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Für diesen Mann aus dem Libanon ist sein Auswanderungsversuch nach Australien gerade noch mal gut gegangen. Zwar ist sein Boot vor der Küste Indonesiens gesunken, doch er konnte gerettet werden und in seine Heimat zurückreisen. Migration hat immer mehrere Seiten.

© AFP

Migration: Vom Nutzen der Auswanderer

Wie Weltbank und UN versuchen aus der Migration eine Erfolgsgeschichte zu machen.

Zwei Tage lang haben die Vereinten Nationen (UN) während der diesjährigen Generalversammlung über Migration diskutiert. Am Anfang der Debatte stand die Nachricht von der jüngsten Flüchtlingstragödie im Mittelmeer. Nach UN-Angaben leben mehr als 215 Millionen Menschen außerhalb ihrer Geburtsländer, weitere 700 Millionen sind innerhalb ihrer Heimatländer der Arbeit hinterhergezogen. Es gibt einen klar berechenbaren Grund, warum neben den UN auch die Weltbank als größter Entwicklungsfinanzierer großes Interesse daran hat, Migration als Erfolgsgeschichte neu zu definieren und dem Phänomen seinen Schrecken zu nehmen: Es ist das Geld, das Auswanderer in ihre Heimatländer überweisen. Für 2013 erwartet die Weltbank eine Summe von 550 Milliarden US-Dollar, die in Auswandererländer zurücküberwiesen wird. In dieser Summe sind auch Rücküberweisungen in reiche Herkunftsländer eingerechnet. Werden nur die Überweisungen zu Familien in armen Ländern eingerechnet, kommt die Weltbank noch immer auf 414 Milliarden Dollar.

Mit diesem Geld lassen sich viele Nationalbudgets auffüllen. Deshalb hat die Weltbank vor ein paar Jahren begonnen, Statistiken über die Rücküberweisungen zu führen. Dort steht Indien seit Jahren an der Spitze, wenn es um die Gesamtsumme der Rücküberweisungen geht. China steht ebenso lange auf Platz zwei, und dann kommen schon die Philippinen, die ein regelrechtes Geschäftsmodell aus ihren Arbeitsauswanderinnen – im Fall des südostasiatischen Inselstaates sind es vor allem Frauen – gemacht haben. Philippinische Frauen arbeiten in Haushalten rund um die Welt. Zehntausende haben sich in Latein- und Südamerika verdingt oder in Spanien, wo die Sprachbarriere für sie besonders klein ist, auch auf den Philippinen wird Spanisch gesprochen. Die philippinischen Frauen kommen aber auf dem gesamten Globus herum, viele von ihnen arbeiten als Hausmädchen in den Golfstaaten – und erleben Grauenhaftes. Seit einigen Jahren haben philippinische Botschaften in Saudi-Arabien und anderen Zielländern begonnen, Frauen, die Opfer von Misshandlungen oder sexuellem Missbrauch wurden, zumindest bei ihrer Heimreise zu unterstützten.

William Lacy Swing, Generaldirektor der Internationalen Organisation für Migration (IMO), schrieb im Vorfeld des UN-Gipfels in New York: „Tatsache ist, dass Auswanderer es viel zu oft trotz der politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in ihren Aufnahmeländern noch schaffen, das Leben ihrer Angehörigen zu Hause zu verbessern.“ Die Qualifikationen von Migranten werden häufig nicht anerkannt, sie müssen oft weit unter ihren Fähigkeiten arbeiten. Viele mussten im schlimmsten Fall Schleuser bezahlen. Aber auch wer einen legalen Weg gefunden hat, musste sich oft genug verschulden, um an seinen neuen Arbeitsplatz zu kommen: Bezahlt werden mussten die Arbeitsvermittler, die Visa und die Anreise. Migranten, die sich verschulden, um arbeiten zu können, haben kaum die Möglichkeit, sich gegen Missbrauch, schlechte oder gar keine Bezahlung zu wehren. Durch ihre Schulden können sie in Abhängigkeit gehalten werden. Viele haben auch überhaupt keine Vorstellung davon, wie teuer der Alltag in ihren Aufnahmeländern werden kann. Zahra Babar von der Außenstelle der Georgetown Universität in Katar stellte bei einer Migrationstagung in Abu Dhabi im Mai eine Umfrage unter Einwanderern vor. Diese hatten demnach übereinstimmend damit gerechnet, viel mehr Geld sparen und an ihre Familien schicken zu können.

Doch trotz aller Widrigkeiten für die Migranten selbst, trotz ihrer Verletzlichkeit gegenüber Ausbeutern und Kriminellen sind sie für ihre Heimatländer häufig einer der wichtigsten Wirtschaftsfaktoren. Die Weltbank berichtet in ihrem jüngsten Rücküberweisungsreport, dass die Rücküberweisungen der Auswanderer in Tadschikistan knapp die Hälfte der Wirtschaftsleistung ausmachen, nämlich 48 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Im westafrikanischen Liberia sind es immer noch 31 Prozent, in Moldawien 23 Prozent.

Über den wirtschaftlichen Nutzen, den Auswanderer nicht nur ihren Heimatländern bringen, sondern auch ihren Empfängerländern, versucht UN-Generalsekretär Ban Ki Moon, die Migration zu einem international verhandelbaren Thema zu machen. In New York forderte Ban, die Menschenrechte der Migranten zu wahren. Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) hat beispielsweise Leitlinien zur Wahrung der Rechte von Einwanderern und eine Konvention zum Schutz von Hausmädchen erarbeitet, die bisher allerdings kaum ein Aufnahmeland ratifiziert hat. Ban fordert zudem, die Kosten der Auswanderung zu senken. Das bezieht sich sowohl auf die noch immer extrem hohen Gebühren für das Verschicken von Geld als auch auf Visagebühren oder Vermittlungsgebühren.

All das würde allerdings voraussetzen, dass sich die reichen Staaten künftig weniger abschotten und stattdessen legale Zugangsmöglichkeiten schaffen. Angesichts des europäischen Umgangs mit dem Thema Einwanderung, der Abschottungsstrategie vieler US-Staaten und der jüngsten Abschiebeabkommen Australiens scheint das jedoch eher unwahrscheinlich.

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