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Migration

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Migration: Neun Weise für Einwanderung

Acht Deutsche Stiftungen wollen In Zukunft einen "Sachverständigenrat für Integration und Migration“ bilden. Das neue Gremium versteht sich nicht nur als Politikberatungsagentur arbeiten, sondern will auch für das Volk arbeiten.

Berlin - Die deutsche Einwanderungs- und Integrationspolitik hat gute Chancen, bald strenger Prüfung ausgesetzt zu sein: Acht deutsche Stiftungen, darunter mehrere große, haben einen „Sachverständigenrat für Integration und Migration“ berufen und wollen in das Projekt in den nächsten drei Jahren 1,7 Millionen Euro investieren. Der Rat unter Vorsitz des Doyens der deutschen Migrationsforschung, des Historikers Klaus J. Bade, ist ausschließlich mit Wissenschaftlern besetzt und soll nicht nur unabhängig von politisch-institutionellen Vorgaben arbeiten, auch die beteiligten Stiftungen haben ihm volle Unabhängigkeit zugesagt. Der Kuratoriumsvorsitzende des Sachverständigenrats, Johannes Raus früherer Staatskanzleichef Rüdiger Frohn, formulierte es drastisch: Man vermeide so, dass das „mittlere Management der Ministerien“ wissenschaftliche Expertise per Geldvergabe „reguliert oder erdrosselt“ oder die Politik „der Öffentlichkeit Gutachten entzieht, die nicht das gewünschte Ergebnis gebracht haben“.

Dabei dürften die Anklänge an den Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, der – bekannter als die „fünf Weisen“ – seit 45 Jahren die Regierung in der Wirtschaftspolitik berät, nicht rein zufällig sein: Wie die Wirtschafts- werden auch die Migrationsweisen einen Jahresbericht zur Lage des Einwanderungslands Deutschland verfassen – der erste ist im Frühjahr 2010 geplant – und sich im Bedarfsfall zusätzlich zu aktuellen Fragen äußern. Anders als die Kollegin und die Kollegen der Wirtschaftswissenschaft ist der Rat der neun Migrationsexperten nicht per Gesetz eingerichtet. Doch Bedeutung für die Politikberatung könnte er als das „Kompetenzzentrum“ bekommen, das er nach den Worten des Generalsekretärs der Volkswagenstiftung Wilhelm Krull schrittweise werden soll. Die Sachverständigen wollen unter anderem Material sammeln, das derzeit noch nicht verfügbar ist. Bade kündigte an, er und seine Kolleginnen und Kollegen würden sich nicht auf offizielle Statistiken verlassen, die in puncto Migranten noch zu dünn seien, sondern eigene Befragungen in Auftrag geben.Was der Staat tue, sei richtig und wichtig, aber zu wenig. Die von der Integrationsbeauftragten Böhmer geplanten Untersuchungen mit Hilfe von Integrationsindikatoren etwa krankten am Mangel an brauchbaren Daten.

Bade und seine acht Kollegen – darunter die Bremer Bildungsforscherin und Turkologin Yasemin Karakasoglu, der Autor des österreichischen Integrationsberichts Heinz Faßmann, die Göttinger Professorin für öffentliches Recht Christine Langenfeld und Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger Weltwirtschaftsinstituts – wollen auch inhaltlich neue Wege gehen: „Wir fragen nach beiden Seiten der Einwanderungsgesellschaft, nach den Migranten und der Mehrheitsgesellschaft“, sagte Bade. Der Sachverständigenrat folge auch einem anderen Begriff von Integration: „Integration verstehen wir als Partizipation.“ Man könne der dritten Einwanderergeneration nicht mehr sagen: „Integriert euch mal“. Die werde dann nach ihrer Teilhabe an der Gesellschaft fragen. Die frühere Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, die den von der rot-grünen Bundesregierung berufenen und 2004 aufgelösten Zuwanderungsrat leitete, sagte, sie glaube nicht, dass der Begriff „Integration“ noch lange die Debatte prägen werde.

Der neue Rat will folgerichtig nicht nur als Politikberatungsagentur arbeiten, sondern auch fürs Volk: Zweiter Adressat seiner Arbeit werde die Bürgergesellschaft sein, sagte Bade, „damit wir wegkommen vom typisch deutschen negativen Begriff von Zuwanderung“. Ohnehin sei Deutschland mit immer mehr Auswanderern „auf der Kippe vom Zuwanderungs- zum Abwanderungsland“. Auch auf diesem Feld werde man ackern: „Für uns ist Migration nicht nur Zuwanderung, sondern auch Abwanderung.“

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