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Verschiedene Ausgaben von Adolf Hitlers Schrift «Mein Kampf» mit einem Portrait Hitlers sind am 11.12.2015 in den Räumen vom Institut für Zeitgeschichte (IfZ) in München (Bayern) zu sehen.

© dpa

"Mein Kampf": Muss man Hitler in Deutschland heute noch erklären?

Am Freitag wird die kritische Ausgabe von Adolf Hitlers "Mein Kampf" vorgestellt. Der ungeheure Kommentierungs- und Widerlegungsaufwand soll als Gegenzauber wirken. Aufklärung schadet nie. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Peter von Becker

Es ist wieder da. Adolf Hitlers „Mein Kampf“, dessen erster Band mit dem markigen Untertitel „Eine Abrechnung“ 1925 erschien, ist nun neu aufgelegt im deutschen Buchhandel zu haben. Nicht mehr als antiquarische, mit braunem Nostalgieverdacht behaftete Klammheimlichkeit, sondern als wissenschaftlich ertüchtigte Lektüre.

Schlangen werden sich darum kaum vor den Buchhändlerkassen bilden. Denn die mit 3500 historischen Anmerkungen bestückte, 2000 Seiten dicke kritisch kommentierte Neuedition der „Kampf“-Schrift im Selbstverlag des angesehenen Münchner Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) taugt nicht zur Massenware. Und noch weniger zur Massenverführung.

Trotzdem wirkt die Edition zunächst: als Tabubruch. 70 Jahre lang galt für die Autorenrechte an „Mein Kampf“ der gesetzliche Urheberrechtsschutz. Nachdem der Verfasser bei Kriegsende 1945 verstorben war, hatte der bayerische Staat das konfiszierte Privatvermögen des Diktators als Erbe verwaltet. In München, dem einst offiziellen Wohnsitz Hitlers, hätte es die Staatsregierung jetzt lieber gesehen, wenn „Mein Kampf“ weiterhin ein wirksamer Bann hätte treffen können. Angesichts der über Jahre hinweg von Historikern betriebenen kritischen Ausgabe kam freilich ein Publikationsverbot, etwa wegen Volksverhetzung, nicht mehr infrage.

Das berühmte Unbuch

So ist das berühmte Unbuch, das bis 1945 in zwölfeinhalb Millionen Exemplaren im damals Deutschen Reich verbreitet war und das nach Kriegsende plötzlich keiner mehr besessen oder gar gelesen haben wollte, wieder da und zugleich auch nicht ganz da. Der ungeheure Kommentierungs- und Widerlegungsaufwand der kritischen Ausgabe soll ja als Gegenzauber wirken. Er gleicht so einem wissenschaftlichen Hyperkondom.

Aber braucht es diese enorme Anstrengung – gegenüber einem wegen seiner Geschraubtheit und rassistischen Besessenheit kaum noch lesbaren Text? Neonazis werden damit ohnehin nicht erreicht, ihnen reichen ein paar Schlagworte, im Übrigen zirkuliert „Mein Kampf“ längst im Internet und in unkontrollierbar vielen ausländischen Versionen, der Text ist ein billiger Hit in arabischen Ländern und ein Lacher in der japanischen Manga-Fassung. Doch muss man Hitler in Deutschland im Jahr 2016 noch mit all seinen zombiehaften Phrasen erklären?

Die Mehrheit hierzulande hatte Hitler und auch den Holocaust nach ’45 erst mal verdrängt. Wie das angeblich ungelesene Buch, in dem den Juden schon mal eine Giftgasattacke als kollektive Erfahrung gewünscht wurde. Die einst versäumte, von Alexander und Margarete Mitscherlich („Die Unfähigkeit zu trauern“) beschworene, spätestens mit den Auschwitz-Prozessen endlich beförderte Erinnerungsarbeit bräuchte nicht unbedingt am Wortlaut der verquasten „Kampf“-Ansage neu demonstriert werden.

Andererseits: Kritische Aufklärung schadet nie, deshalb sind etliche Holocaust-Überlebende oder Vertreter des Zentralrats der Juden in Deutschland nicht gegen die Ausgabe. Sie hat als historische Aufarbeitung auch wenig zu tun mit der Frage, ob etwa das Leugnen des Holocausts nun gleichfalls nicht mehr strafbewehrt sein soll. Allerdings bedeutet die offene Auseinandersetzung mit „Mein Kampf“ wieder ein Stück Historisierung des Schreckens. Sie weist in die Zeit, wenn die unmittelbaren Zeugen, die Opfer oder Täter, nicht mehr da sind. Das lässt sich nicht aufhalten.

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