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Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CD) am 7. Juni 2022 im Berliner Ensemble

© Reuters/Annegret Hilse

Update

Merkel genießt den Ruhestand: „Jetzt bin ich frei“

Die Ex-Kanzlerin hat nach gut 30 Jahren Politik viel vor. In einem Interview spricht sie über ihre Pläne – aber auch über Russland und Putin.

Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel empfindet nach gut 30 Jahren Politik ein ungewohntes Gefühl der Freiheit. „Manchmal ist es noch ungewohnt, dass ich keinen Termindruck mehr habe“, sagte sie dem Redaktionsnetzwerk Deutschland vom Samstag. Nun sei sie in einem neuen Lebensabschnitt: „Jetzt bin ich frei.“

Nach den 16 Jahren Kanzlerschaft sei sie erschöpft gewesen. „Ich war schon ganz schön geschafft“, erzählte Merkel. Aber sie sei kein „halbtotes Wrack“ geworden. Schon 1998 hatte sie erklärt, dass sie so nie enden wollte.

Der Lohn als Kanzlerin sei die Möglichkeit, selbst die letzte Entscheidung zu treffen, aber „der Preis ist ein hohes Maß an Aufgabe der Privatsphäre und die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Immer, zu jeder Tages- und Nachtzeit, ob Weihnachten oder Neujahr. Das Amt ging immer vor.“ Sie habe über ihre Zeit nicht frei entscheiden können. „Dass das vorbei ist nach so vielen Jahren, ist eine große Erleichterung.“

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Auch für die Trauer um ihre Mutter, die im April 2019 wenige Tage vor einem EU-Gipfel starb, sei nur wenig Zeit geblieben. „Das gehört zur Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit. Wenn EU-Rat ist, ist EU-Rat. Wenn Nachtsitzung ist, ist Nachtsitzung. Wenn ich nicht mit 40 Fieber im Bett liege, fahre ich eben zum EU-Rat.“ Das sei ihr Amtsverständnis gewesen.

Die „emotionalste Phase“ im Amt sei für sie rückblickend die Flüchtlingskrise gewesen, betonte Merkel. „2015/2016 war es eine extrem anstrengende Zeit, in der ich aber innerlich sehr gefestigt war.“ Ihr Handeln habe dem C im Namen ihrer Partei entsprochen sowie dem Artikel eins des Grundgesetzes. Das C in der CDU steht für christlich. Der Grundgesetz-Artikel eins verpflichtet zum Schutz der Würde des Menschen und enthält ein Bekenntnis zu den Menschenrechten.

Als im Spätsommer 2015 viele vor allem syrische Flüchtlinge über Ungarn und Österreich nach Deutschland kamen, entschied Merkel, die deutschen Grenzen nicht zu schließen. Einer ihrer bekanntesten Sätze fiel damals: „Wir schaffen das.“ Merkels Entscheidung war innerhalb der Union, aber auch in der Gesellschaft umstritten.

Merkel will nun in ihrem neuen Lebensabschnitt den Westen Deutschlands näher kennenlernen. „Ich bin selten zweckfrei in den alten Bundesländern gewesen“, sagte sie. „Ich bin nie einfach so auf der Loreley gewesen oder an der Moselschleife oder alleine im Trierer Dom oder Speyerer Dom“, ergänzte die in Ostdeutschland aufgewachsene Merkel.

Sie habe bisher nur wenig gemacht, was viele Menschen gern und selbstverständlich unternähmen, sagte Merkel. „Ich gehe jetzt in den Teil meines Lebens, der mir bisher verwehrt war. Als Mensch.“ Ihre politische Zeit über gut 30 Jahre sei eine große Ehre gewesen. Darüber sowie über ihre Kindheit und Jugend in der DDR werde sie mit ihrer langjährigen Büroleiterin Beate Baumann ein Buch schreiben, betonte Merkel.

Merkel rechtfertigt Baustart für Nord Stream 2

Merkel verteidigte die umstrittene Entscheidung für den Bau der Ostseepipeline Nord Stream 2 trotz der russischen Annexion der Krim im Jahr 2014. „Ich habe nicht an Wandel durch Handel geglaubt, aber an Verbindung durch Handel, und zwar mit der zweitgrößten Atommacht der Welt“, sagte Merkel. Vor diesem Hintergrund habe sie die Pipeline nach den Verhandlungen über das Minsker Friedensabkommen für die Ostukraine für vertretbar gehalten.

Es sei aber keine einfache Entscheidung gewesen, sagte Merkel. „Die damalige These lautete: Wenn Nord Stream 2 in Betrieb ist, wird Putin durch die Ukraine kein Gas mehr liefern oder sie sogar angreifen.“ Der Westen habe dafür gesorgt, dass durch die Ukraine trotzdem Gas geliefert wurde und sie so weiter Transitgebühren erhalten habe.

Merkel verwies auf die damals schon hohen Energiepreise durch Förderung der erneuerbaren Energien, den Atomausstieg und den Beginn des Kohleausstiegs.

„Die deutsche Wirtschaft hatte sich damals für den leitungsgebundenen Gastransport aus Russland entschieden, weil das ökonomisch billiger war als Flüssiggas aus Saudi-Arabien, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten und später auch aus den USA.“

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Politisch sei es darum gegangen, ob anstelle russischen Gases das erheblich teurere und ökologisch umstrittene Flüssiggas „gegen den Wunsch der Wirtschaft, gegen die industrielle Stärke Deutschlands“ gekauft werde.

„Wir waren bereit, den Bau von zwei LNG-Terminals in Deutschland mit Steuergeldern zu fördern“, sagte Merkel. „Doch bis zum letzten Tag meiner Amtszeit baute kein Unternehmen einen LNG-Terminal in Deutschland, weil sich kein Importeur fand, der wegen des hohen Preises im Voraus langfristige Kapazitäten gebucht hätte.“

Einfluss auf Putin schwand

Merkel räumte ein, dass ihr Einfluss auf Kreml-Chef Wladimir Putin kurz vor ihrem Amtsende schwand. „Es war ja klar, dass ich nicht mehr lange im Amt sein würde, und so muss ich einfach feststellen, dass verschiedene Versuche im vorigen Jahr nichts mehr bewirkt haben“, sagte Merkel weiter.

Putin sei nicht mehr zu einem Gipfeltreffen im sogenannten Normandie-Format mit Vertretern Russlands, der Ukraine, Deutschlands und Frankreichs bereit gewesen, sagte die Altkanzlerin. „Andererseits gelang es mir auch nicht, neben dem Normandie-Format ein zusätzliches europäisch-russisches Gesprächsformat über eine europäische Sicherheitsordnung zu schaffen.“ Russland hat sein Nachbarland Ukraine am 24. Februar überfallen. Seitdem gibt es dort einen verlustreichen Krieg, den Russland aber nur militärische Spezialoperation nennt.

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Auf die Frage, ob sie als Vermittlerin für eine Lösung in dem Konflikt zur Verfügung stehen würde, sagte Merkel dem RND: „Diese Frage stellt sich derzeit nicht.“

Sie schloss in dem Gespräch nicht aus, dass Putin mit seinem Angriffskrieg möglicherweise bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Amt gewartet hat. „Mein Ausscheiden kann ein Beitrag gewesen sein wie zum Beispiel auch die Wahl in Frankreich, der Abzug der Truppen aus Afghanistan und das Stocken der Umsetzung des Minsker Abkommens“, sagte sie. (AFP, dpa)

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