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Nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit der Politik: Viele Kinder und Jugendliche leiden noch stärker unter der Pandemie als Erwachsene.

© picture alliance/dpa/Lehtikuva

Mehr Hilfe für junge Menschen in der Pandemie: "Höchste Zeit, dass die Regierung Geld in die Hand nimmt"

Die Bundesregierung will zwei Milliarden Euro ausgeben, um Nachteile für Kinder und Jugendliche abzumildern, Das ist dringend notwendig, sagt der Kinderschutzbund.

Von Hans Monath

Heinz Hilgers (72) ist seit 1993 Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes. Der Sozialdemokrat war NRW-Landtagsabgeordneter und Bürgermeister der Stadt Dormagen.

Herr Hilgers, behandelt die deutsche Politik in der Corona-Krise Kinder und Jugendliche schlechter als Erwachsene?

Leider gibt es da gravierende Unterschiede, die sich nicht rechtfertigen lassen. Kinder sehen Profisportler im Fernsehen Fußball spielen, während sie selbst nicht mit fünf anderen Kindern auf dem Fußballplatz spielen dürfen. Da sehen sie doch eine klare Bewertung, die vorgenommen wird. Die seit einem Jahr andauernden Einschränkungen werden die Entwicklungen unserer Kinder stören, sowohl körperlich und motorisch als auch in der Sprachentwicklung. Deshalb komme ich zu dem Schluss: Die Rechte der Minderjährigen werden grundsätzlich nicht ausreichend gewahrt. Immer wenn ich die Politik über Grundrechte während der Pandemie reden höre, ist nur von typischen Erwachsenenrechten die Rede: Reisefreiheit, Berufsfreiheit, Ausgangsfreiheit.

Warum sollte die Politik sich in der Pandemie mehr um Kinder und Jugendliche kümmern?

Weil Sie in einer Entwicklungsphase sind und vieles von dem, was ihnen widerfährt, ihr gesamtes weiteres Leben prägen kann. Dann brauchen Kinder Kontakte zu anderen, um sich wohl zu fühlen und sich zu entwickeln. Sie brauchen Bewegung. Sie brauchen Abwechslung und neue Anregungen, müssen die Welt erfahren können. All das ist extrem eingeschränkt. Aber natürlich gibt es da krasse Unterschiede. Als Kind in einem Einfamilienhaus mit großem Garten, ist das leichter, als mit vielen Geschwistern in einer kleinen Hochhauswohnung.

Heinz Hilgers ist seit 1993 Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes.
Heinz Hilgers ist seit 1993 Präsident des Deutschen Kinderschutzbundes.

© Promo

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey (SPD) hat bekräftigt, dass die Bundesregierung doppelt so viel Mittel wie bisher bereitstellen will, um die Folgen von Schul- und Kitaschließungen in der Corona-Krise abzumildern – nämlich zwei statt eine Milliarde Euro. Reicht das?

Es wurde höchste Zeit, dass die Bundesregierung mehr Geld in die Hand nimmt. Ich begrüße das, denn es ist dringend notwendig.  Das war kein normales Schuljahr, das war auch kein normales Jahr der Entwicklung für Kinder. Deshalb müsse viel unternommen werden. Wir werden ohnehin nicht alles aufholen können, aber die Bundesregierung scheint nun einzusehen, dass größere Anstrengungen nötig sind. Wo es um die Zukunft unserer Kinder geht, hilft ein strenges Sparprogramm nicht weiter, das gilt für den Bund, für Länder und Kommunen.

Wie sollte die Bundesregierung das Programm ausgestalten?

Die Familienministerin sollte darauf achten, dass die Hilfen insbesondere bei benachteiligten Gruppen ankommen. Ein Teil der Kinder kann die Krise wegstecken. Aber Kinder aus belasteten und armen Familien werden in der Pandemie noch weiter zurückgeworfen und benachteiligt. Nötig sind Sommerschulen und Samstagsunterricht für Kinder, die Stoff nachzuholen haben - und das in möglichst spielerischer Form. Auch ein großes Ferienprogramm mit Angeboten wie Schwimm- und Sprachkursen, Tanz und Musik könnte helfen, damit Kinder Versäumtes nachholen können.

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Was bedeuten die Corona-Restriktionen für den Einstieg junger Menschen ins Berufsleben?

Jugendliche, die im Corona-Jahr die Schule abschließen und eine Ausbildung anfangen wollen, sind besonders schwer getroffen. Das mindert die Chancen   leistungsschwächerer Schüler auf dem Ausbildungsmarkt erheblich. Insbesondere die Branchen, die oft nicht zwingend ein super Zeugnis verlangen, stecken gerade in der Krise und haben ihr Ausbildungsangebot deutlich reduziert. Ich denke an die Gastronomie, den Einzelhandel oder das Friseurgewerbe. Zudem wissen auch die Unternehmen von den Nachteilen des aktuellen Distanzlernens. Die Arbeitgeber wissen, dass es Bildungslücken gibt. Die Politik muss sich besonders um Schüler kümmern, die einen Hauptschulabschluss oder die Fachoberschulreife anstreben. Das Problem ist so ernst, dass wir einen Ausbildungsgipfel von Politik und Wirtschaft brauchen – am besten, bevor das Schuljahr im Sommer zu Ende ist.
 

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