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Eine junge Frau vor der Basilius-Kathedrale in Moskau. Russlands Hauptstadt ist schwer von der Corona-Pandemie betroffen.

© Gavriil Grigorov/TASS/imago

Update

Mehr als 10.000 Corona-Infizierte in 24 Stunden: Jeden Tag neue Rekordzuwächse an Covid-19-Patienten in Russland

In keinem anderen Land in Europa steigt die Zahl der Neuinfektionen so rasant wie in Russland. Und der Höhepunkt steht erst noch bevor.

Von Oliver Bilger

Sieben Wochen können in der Corona-Pandemie viel verändern, zum Guten – oder zum Schlechten. Mitte März erklärte Wladimir Putin, die Ausbreitung des Virus sei in Russland „unter Kontrolle“. Anfang Mai nun hat die Zahl der mit Sars-CoV-2 infizierten Menschen einen neuen Höchststand erreicht. Am Sonntag meldeten die Behörden mehr als 134.000 nachgewiesene Infektionen. Innerhalb eines Tages waren 10.633 neue Fälle hinzugekommen – so viele wie nie.

Zuletzt ist die Zahl der Infizierten in Russland um fast 10.000 gestiegen.
Zuletzt ist die Zahl der Infizierten in Russland um fast 10.000 gestiegen.

© Dmitri Lovetsky/AP/dpa

In keinem anderen europäischen Land steigt die Zahl der Neuinfektionen derzeit so rasant wie in Russland. Als sich das Virus aus China in Richtung Westen ausbreitete, verzeichnete Russland zunächst niedrige Infektionswerte. Doch längst hat die Pandemie auch Russland eingeholt, seit Wochen melden Behörden immer neue Rekordzunahmen. Dabei gelten vielerorts Ausgangssperren, die eine Ausbreitung des Virus weiter verhindern sollen.

Das größte Flächenland der Welt liegt laut der Statistik der amerikanischen Johns-Hopkins-Universität mittlerweile weltweit an siebter Stelle bei den Infektionsfällen – und hat damit China, die Türkei sowie den Iran hinter sich gelassen. Und der Höhepunkt der Infektionswelle, warnte Präsident Putin in der vergangenen Woche, sei noch nicht erreicht. Infiziert haben sich auch zwei Regierungsmitglieder: Ministerpräsident Michail Mischustin und Bauminister Wladimir Jakuschew, wie Staatsagentur Tass meldete.

Metropolen besonders betroffen

Besonders stark betroffen sind Russlands Millionen-Metropolen Moskau und Sankt Petersburg. Aber auch in den Regionen, wo die Gesundheitsversorgung deutlich schlechter ist, breitet sich das Coronavirus weiter aus.

In Sankt Petersburg, Russland zweitgrößter Stadt mit gut fünf Millionen Einwohnern, stellten Krankenhäuser Kühlcontainer für Leichen auf. Das städtische Gesundheitsamt erklärte auf Anfrage der Nachrichtenseite Fontanka, dass die Container noch nicht benutzt werden, sondern eine Vorsichtsmaßnahme seien für den Fall, dass die Zahl der Todesfälle steigt.

Der Rote Platz ist aufgrund der Ausgangssperre verwaist.
Der Rote Platz ist aufgrund der Ausgangssperre verwaist.

© Kirill KUDRYAVTSEV / AFP

Trotz vieler Infektionen, ist die Zahl der Todesopfer landesweit mit 1280 vergleichsweise niedrig. Ärzte begründeten dies zuletzt mit einem meist eher milden Verlauf der Krankheit im Land. Es gibt allerdings auch Zweifel, ob Ärzte immer die tatsächliche Todesursache finden und, mehr noch, auch angeben.

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In Moskau sind bislang offiziell fast 70.000 Fälle gemeldet. Allerdings könnten sich nach Berechnungen bereits mehr als eine Viertelmillion Menschen in der Hauptstadt infiziert haben. Das sei aus den bisherigen Tests zu schließen, teilte Bürgermeister Sergej Sobjanin am Samstag in seinem Blog mit.

Dennoch gab er sich zuversichtlich: Die Hauptstadt habe die Ausbreitung des Virus durch die Ausgangssperre und andere Maßnahmen bisher eindämmen können. Auch sei die Zahl der schwer erkrankten Patienten nicht so stark gestiegen, wie im schlimmsten Fall erwartet.

Dass Test-Kapazitäten zuletzt stark ausgebaut wurden, ist für Experten ein Grund, weswegen nun deutlich mehr Fälle nachgewiesen werden. Der Höhepunkt der Infektionswelle stehe Moskau aber noch bevor.

Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin.
Moskaus Bürgermeister Sergej Sobjanin.

© Vladimir Gerdo/imago images

Ärzte klagen über Überlastung

Dort sollen 44 provisorischen Kliniken künftig Behandlungsmöglichkeiten für bis zu 10.000 Covid-19-Patienten schaffen. Die Bedrohung, erklärte Sobjanin, nehme weiter zu. 

Viele Ärzte und medizinisches Personal klagen derweil über fehlenden Schutz und Überlastung. In Sankt Petersburg etwa hängten Menschen Bilder gestorbener Krankenhausmitarbeiter auf und stellten Blumen dazu. Präsident Putin räumte Defizite im Gesundheitssystem ein. In Moskau sollen nun Medizinstudenten im Kampf gegen das Virus helfen. Sobjanin will ihnen für ihren Einsatz umgerechnet etwa 1250 Euro zahlen.

Rettungssanitäter, Pfleger und Ärzte beklagen Überlastung.
Rettungssanitäter, Pfleger und Ärzte beklagen Überlastung.

© Tatyana Makeyeva/REUTERS

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Weiterer Grund für die steigende Zahl der Infizierten dürften auch die zahlreichen Verstöße gegen den Lockdown sein. Viele Russen hatten die Gefahr des Virus lange unterschätzt. Auch sollen Erkrankte aufgrund unklarer Diagnose in Krankenhäusern andere Menschen in angesteckt haben, berichtet die Zeitung „Wedomosti“. In der „Moscow Times“ berichteten Rettungssanitäter, sie hätten sich infiziert, während sie mit Patienten stundenlang unterwegs waren auf der Suche nach freien Krankenhausbetten.

„Schrittweiser Ausstieg“ aus Anti-Corona-Maßnahmen

Darüber hinaus gibt es Zweifel an der Zuverlässigkeit der Tests im Land. Die Hälfte der schweren Corona-Fälle in Moskau hätten negative Ergebnisse, erklärte Sobjanin kürzlich. Er kündigte jetzt an, Geldstrafen aus Verstößen gegen die Ausgangssperren komplett für die Eindämmung des Virus zu verwenden.

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Die strengen Anti-Corona-Maßnahmenn in der Stadt könnten erst dann gelockert werden, wenn die Zahl der Infizierten sinke. Putin hatte wegen der dramatischen Lage die arbeitsfreie Zeit in Russland bis 11. Mai verlängert.

Der Präsident stellte vergangenen Dienstag aber auch einen in zwei Wochen beginnenden „schrittweisen Ausstieg“ aus den Maßnahmen in Aussicht. Die Behörden sollen demnach Empfehlungen erarbeiten, wie die Beschränkungen nach und nach aufgehoben werden können. Die Regierung solle zudem neue Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft entwickeln, erklärte Putin. Es sei gelungen, die Ausbreitung des Virus zu verlangsamen, sagte er vergangene Woche. „Aber das sollte uns nicht beruhigen. Die Situation bleibt sehr schwierig.“ (mit dpa)

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