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Statt endzeitlicher Panik brauchen wir neue utopische Gegenentwürfe zur ökologisch verheerenden Wachstumsideologie.

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Mehr Utopie wagen: Alternativen zu Wüste und Google-Diktatur

Die heutigen Zukunftserwartungen sind düster. Anstatt in Dystopien zu schwelgen, sollten wir darüber nachdenken, wie eine nachhaltige Gesellschaftsordnung aussehen könnte. Eine Kolumne. 

Eine Kolumne von Christoph David Piorkowski

Permafrost-Schmelze und planetare Verwüstung auf der einen, digitale Totalüberwachung durch Staaten und Konzerne auf der anderen Seite – die Zukunftserzählungen der Gegenwart nehmen sich wie Sci-Fi- und Endzeitfilme aus. Wie der slowenische Philosoph Slavoj Žižek einmal bemerkte, schwanken die heutigen Erwartungen an Morgen zwischen „Dark Ages“ und „Tech-Dystopie“.

Sie reichen von „Mad Max“ bis zu „The Circle“ – von Wüsten-Scharmützeln bis zur Google-Diktatur. Keine rosigen Aussichten also, ganz zu schweigen vom völkischen Retrofuturismus toxisch-nostalgischer Nationalisten.

Der Utopie-Verlust des 21. Jahrhunderts speist sich zum einen aus dem Scheitern moderner Fortschrittserzählungen. Der Glaube des Marxismus an ein Ende der Geschichte hat sich als ebenso irrig erwiesen wie die kapitalistische Grundannahme, dass es den Kindern einmal besser gehen werde als ihren Eltern. Auch die Erkenntnis, dass deregulierte Märkte nicht notwendig Demokratie mit sich bringen, hat vielen Illusionen ein Ende gesetzt.

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Düstere Gegenwart

Zum anderen wird das Bild einer düsteren Zukunft durch die bereits düstere Gegenwart geprägt. Die Klimakatastrophe ist längst Realität. Trotz und wegen der ökologisch verheerenden Überproduktion leben Milliarden Menschen im Elend. Das demokratische Ideal wird weltweit von autoritären Kräften bedroht. Der „digitale Überwachungskapitalismus“ (Shoshana Zuboff) degradiert den Menschen zum Rohstoff seiner Daten.

Schließlich hat die chinesische Regierung mit ihrem „Sozialkreditsystem“ den panoptischen Albtraum einer formvollendeten Menschenführung ins Werk gesetzt, der manchen Beobachtern als Blaupause künftiger Gesellschaften gilt.

Wie Walter Benjamins „Engel der Geschichte“ haben wir der Zukunft den Rücken gekehrt, sehen bloß noch „eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft“.

Politik als Abwehrschlacht

Die Politik des sich als progressiv verstehenden Parteienspektrums ähnelt dabei häufig einer Abwehrschlacht. Ob es um „Grünes Wachstum“ oder Besteuerungskonzepte von Tech-Giganten geht – als Maximum des Erreichbaren gilt, den Trümmerberg ein klein wenig abzutragen.

Der endzeitliche Sound der Klimabewegung, der in Greta Thunbergs „I want you to panic“ auf den Begriff gebracht wurde, motiviert indes zu wenige zum Handeln. Wenn die Welt sowieso untergeht, haut man lieber nochmal richtig auf die Kacke, anstatt gegen Windmühlen zu kämpfen.

Utopische Fluchtpunkte

So wäre es an kritischen Intellektuellen und weitsichtigen Politikerinnen, neue utopische Fluchtpunkte zu setzen. Der traumtänzerischen Ideologie eines grenzenlosen Wachstums bei begrenzten Ressourcen die realistische Vision einer nachhaltigen Gesellschaftsordnung entgegenzuhalten. Nicht damit alles genauso geschieht, wie es am Reißbrett entworfen wurde, sondern als regulative Idee, mit der man politische Leidenschaften weckt.

Anstatt die Zukunft bloß als Verzicht zu beschreiben – weniger Autos, weniger Konsum – müsste man breit diskutieren, wie eine Postwachstumsgesellschaft und eine gemeinwohlorientierte Ökonomie aussehen und was durch diese alles gewonnen werden könnte. Vielen geht es heute höchstens darum, ein richtiges Leben im Falschen zu führen. Stattdessen braucht es Bilder vom Richtigen – als Kontrapunkt zu Wüste und Tech-Dystopie.

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