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Afrikanische Migranten an der EU-Außengrenze in Ceuta, Spanien.

© dpa

Migration übers Mittelmeer: Was sich in der Afrikapolitik der EU ändern muss

Afrika ist nur auf der europäischen Agenda, wenn es um die Eindämmung der Migration aus dem Süden geht. Dabei steckt viel mehr in dem Kontinent.

Es sind schockierenden Bilder: erschöpfte Männer am Strand, verängstigte Frauen auf Rettungsbooten, tote Kinder im Wasser. Mit den vielen Menschen, die von Tunesien oder Libyen nach Europa fliehen, ist das Thema Afrika endgültig in der europäischen Politik angekommen. Dabei dreht sich alles um die Frage: Wie lässt sich die Migration aus dem Süden stoppen? Ein Vorschlag ist, Probleme wie Hunger und Armut in Afrika zu lösen. Doch die EU-Staaten tun sich schwer damit. In der Afrikapolitik verfolgen sie keine gemeinsame Linie. Zugleich drängen China und Russland mit handfesten wirtschaftlichen Interessen auf den Kontinent – und drohen die EU dort abzuhängen. Eine Übersicht.

Was fehlt in der europäischen Afrikapolitik?

Die europäische Sicht auf ihre Länder sei viel zu einseitig, kritisieren zahlreiche afrikanische Politiker. In der Tat erscheint Afrika nur auf der europäischen Agenda, wenn es um Probleme geht. So konzentriert man sich in der europäischen Afrikapolitik auf Sicherheits- und Entwicklungsfragen sowie aktuell auf Flucht und Migration. An einem kulturellen Austausch mit Afrika hat die EU hingegen wenig Interesse. Die Afrikaner aber haben genug vom „Helfersyndrom“ der Europäer genauso wie von deren Belehrungen in Sachen Wachstum und Rechtsstaatlichkeit.

Afrikanische Regierungen treten zunehmend selbstbewusst auf. Das zeigt sich etwa in Äthiopien und Simbabwe. In beiden Ländern hat die Bevölkerung kürzlich Diktatoren aus dem Amt gejagt. In Simbabwe finden nun die ersten freien Wahlen seit 1980 statt. Der neue äthiopische Premier Abiy Ahmed Ali hat ganz ohne Hilfe von außen einen Friedensprozess mit dem ehemaligen Erzfeind Eritrea angestoßen. Ganz Ostafrika setzt seine Hoffnung auf ihn. An der Spitze Südafrikas wiederum steht seit Kurzem der Self-Made-Millionär Cyril Ramaphosa, auch er ist für viele ein Hoffnungsträger.

Auf all diese Entwicklungen hat Europa bislang jedoch keine Antwort gefunden. Zu verfangen scheinen die Europäer in ihrer undifferenzierten Sicht auf Afrika als „Krisenkontinent“. Um sich davon zu lösen, müssten sie sich zunächst ihrer Kolonialvergangenheit stellen, was auch eine Entschuldigung für historische Verbrechen einschließen würde.

Es wäre ein erster Schritt weg vom kolonialen Blick auf Afrika, hin zu einem neuen, respektvollen Umgang mit den Afrikanern. Dazu gehört auch der Dialog mit der afrikanischen Diaspora in Europa, die heute für die Wirtschaft in Afrika eine wichtige Rolle spielt. So werden die Überweisungen afrikanischer Migranten aus aller Welt immer bedeutender für die Entwicklung in ihren Herkunftsländern. Mehrere Milliarden Euro fließen so jährlich aus den europäischen Staaten in den Süden – mehr als die staatliche Entwicklungshilfe. So gesehen ist die Migration nach Europa nicht Teil des Problems – sondern kann vielmehr zur Lösung der Probleme in Afrika beitragen.

Wer ist in der EU für Afrika zuständig?

Eine zentrale Stelle, die in Brüssel die Afrikapolitik koordiniert, gibt es nicht. Viele Fragen werden vom „Europäischen Auswärtigen Dienst“ behandelt, so etwas wie dem Außenministerium der EU. Dort werden militärische Missionen geplant – etwa der Anti-Piraten-Einsatz vor der Küste Somalias – sowie handels- und entwicklungspolitische Entscheidungen getroffen. Auch die Ausschüsse im EU-Parlament sowie einzelne Kommissionsmitglieder befassen sich ab und an mit afrikanischen Themen. Zugleich verfolgen einzelne EU-Staaten ihre eigene Politik. Frankreich engagiert sich militärisch und politisch in seinen einstigen Kolonien. Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit konzentriert sich auf „Reformpartnerländer“ wie Ghana und Ägypten. Die osteuropäischen Staaten haben mit Afrika hingegen traditionell wenig zu tun.

Wie läuft die Zusammenarbeit zwischen der EU und Afrika?

Die Beziehungen zwischen Europa und Afrika sind geprägt von unzähligen Abkommen, Aktionsplänen, Strategiepapieren, Absichtserklärungen und Sonderinitiativen. Die meisten haben das erklärte Ziel, Afrika wirtschaftlich voranzubringen. Alle drei Jahre treffen sich Vertreter von EU und Afrikanischer Union beim „EU-Afrika-Gipfel“. Nach dem jüngsten Zusammenkommen im November 2017 bilanzierte Donald Tusk, Präsident des Europäischen Rats: „Dieses Gipfeltreffen hat gezeigt, dass wir entschlossen sind, unsere Partnerschaft noch weiter zu stärken.“

Solche Erklärungen sind typisch für die Afrikapolitik der EU. Regelmäßig betonen alle den Willen zur Zusammenarbeit. Allerdings gehen die Interessen oft auseinander: So wollen die Europäer, dass die Staaten in der Sahara ihre Grenzen für Migranten schließen. Viele afrikanische Regierungen haben dafür wenig Verständnis. Sich widersetzen können sie aber kaum, zu abhängig sind viele immer noch von Europa: Allein zwischen 2021 und 2027 plant die EU-Kommission, rund 32 Milliarden Euro an Hilfsgeldern in Sub-Sahara-Afrika zu verteilen. Trotz solcher Summen zeigen die europäischen Versuche in der Armutsbekämpfung allerdings bislang nur begrenzt Wirkung.

Braucht es eine neue Afrikapolitik?

Entwicklungsminister Gerd Müller (CSU) will die europäische Afrikapolitik in Brüssel bündeln und einen ständigen „EU-Afrika-Rat“ gründen. „Wir brauchen einen EU-Afrikakommissar, bei dem alle Fäden einer in sich stimmigen Afrikapolitik zusammenlaufen“, fordert er. Ob so ein Kommissar die 55 afrikanischen Staatenn mit ihren insgesamt rund 2000 Sprachen und 1,3 Milliarden Menschen alleine abdecken kann, ist zu bezweifeln. Dass es einen Neustart der Beziehungen zwischen der EU und den Staaten Afrikas braucht, darüber herrscht bei Experten allerdings Einigkeit. Eine Chance bieten die anstehenden Neuverhandlungen des alten „Cotonou-Abkommens“. Ende 2020 läuft der Freihandelsvertrag zwischen der EU und Afrika aus. Sollte es Europa bis dahin nicht schaffen, faire Bedingungen für Handel und Wirtschaft anzubieten, werden sich die afrikanischen Länder wohl schnell andere Partner suchen.

Wer spielt noch mit in Afrika?

Konkurrenz macht den Europäern vor allem China. Seit 2009 ist es der wichtigste Einzelstaat in den Handelsbeziehungen mit Afrika. Zwar betreibt China nur halb so viele Geschäfte mit Afrika wie die EU. Trotzdem ist das Land der größte Investor auf dem Kontinent – und damit der stärkste Jobmotor. Fast 36 Milliarden US-Dollar haben chinesische Firmen 2016 in Afrika investiert, heißt es in einer Studie der Unternehmensberatung „Ernst & Young“. Das habe in einem Jahr fast 40.000 Jobs geschaffen. Die Beratungsfirma McKinsey schätzt die Zahl chinesischer Firmen in Afrika auf rund 10.000.

Viele befürchten hinter der chinesischen Expansion einen neuen Kolonialismus, der nur auf die Ausbeutung von Rohstoffen sowie billige Arbeit setzt – und mit Krediten Afrika in eine neue Schuldenfalle treiben könnte. Allerdings sind die Chinesen in Afrika heute gern gesehene Geschäftspartner. Sie stellen keine Forderungen wie die Europäer, die ihre Zusammenarbeit meist an politische Forderungen wie höhere Umweltstandards knüpfen.

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Auch die Migrationsfrage geht China anders an: Während Europa mit allen Mitteln Menschen aus Nigeria oder Mali an der Reise nach Norden hindern will, vergibt Peking zehntausende Visa an afrikanische Studenten und Kleinbauern. Wie China baut auch Russland sein Engagement in Afrika aus – zum Beispiel im Handel mit den einstigen Verbündeten der Sowjetunion, etwa Angola und Mosambik. Um 185 Prozent haben Handel und Investitionen aus Russland in Afrika zwischen 2005 und 2015 zugenommen, zeigt die UN-Statistik „Comtrade“. Moskau verfolgt damit auch geostrategische Interessen. Immerhin stellen die Afrikaner 25 Prozent der UN-Vollversammlung und zwei der ständig wechselnden Sitze im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen.

So erklärt sich vielleicht auch die diplomatische Offensive, die die Türkei vor einigen Jahren in Afrika gestartet hat. Hatte Ankara 2003 nur zwölf Botschaften auf dem Kontinent, sind es jetzt mehr als 40. „Turkish Airlines“ fliegt heute mehr als 50 afrikanische Städte an, von Freetown in Sierra Leone bis nach Mogadishu in Somalia. Saudia-Arabien ist vor allem in Ostafrika aktiv und baut dort Moscheen und Schulen.

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