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Türken auf den Kurfürstendamm in Berlin nach Bekanntgabe der vorläufigen Ergebnisse des türkischen Verfassungsreferendums.

© Reuters

Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan: "Sarrazin und Erdogan arbeiten Hand in Hand"

Islamfeinde und Populisten befeuern das Wahlverhalten wie das der deutschen Türken für Erdogan, sagt Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan. Dabei seien viele Einwanderer im Alltag viel weniger konservativ.

Die Schlagzeilen lauten gerade: 63 Prozent der in Deutschland lebenden Türken haben für Erdogans autoritäre neue Türkei gestimmt. Was sagt das über die größte ethnische Einwanderergruppe in diesem Land aus?

Nicht viel. Die Stimmen für Erdogan kamen in Wirklichkeit von 13 Prozent aller hier lebenden Türkeistämmigen. Natürlich ist es nicht gut, dass Leute, die hier leben, für Einschränkungen der Freiheit anderswo sind. Aber aus dieser Zahl muss man kein Skandalon machen.

Weil das heißt: Die übrigen 87 Prozent waren gegen eine Ein-Mann-Herrschaft in der Türkei?

Auch das lässt sich nicht sagen. Fürs Nichtwählen gibt es immer vielfältige Gründe. Das kann Desinteresse ebenso sein wie aktiver Verzicht, der eine politische Aussage enthält. Es gibt ja auch viele ganz apolitische Menschen, nicht nur unter Türken. Die lassen sich aber nicht alle zum Gegenlager rechnen.

Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan.
Migrationsforscher Haci-Halil Uslucan.

© imago/Horst Galuschka

Wie aussagefähig ist also das hiesige Ergebnis des Referendums?

Es sagt schon etwas über die Struktur der Einwanderung nach Deutschland aus. Die ist eben stark konservativ. Schauen wir dagegen nach Schweden, sehen wir eine sehr politisierten

und säkular orientierte Einwandererbevölkerung, die zudem stark darauf orientiert ist, sich zu assimilieren. Ähnliches gilt für die Iraner in Europa, die ebenfalls aus einem durch und durch islamischen Land kommen, aber sehr westlich und säkular eingestellt sind. Auch die Größe einer Einwanderergruppe darf man nicht unterschätzen. Die Türken in Deutschland sind ethnisch die weitaus größte – die größere Gruppe der Spätaussiedler ist ja ethnisch sehr vielfältig, sie kamen aus vielen Staaten des früheren Ostblocks. Je größer eine Gruppe aber ist, desto schwieriger wird es mit der Assimilation und desto leichter wird der Erhalt der kulturellen Identität des Ursprungslands. Man heiratet dann auch weniger außerhalb der Gruppe.

Das heißt: Konservatismus über Generationen?

Auf der dogmatischen Ebene, also in dem, was einem wichtig ist, schon. Da ist die  Wertetransmission zwischen den Generationen stark, bei allen Einwanderergruppen. Bei Türkeistämmigen ist das oft der Bezug auf islamische Werte, auf Religiosität. In der eigenen Lebenspraxis eher nicht. Junge Türkeistämmige sagen auf Fragen gern: Ja, natürlich ist der Ramadan ist wichtig. Aber sie leben ihn eher nicht. Lebenspraktisch sind sie von anderen Altersgenossen kaum zu unterscheiden.

Und an der Wahlurne wird dann eher dogmatisch als lebenspraktisch entschieden?

Ein Stück weit drückt die Wahlentscheidung das aus, ja.

Wie passt das zum Verhalten in deutschen Wahlen? Eine Studie des Sachverständigenrats SVR, dessen stellvertretender Vorsitzender Sie sind, stellte vor einiger Zeit fest, dass die SPD mit 69,8 Prozent deren mit Abstand beliebteste Partei ist. Es folgen Grüne und Linke, die Union kommt nur auf 6,1 Prozent.

Da passiert, was auch für andere Wählergruppen gilt: Bei einem Großteil sind nicht Partei-Werte entscheidend, da  findet „issue voting“ statt, man wählt eine Partei eines Themas wegen, hier Minderheitenrechte, und  blendet das aus, womit man womöglich Probleme hätte, die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder Homosexuellenrechte.  Man ist also nicht in toto sozialdemokratisch, sondern wählt einen Punkt, der einem besonders wichtig ist. Zugleich tut die CDU ja auch alles, um Wähler aus Minderheiten abzuschrecken, wie etwa die Debatte über die doppelte Staatsbürgerschaft zeigt.

Die wird durch das deutsche Ergebnis der Volksabstimmung über die türkische Verfassung gerade neu befeuert.

Die Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft zu fordern nützt vielleicht, um dem Unmut ein Ventil  zu schaffen, aber sie löst nichts. Nehmen wir das wichtige Stichwort Loyalität. Lange Zeit war die Loyalität Türkeistämmiger zu Deutschland am höchsten. Ab 2010 lässt die Identifikation mit Deutschland messbar nach. Dafür gibt es viele Erklärungen, aber eine gibt es sicher: Damals begann die Sarrazindebatte mit ihrer starken negativen Konzentration auf Türken und auf Muslime. Über die Probleme von Aussiedlern wird seitdem gar nicht mehr gesprochen. Türken und Muslime, das sind aber genau die Gruppen, um die die AKP hierzulande wirbt und bei denen sie leicht das Gefühl verstärken kann, sie seien hier unerwünscht.

Sarrazin und die AKP also Hand in Hand?

Man muss es so sehen. Nehmen Sie die Niederlande: Dort hat das Auftrittsverbot für türkische Politiker den Rechtspopulisten genützt. Aber es hat natürlich den Opferdiskurs verstärkt, den Erdogan gebraucht, und so auch ihm genützt.

Wir Türkeistämmigen sind die Opfer – was ist da dran?

Es gibt objektiv Diskriminierung. Nehmen Sie die Studien zu Bewerbungschancen:  Eine fiktive Sandra Bauer hat größere Chancen als Meryem Öztürk und die wenigsten hat eine kopftuchtragende Meryem Öztürk. Die realen Ausschlüsse und die Tatsache, zu einer sichtbaren Minderheit zu gehören – Polen sind auch Ausländer, passen aber ins Raster des Europäers - führen dann häufig zu einer besonderen Sensibilität. Man nimmt Diskriminierung oft vorweg, noch bevor sie geschieht.  Oder wenn es sie im konkreten Fall gar nicht gibt.

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