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Bundeskanzlerin Angela Merkel bei einer Pressekonferenz - Öffentlichkeit ist hier ausdrücklich erwünscht.

© Wolfgang Kumm/dpa

Medien, Regierung und Pressefreiheit: Treffen am Ende der Vertraulichkeit

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts nach einer Tagesspiegel-Klage fordert Transparenz für Hintergrundgespräche - und stellt eine alte Praxis in Frage.

Im politischen Berlin gehören diese Regeln zum kleinen Einmaleins für alle, die mit Medien zu tun haben: Wer etwas „unter eins“ sagt, gibt seine Äußerungen inklusive Absender der Öffentlichkeit preis. Bei der Vorgabe „unter zwei“ können die Informationen publiziert werden, aber der Absender bleibt unbekannt. Stattdessen heißt es „aus Regierungskreisen“, „aus den Sicherheitsbehörden“ oder nur „aus informierten Kreisen“. „Unter drei“ steht für Vertraulichkeit. Nichts soll nach außen dringen. Eine Hintergrundinformation in einem Hintergrundgespräch. Eine Praxis, wie sie überall gepflegt wird, vom Bundestagsbüro bis in das Kanzleramt.

Ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom vergangenen Mittwoch (Az.: BVerwG 6 A 7.18) wirft ein neues Licht auf diese Praxis. Nach einer Klage des Tagesspiegels hat das Gericht den Bundesnachrichtendienst (BND) erstmals verpflichtet, seine bisher geheim gehaltenen Zusammentreffen „unter drei“ mit Presse und Rundfunk umfassend transparent zu machen. Der BND muss nicht nur Orte und Zeiten benennen, sondern auch Themen und Teilnehmer.

Aufklärung über das Zusammenspiel von Politik und Medien

Nach Ansicht der Bundesrichter ist es das legitime Ziel einer journalistischen Recherche, Aufklärung über das Zusammenspiel von Politik und Medien herzustellen. Darauf, betonten sie bei der Urteilsverkündung in Leipzig, ziele der in der Pressefreiheitsgarantie des Grundgesetzes verankerte Auskunftsanspruch ab: Er soll gewährleisten, dass die Presse ihre Aufgabe, zu informieren und staatliche Gewalt zu kontrollieren, wirksam erfüllen kann. Die vertrauliche Informationspraxis der Auslandsaufklärer sei ein tauglicher Gegenstand dieser Kontrolle. Sie erreicht damit eine Sphäre, in der es für einen Geheimdienst traditionell ungemütlich wird – die Öffentlichkeit.

Gehört sie dahin? Unbedingt. Regierung und Behörden einschließlich des BND besitzen und verwalten kaum erschöpfliche Mengen exklusiven Wissens. Exemplarisch sind dafür Nachrichtendienste einschließlich der Verfassungsschutzbehörden, die im Prinzip nichts anderes unternehmen, als Informationen zu beschaffen und auszuwerten. Manches davon gerät in die Öffentlichkeit, anderes nicht. Manches bringen die Behörden selbst in die Medien, anderes halten sie vor ihnen geheim. Nun muss der BND seine Praxis offenlegen - aber besteht darauf, erst die schriftlichen Urteilsgründe abzuwarten.

In der Grauzone verschwindet der Staat als Urheber von Informationen

Die Hintergrundgespräche fanden und finden in einer Grauzone statt, die es Außenstehenden erschwert, amtliche Informationstätigkeit von eigenen journalistischen Erkenntnissen abzugrenzen. Woher stammen die Details zur Lage in Syrien oder die Erkenntnisse zum Putsch in der Türkei? Hinter ungenannten Quellen kann eine Behörde stecken, die ihrerseits Diskussionen anschieben oder Meinungen bilden will – ohne mitsamt diesen Absichten nach außen für jedermann erkennbar aufzutreten. So hatte der BND etwa 2017 in vertraulichen Runden kritische Erkenntnisse zu Russland an die Medien gegeben, ehe Präsident Bruno Kahl sich in München öffentlich zu russischen Streitkräften einließ und das Land als „potenzielle Gefahr“ schilderte.

Offiziell heißt es, dass man niemals die Presse beeinflussen würde. Doch natürlich bleiben die vertraulich abgegebenen amtlichen Fakten und Einschätzungen nicht ohne Einfluss auf die Berichterstattung. So soll es wohl auch sein. Der finale Umgang mit „unter drei“-Informationen ist seit jeher etwas unscharf. Politikerinnen und Politiker wissen, dass auch vertrauliche Angaben früher oder später zur Nachricht werden können oder Debatten prägen. In einem Gespräch „unter drei“ kann sich eine Ministerin dennoch mal über die Arbeit der Kollegen anderer Ressorts auslassen, ohne sogleich gegen Prinzipien zu verstoßen. Denn würde dies nach außen dringen, dann nur mehrfach gefiltert und gespiegelt. Politikeräußerungen „im Hintergrund“ haben viele, oft taktische Motive. Nur zweckfrei und interessenlos, das sind sie eher selten.

Das Kanzleramt besteht auf Vertraulichkeit - sie sei unerlässlich, um die eigene Politik zu verwirklichen

Ein wichtiges Motiv ist wohl die Klimapflege. Sie dürfte auch bestimmend für die Runden sein, die Kanzlerin Angela Merkel (CDU) veranstaltet hat. Die Regierung beharrt darauf, dass auch hier an höchster Stelle keine geheimhaltungsbedürftigen Informationen weitergegeben worden seien. Dennoch wird Transparenz weiterhin verweigert. Der Tagesspiegel hat ebenfalls eine Klage anhängig gemacht (VG 27 K 34.17), die das Verwaltungsgericht Berlin jedoch erst 2020 verhandeln will.

Die Argumente, die Treffen unter dem Deckel zu halten, klingen imponierend. Sie seien in dieser Weise unersetzlich. Eine Transparenz, wie sie der BND jetzt gewähren muss, führe zu einem „nicht wiedergutzumachenden Ansehensverlust der Bundesrepublik im In- und Ausland“, heißt es etwa. Zudem müsse die Regierung die Möglichkeit behalten, unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu prüfen, „inwieweit bestimmte politische Positionen medial vermittelbar sind“.

Regierung droht mit Stopp aller Gespräche

Solche Begründungen sind aufschlussreich. Sie zeigen, dass die Regierung die vertrauliche Nähe zu Medienleuten offenbar dringender benötigt als diese die Nähe zu ihr. So wurde in beiden Gerichtsverfahren vorgetragen, dass auch nur eine ansatzweise Transparenz der Treffen deren umgehenden und vollständigen Stopp zur Folge hätte, und zwar auf Bundes- wie auf Länderebene.

Die Bundesrichter beeindruckte das nicht. Für manche Medienleute ist dieser Gedanke gleichwohl zum Fürchten. Andere wie auch der Deutsche Journalisten-Verband fordern, sich neu zu orientieren: „Hintergrundgespräche sind untauglich für offene Berichterstattung“, sagt der Bundesvorsitzende Frank Überall. „In der Konsequenz sollte das Urteil dahin führen, dass Ministerien, Geheimdienste und Kanzleramt ihre umstrittene Informationspraxis ändern.“

Nur wie? Fest steht, dass von dem Urteil direkt nur Amtsträger und Behörden betroffen sind. Ein Gros der Äußerungen „unter drei“ dürfte aber in anderen politischen Räumen fallen, namentlich denen von Abgeordneten. Sie genießen den Schutz der Mandatsfreiheit, der sich auf ihre Öffentlichkeitsarbeit erstreckt. Transparenz gibt es nur, soweit die Parlamentarier sie selbst herstellen wollen.

Journalisten könnten ins Grübeln kommen, ob die Schweigepflicht ihrer Aufgabe dient

Für die Behörden gibt es ebenfalls aktuell keinen Grund, sich von dem Format zu lösen. Dass Themen sowie äußere Umstände öffentlich bekannt werden, hindert sie nicht, Inhalte weiter vertraulich zu kommunizieren. Nur werden sie sich daran gewöhnen müssen, dass vielleicht manche in den Medien auftauchende Einschätzung auf einen solchen Termin rückführbar wird; dennoch bleibt der Staat als Quelle ungenannt. Medienvertreter müssten sich daran gewöhnen, dass ihre Teilnahme auf Anfrage amtlich bestätigt werden kann. Den einen oder die andere könnte das abschrecken. Dennoch: Wer die Einsichten „unter drei“ für wichtig hält, kann sie bekommen.

Theoretisch wäre eine Fortsetzung der Gespräche trotz Teiltransparenz kein Problem. Praktisch wirken sie weniger attraktiv, wenn die bisher geheiligte Vertraulichkeit entfällt. Sie ergänzte das mit der Einladung verbundene Versprechen, einem erlauchten Kreis Eingeweihter anzugehören. Mit mehr Öffentlichkeit erschiene alles weniger bedeutend. Möglich, dass Ministerien dazu übergehen, wieder häufiger mit Pressekonferenzen zu informieren, „unter eins“. Zudem könnte das Urteil Journalisten ins Grübeln bringen, inwieweit sie noch ihre gesetzlich privilegierte „öffentliche Aufgabe“ wahrnehmen, wenn sie sich gegenüber den von ihnen zu kontrollierenden Institutionen zu Stillschweigen verpflichten. Das Ende der Vertraulichkeit muss daher noch nicht das Ende der Hintergrundgespräche bedeuten. Es sei denn, die Beteiligten wollen es so.

Dieser Text erschien am 24. September 2019 in "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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