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Ein letztes Mal in Chequers. Kanzlerin Angela Merkel und Premier Johnson bei ihrer Pressekonferenz am Freitag.

© Jonathan Buckmaster/dpa

Merkel zu EM-Spielen in London mit Fans: „Ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist"

Auch beim wohl letzten Besuch in Großbritannien spart Kanzlerin Merkel nicht mit Kritik. Die hohen Zuschauerzahlen in London bei der EM beunruhigen sie.

An freundschaftlichen Gesten hat es nicht gefehlt beim voraussichtlich letzten Besuch von Angela Merkel (CDU) als Bundeskanzlerin in Großbritannien. Die Kanzlerin nahm – wenn auch virtuell – an einem Treffen des britischen Kabinetts teil. Eine solche Ehre war zuletzt dem damaligen US-Präsidenten Bill Clinton 1997 bei einem Besuch in London zuteil geworden.

Für Merkel kam zudem am Freitag noch als krönender Abschluss ihres Kurzbesuchs auf der Insel eine Privataudienz bei der Queen auf Schloss Windsor hinzu.

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Beim physischen Vier-Augen-Gespräch mit Boris Johnson auf dem Landsitz der Regierung in Chequers bei London ging es allerdings um ein Thema, bei dem Merkel und der britische Premier denkbar unterschiedliche Auffassungen haben: die Verbreitung der Delta-Variante des Coronavirus. Johnson hat sich mit der Uefa darauf geeinigt, dass die beiden Halbfinals und das Endspiel der Fußball-Europameisterschaft mit jeweils mehr als 60.000 Zuschauern in London abgehalten werden können.

Johnson beruft sich auf „Mauer der Immunität“

Bei der gemeinsamen Pressekonferenz bekräftigte  Merkel, dass sie derartige Zuschauerzahlen kritisch  sieht: „Ich bin sorgenvoll und skeptisch, ob das gut ist und nicht ein bisschen viel.“ Johnson hingegen stellte sich auf den Standpunkt, dass aufgrund der hohen Impfrate in Großbritannien eine „Mauer der Immunität“ aufgebaut worden sei. Mit den Impfungen sei es gelungen, die Verbindung zwischen Infektionen und schweren Krankheitsverläufen zu brechen, erklärte er.

Der britische Premier, in dessen Land die Delta-Variante schon sehr viel früher als in Deutschland zu grassieren begann, plant ab dem 19. Juli  das Ende der meisten noch bestehenden Anti-Corona-Maßnahmen. Er wünsche sich einen Zustand, der den Vor-Corona-Verhältnissen „so nahe wie möglich“ komme, hatte der Premierminister gesagt.

Regierung in London will fast alle Corona-Beschränkungen fallen lassen

Die Regierung in London will sich über Details der kommenden weiteren Lockerungen voraussichtlich in der kommenden Woche äußern. Johnson steht unter dem Druck der Basis der konservativen Tory-Partei, demnächst sämtliche Corona-Beschränkungen fallen zu lassen. Dennoch lässt sich aber nicht ausschließen, dass auch über den Sommer Maßnahmen wie die Maskenpflicht an dicht bevölkerten öffentlichen Plätzen in Kraft bleiben.

Zudem hatte die Regierung in London angekündigt, im Sommer die Quarantänepflicht für zweifach geimpfte Briten aufzuheben, die aus Reiseländern mit einer mittleren Gefährdungseinstufung zurückkehren. Zu diesen Ländern gehören derzeit die meisten EU-Staaten – inklusive Deutschland und Frankreich. Politiker wie der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach hatten davor gewarnt, dass die Verbreitung der Delta-Variante in der EU durch britische Touristen noch zusätzlich befördert werden könnte.

Beim letzten EU-Gipfel hatte sich Merkel Ende Juni vergeblich darum bemüht, dass alle EU-Länder ähnlich strikte Reiseregeln für Einreisende aus Großbritannien einführen, wie sie in Deutschland bereits seit Mai gelten. Weil die Bundesregierung Großbritannien als Virusvariantengebiet eingestuft hat, dürfen Touristen von der Insel hierzulande derzeit nicht einreisen.

Merkel geht von Reiseerleichterungen für doppelt Geimpfte aus

Zuletzt hatte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) allerdings erklärt, dass die Beschränkungen für Einreisen aus den Virusvariantengebieten Großbritannien und Portugal noch im Juli zurückgenommen werden könnten. Merkel erklärte nun in Chequers, sie gehe davon aus, dass es „in absehbarer Zeit“ zu Reiseerleichterungen für zweifach Geimpfte komme.

Jenseits ihrer Meinungsverschiedenheiten bei der Pandemiebekämpfung sind sich Merkel und Johnson grundsätzlich darin einig, dass die gegenwärtigen Probleme rund um den Brexit möglichst pragmatisch gelöst werden müssen. Großbritannien ist zwar schon vor eineinhalb Jahren aus der EU ausgeschieden.

Die wirtschaftlichen Folgen des Brexit werden erst seit Beginn des Jahres sichtbar.
Die wirtschaftlichen Folgen des Brexit werden erst seit Beginn des Jahres sichtbar.

© Yui Mok/dpa

Die Probleme werden aber erst seit Anfang dieses Jahres sichtbar – vor allem beim Export britischer Waren nach Nordirland, das weiterhin zum EU-Binnenmarkt gehört. In britischen Medien war bereits von einem „Wurstkrieg“ die Rede, weil für die Ausfuhr von britischen Fleischwaren nach Nordirland die EU-Regeln gelten.

Der Konflikt ist zwar nicht aufgehoben, aber aufgeschoben: Die EU hat die Übergangsfrist für den ungehinderten Export von Fleisch- und Wurstwaren nach Nordirland bis Ende September verlängert.

Johnson griff indes am Freitag zu einem gewagten Vergleich, um zu verdeutlichen, warum er die von der EU verlangten Zollkontrollen an der Irischen See zwischen Großbritannien und Nordirland ablehnt: „Stellen Sie sich vor, Bratwurst dürfte aufgrund einer internationalen Rechtsprechung nicht mehr von Dortmund nach Düsseldorf geliefert  werden.“

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