Absenkung der Asylbewerberleistungen für die neue Schicht noch miserabler lebender „Geduldeter“ klar gegen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts. Was Karlsruhe davon halten wird, dass die Polizei demnächst auch ohne viel Federlesens in die Wohnungen abgelehnter Asylsuchender eindringen darf, kann man sich denken.

Wie solche Gesetze auf die Stimmung wirken, zeigen Italien und Ungarn

Was dieses Trommelfeuer repressiver Ausländergesetzgebung in den Köpfen der Inländer anrichten kann, wissen wir auch: In Italien hat Minister Salvinis tägliche rassistische Regierungspropaganda den Alltag längst durchtränkt, in Ungarn hat Orbán sein Volk so auf seine menschenfeindliche Linie gebracht.

Die Erfolge, die die SPD im Tausch für dieses Desaster eingehandelt zu haben glaubt, sind mager genug – und auch ein Mehr hätte, nebenbei, den Verlust an innerem Frieden nicht aufgewogen. Sie hat nun ihr Fachkräfteeinwanderungsgesetz. Doch wer theoretisch kommen darf, steht praktisch weiter vor hohen Hürden. Auch dieses Gesetz ist getrieben von Angst vor den bösen Fremden.

In der Summe also bleibt Deutschland wieder einmal hinter seinen großen – wirtschaftlichen und kulturellen – Möglichkeiten zurück, selbstbewusst offen zu werden. Stattdessen setzt es den Diskurs von Angst und Spaltung fort. Von dieser Art Handlungsfähigkeit brauchen wir wirklich nicht noch mehr.

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