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Merkel warnt vor Regierung mit Unterstützung der Linken: „Es ist nicht egal, wer in Deutschland regiert"

Sie wollte sich aus dem Wahlkampf heraushalten, doch die Lage lässt keine Prinzipien mehr zu. Im Bundestag wirbt die Kanzlerin für Armin Laschet – und erntet Empörung.

Von Robert Birnbaum

Angela Merkel schaut indigniert, ihr Blick sagt: „Meine Güte, was für eine Aufregung!“ Dabei weiß sie natürlich genau, wieso auf der linken Seite des Bundestages, da wo SPD und Linke sitzen, auf einmal helle Empörung herrscht. „Schämen Sie sich!“ brüllt sogar irgend jemand in den Saal. Das ist nun wirklich maßlos übertrieben.

In den letzten 16 Jahren haben sich offenbar alle derart daran gewöhnt, dass die Kanzlerin am Rednerpult im Reichstag als eine Art überparteiliches Wesen auftritt, dass das Gegenteil zu einem kurzen Schockmoment führt. Dabei hat die CDU-Politikerin Merkel wirklich weiter nichts getan, als für den CDU-Kandidaten Armin Laschet zu werben.

Logisch ist das, eigentlich. Der 19. Bundestag kommt am Dienstagfrüh zu seiner letzten ordentlichen Sitzung zusammen, laufende Nummer 239. Tagesordnungspunkt 1 trägt die Überschrift: „Zur Situation in Deutschland.“ Die Situation ist bekanntlich die, dass in knapp drei Wochen gewählt wird. Im Klartext heißt das also: Wir verlegen heute mal drei Stunden lang den Wahlkampf in den Plenarsaal.

Merkel sitzt auf ihrem Kanzlerinnenstuhl, Olaf Scholz auf dem Vizekanzlerplatz. Merkel winkt ihm aus der Ferne kurz zu, er winkt kurz zurück. Die Fotografen, die auf ein historisches Bild lauern, das die zwei zusammen zeigt, gehen heute leer aus. Denn auf der anderen Seite, auf der Bundesratsbank, blättert der nordrhein-westfälische Ministerpräsident in seinem Redemanuskript. Der Kanzlerkandidat hat hier Rederecht als Landeschef.

Na dann – Vorhang auf für den Wahlkampf!

Der Wahlkampf muss allerdings erst noch etwas warten. Die Grünen wollen der Bundesregierung ein Löschverbot für Dokumente, Mails oder Handy-Daten über den Afghanistan-Einsatz aufzwingen. Ein FDP-Antrag fordert einen EU-Sondergipfel zu Afghanistan. Union und SPD wollen von beidem nichts wissen. „Hanebüchen“ nennt das der Linken-Abgeordnete Jan Korte unter Applaus praktisch der gesamten Opposition.

Die Verteidigungsministerin hat extra ein Löschverbot erlassen – stimmt doch, Frau Kramp-Karrenbauer? Die Ministerin nickt. Also, fragt Korte, was haben Auswärtiges Amt und Innenministerium zu vertuschen? Nichts, versichert der SPD-Abgeordnete Nils Schmid. Die Gesetzeslage zum Umgang mit Daten sei klar. Und was den EU-Gipfel angeht - „wer weiß“, zwinkert er rüber zu den Liberalen, „vielleicht bereiten wir den ja dann gemeinsam vor.“ Na dann – Vorhang auf für den Wahlkampf! „Das Wort hat die Bundeskanzlerin“, sagt Parlamentspräsident Wolfgang Schäuble.

Am Dienstag trägt die Kanzlerin im Parlament ein sandfarbenes Kostüm. Wäre Angela Merkel in Rot gekommen, hätten alle gleich gewusst: Kampfanzug!
Am Dienstag trägt die Kanzlerin im Parlament ein sandfarbenes Kostüm. Wäre Angela Merkel in Rot gekommen, hätten alle gleich gewusst: Kampfanzug!

© John MacDougall/AFP

Die Bundeskanzlerin trägt diesmal ein sandfarbenes Kostüm, vermutlich zur Tarnung. Wäre sie in Rot gekommen, hätten alle gleich gewusst: Kampfanzug! Sie fängt auch ganz harmlos an mit einer Art Abschluss-Gesamtbilanz vom ersten Amtsjahr 2005 bis zu ihrer letzten, dieser großen Koalition. „Wichtige Weichen“ seien in der Klimapolitik gestellt worden, „entscheidende Fortschritte erzielt“ bei der Digitalisierung, öffentliche Investitionen seit 2005 „genau verdoppelt“ , Mittel für Wissenschaft und Forschung von 2,4 auf 3,0 Prozent aufgestockt.

Worte in der Manier eines Buchhalters

Nun gut, es ist ihre letzte Rede im Bundestag als gewählte Kanzlerin; nach dem Wahltag amtiert sie nur übergangsweise, auch wenn der Übergang lang werden kann. Trotzdem fragen sich auf der Tribüne die ersten, ob das so weiter gehen soll in Buchhaltermanier. Sie müssen aber nicht mehr lange warten. Der Zuwachs bei der Forschung erscheine vielleicht sehr abstrakt, fährt Merkel fort. Doch in der Corona-Krise sei der erste Test an der Charité entwickelt worden und der erste Impfstoff in Deutschland, nicht zuletzt dank gezielter öffentlicher Förderung.

Ach, und wo sie gerade beim Thema ist: „Natürlich ist niemand von uns beim Impfen irgendeine Form von Versuchskaninchen, auch kein Olaf Scholz!“

Man sähe jetzt gerne in Scholz’ Gesicht, aber die Mund-Nase-Maske verdeckt jede eventuelle Regung. Der SPD-Kanzlerkandidat wird später zurückgeben, wenn sich einige über seinen Witz aufregten, dann liege das daran, dass sie beim Blick auf ihre Umfragen nichts zu lachen hätten. Aber wahrscheinlich weiß er selber, dass Merkel so ganz unrecht nicht hat, wenn sie den Karnickel-Vergleich in der schwierigen Impfdebatte als schiefes Bild rügt.

Armin Laschet (CDU) spricht nach seiner Rede mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Plenum im Deutschen Bundestag.
Armin Laschet (CDU) spricht nach seiner Rede mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im Plenum im Deutschen Bundestag.

© dpa

Garantiert nicht zustimmen hingegen würde Scholz den Schlusssätzen der Kanzlerin. „Es ist nicht egal, wer in Deutschland regiert“, sagt Merkel. Das Land stehe vor der Wahl zwischen einer Regierung von SPD und Grünen, „die die Unterstützung der Linkspartei in Kauf nimmt, zumindest sie nicht ausschließt“, oder einer Regierung für Stabilität, Verlässlichkeit und Maß und Mitte. „Der beste Weg für unser Land“, schließt Merkel, „ist eine CDU/CSU-geführte Bundesregierung mit Armin Laschet als Bundeskanzler.“

Die wichtigsten Tagesspiegel-Artikel zur Bundestagswahl 2021:

Bei der Union springen sie auf und applaudieren begeistert. Laschet auf der Bundesratsbank zieht ein indifferentes Staatsmannsgesicht. Vor ein paar Tagen bei der Vorstellung einer Merkel-Biographie hatte er erklärt, dass man sich das Kanzleramt selbst erkämpfen müsse und dass es nicht helfen würde, wenn Merkel dauernd auf der Bühne neben ihm stehen und mit dem Finger auf ihn zeigen würde.

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Aber lange sah es so aus, als würde Merkel überhaupt nie auf ihn zeigen. Schließlich hatte sie nach dem Rücktritt als Parteichefin geschworen, sich von Parteifragen fern zu halten. Doch die Lage lässt keine Prinzipien mehr zu. Mitten hinein in die Debatte verbreitet Forsa seine neueste Umfrage: Nur noch 19 Prozent für die Union. So weit unten war die Partei Konrad Adenauers und Helmut Kohls in ihrer Geschichte noch nie.

So weit oben, nämlich bei 25 Prozent, war umgekehrt die SPD seit Jahren nicht. Dem FDP-Chef Christian Lindner ist deshalb kaum zu widersprechen, als er Scholz’ Rede später mit der Bemerkung kommentiert, dem SPD-Kandidaten sei „eine gewisse Siegeszuversicht nicht abzusprechen“. Scholz entbietet zu Beginn mit leicht süffisantem Lächeln „einen schönen Dank für die Zusammenarbeit auch an Sie, Frau Bundeskanzlerin“.

Der 19. Bundestag kommt am Dienstagfrüh zu seiner letzten ordentlichen Sitzung zusammen, laufende Nummer 239 seit der deutschen Einheit.
Der 19. Bundestag kommt am Dienstagfrüh zu seiner letzten ordentlichen Sitzung zusammen, laufende Nummer 239 seit der deutschen Einheit.

© dpa

Ansonsten hält er die Wahlkampfrede, die Besucher seiner Veranstaltungen schon kennen. Auf dem Rednerpult liegt nur ein Blatt mit Stichworten. Die Rede enthält ungefähr ein Dutzend mal das Wort „zusammenhalten“ – das Land, die Gesellschaft, die Arbeitsplätze und so weiter – sowie gegen Ende ein halbes Dutzend Mal „Respekt“. „Ein Aufbruch ist möglich“, sagt Scholz, „und ich hoffe und bin sicher, er wird gelingen.“

Annalena Baerbock hält sich SPD wie Union fern

Fragt sich nur: Mit wem? Angesichts der Umfragen reden sie bei der SPD davon, dass es sogar zu Rot-Grün reichen könnte. Grünen-Kandidatin Annalena Baerbock hält sich aber an diesem Tag SPD wie Union gleichermaßen fern: „Herr Laschet, Herr Scholz!“ Der Herr Scholz bekommt sogar besonders viel von ihr ab, etwa weil er in der Lausitz vom Kohleausstieg 2038 gesprochen habe und bei Umweltverbänden plötzlich von 2034.
Dafür wirbt Dietmar Bartsch um die SPD. „Die Bürgerinnen und Bürger wollen keine Unionsregierung“, ruft der Linken-Spitzenkandidat. „Linke oder Lindner ist die Frage!“ Oder, um ein berühmtes Zitat zu variieren: „Es ist besser, gut mit Linken zu regieren als falsch mit Lindner zu regieren.“

[Über die Pandemie-Entwicklungen speziell in Berlin halten wir Sie an dieser Stelle auf dem Laufenden.]

Besagter Lindner hat aber vorher eine Warnung an Scholz geschickt: „1976 hat Helmut Kohl die Erfahrung machen müssen, dann man Wahlen gewinnen kann und trotzdem keine Regierung hat.“ Damals blieb die FDP im sozialliberalen Bündnis mit dem Wahlverlierer Helmut Schmidt.

„Ein Aufbruch ist möglich“, sagt Olaf Scholz, „und ich hoffe und bin sicher, er wird gelingen.“
„Ein Aufbruch ist möglich“, sagt Olaf Scholz, „und ich hoffe und bin sicher, er wird gelingen.“

© imago images/Political-Moments

Auch wenn die SPD am 26. September vorne liegt, das soll der Vergleich heißen, könnten die Freidemokraten auf ein Jamaika-Bündnis hinsteuern statt auf eine Ampel. Jedenfalls schimpft der FDP-Chef derart auf Scholz – der wolle doch „allen Ernstes einen Aufschwung mit Steuererhöhungen“ erreichen –, dass jeder Unbedarfte glauben könnte, mit dem Roten könnte Lindner ganz und gar nicht.

Für Armin Laschet wäre das, Stand jetzt, die einzige Hoffnung. Die eigenen Truppen begrüßen ihn mit aufmunterndem „Hoi!!“ Auch er nimmt vor allem Scholz ins Visier. Merkel, sagt der Kandidat, habe zwölf der 16 Jahre „gut auf die Sozialdemokratie aufgepasst“, damit die nicht wieder Schulden machen könne. Scholz kriegt den Nasenstüber ab, man könne nicht die Raute machen und "reden wie Saskia Esken". Laschet lobt Schwarz-Gelb in NRW – beim Stichwort „Talentschulen“, speziell geförderten Schulen in sozialen Brennpunkten, klatscht die FDP mit.

Merkel auf der Regierungsbank darf nicht mitklatschen, so will es die Regel des Hauses. Sie hat für den Kandidaten getan, was sie konnte. Sie war sein Trumpf. Aber ob der sticht? Vor allem jetzt noch, wo es immer mehr danach aussieht, als käme er spät, zu spät?

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