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Die scheidende Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr Nachfolger Olaf Scholz (SPD).

© AFP/John Mac Dougall

Merkel übergibt das Kanzleramt: Scholz' schwieriger Start und eine vertane Chance

In den USA wurde das Kapitol gestürmt, in Deutschland haken sich Merkel und Scholz beim Machtwechsel unter. Er setzt neue Akzente, auch falsche. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Georg Ismar

Einer, der die Regierenden berät, sagt: Wenn Du da oben sitzt, bist Du ganz allein. Dann beginnt die Last des Amtes. Am Mittwoch wird es so weit sein, dann wird Angela Merkel Olaf Scholz ihr 140 Quadratmeter großes Büro im 7. Stock des Kanzleramts übergeben. Vielleicht ein letztes Mal Kaffee aus den silbernen Kannen einschenken.

Es ist sicher eine der ungewöhnlichsten Machtübergaben in der Geschichte der Bundesrepublik, eine beispielgebende in Zeiten großer Fliehkräfte in den westlichen Demokratien.

US-Präsident Joe Biden musste, bevor er das Amt übernehmen konnte, einen von seinem Vorgänger Donald Trump angezettelten Sturm auf das US-Kapitol mit mehreren Toten erleben. Merkel hingegen stimmt sich eng mit Scholz ab, stellte ihn beim G20-Gipfel ihren Amtskollegen vor.  

Zuletzt fanden sie nach einigen Ruckeleien auch bei Corona noch eine gemeinsame (Verschärfungs)-Linie, was Merkel etwas beruhigter aus dem Amt scheiden lässt.

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Dass Scholz einiges anders machen wird, aber längst nicht alles richtig, haben die vergangenen Tage und Wochen gezeigt. Täglich hunderte neue Corona-Tote überschatten seinen Start, schon Ende Oktober mahnte Merkel dringende Beratungen über Verschärfungen an. Scholz aber ließ sich auf das Ansinnen der FDP ein, die Maßnahmen zu entschärfen, um jetzt wieder zu verschärfen. Das hat viel Zeit gekostet.

Erste Fehler, aber klare Versprechen

Gerade die FDP erlebt ein Rendezvous mit der Regierungsrealität - und hat zum Start mit Scholz falsch regiert. Viel zu spät - anders als Merkel - hat Scholz das intensive Gespräch mit Wissenschaftlern gesucht. Dass er nun einen Expertenrat begründet, ist auch etwas Show. Merkel redete nicht viel drüber und hielt stets einen engen Draht zu Virologen und Modellierern. Scholz galt lange als ein kleiner Besserwisser, der sich in juristischen Proseminaren ergehen kann. Diese Attitüde hat er etwas abgelegt, hat verstanden, dass er in einer Dreier-Koalition und als Kanzler mehr Zuhörer und Ratsuchender sein muss. Pandemie-Politik vor allem nach juristischen Erwägungen zu machen, ist nicht immer die beste Lösung.

Anders als Merkel, die Schritt für Schritt agierte und klare Ziele scheute, legt Scholz für sich die Messlatte sehr hoch. Das ist gut, denn es schafft Klarheit, schließlich hat er den Bürgern versprochen: „Scholz packt das an.“ 30 Millionen Impfungen bis Weihnachten. Bleibt es weiter bei über einer Million Impfungen täglich, kann das klappen. Und 400 000 neue Wohnungen im Jahr.

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Olaf Scholz tritt am Samstagabend bei der Spendenshow "Ein Herz für Kinder auf".
Olaf Scholz tritt am Samstagabend bei der Spendenshow "Ein Herz für Kinder auf".

© Annegret Hilse/AFP

Scholz bei ProSieben und Bild´-TV

Besonders erfrischend: er wählt neue Kommunikationswege, ist jetzt, wo der Ampel-Vertrag und das überarbeitete Infektionsschutzgesetz auf dem Weg sind, wieder viel präsenter. Er ist der Typus Politiker, der erstmal intern mit vielen redet und verhandelt, überlegt und statt Zwischenständen am Ende Führung zeigt und Ergebnisse vorlegt. Der wichtigste Auftritt war der überraschende bei ProSieben, als er zur besten Sendezeit emotional vom Besuch auf Intensivstationen berichtete und einen Impfappell an junge Leute richtete. Merkel hat sich solche Auftritte nicht getraut.

Beispielhaft demokratischer Machtübergang: Angela Merkel und Olaf Scholz - er macht einiges anders, aber startet auch mit Fehlern.
Beispielhaft demokratischer Machtübergang: Angela Merkel und Olaf Scholz - er macht einiges anders, aber startet auch mit Fehlern.

© Michael Kappeler/dpa

Braucht es "Bild, Bams und Glotze" zum regieren?

Der SPD-Politiker Scholz scheint aber auch etwas das alte Gerhard Schröder-Motto, zum Regieren brauche es „Bild, Bams und Glotze“, zu adaptieren. Schon seinen Corona-Plan erläuterte er nach der Ministerpräsidenten-Runde als erstes bei Bild-TV. Und in Sachen „Bild“ hat er nun den fragwürdigsten Auftritt hingelegt. Die Boulevardzeitung hatte am Tag, nachdem mutmaßlich rechtsradikale Gegner der Corona-Politik mit Fackeln am Haus der sächsischen SPD-Gesundheitsministerin Petra Köpping aufmarschiert waren, drei führende Wissenschaftler - den Tatsachen widersprechend - an den Pranger gestellt: „Experten-Trio schenkt uns Frust zum Fest: Die Lockdown-Macher.“ Es sollte sich rumgesprochen haben, was das auslöst, bis hin zu konkreten Morddrohungen. Scholz trat nun bei der „Bild“-Spendenaktion „Ein Herz für Kinder“ im ZDF auf, der alle Anerkennung gebührt, über 27 Millionen Euro wurden gesammelt. Merkel mied solche Formate und zu viel Nähe zur "Bild".

Scholz dankte eindrücklich drei Kinderkrankenpflegern und -schwestern, übergab ihnen einen Preis und durfte die finale Spendensumme präsentieren. Aber er hätte die Bühne auch nutzen sollen, um vor einem Millionenpublikum die von „Bild“ angegriffenen Wissenschaftler zu verteidigen, eine Lanze für deren Verdienste in der Pandemie zu brechen. Er braucht sie. Sein großes Versprechen ist, für mehr Respekt und Zusammenhalt in der Gesellschaft zu sorgen. Dann muss er es auch leben und dafür kämpfen. Dafür war der Auftritt eine vertane Chance.

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