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Rechte Szene seit Jahrzehnten: Jamel in Mecklenburg.

© dpa/Axel Heimken

Mecklenburg-Vorpommern: Jamel verpachtet Dorfwiese an mutmaßlichen Neonazi

Jamel sei kein Nazi-Dorf, sagt der Bürgermeister. Doch die Dorfwiese wird an einen Mann aus der Szene verpachtet. "Ein Skandal", meint das Ehepaar Lohmeyer.

Von Matthias Meisner

Die Dorfwiese in Jamel in Mecklenburg-Vorpommern ist an einen mutmaßlichen Rechtsextremisten verpachtet worden. Das berichtet das Ehepaar Lohmeyer, das sich in dem knapp 40 Einwohner zählenden Ortsteil seit Jahren Neonazi-Umtrieben widersetzt und jährlich das Festival "Jamel rockt den Förster" organisiert. Birgit und Horst Lohmeyer waren 2004 von Hamburg nach Jamel gezogen.

Die Beratung fand am Dienstagabend im nichtöffentlichen Teil der Gemeinderatssitzung von Gägelow - Jamel ist ein Ortsteil - statt. Die Entscheidung sei mit 7:2 Stimmen gefallen, teilten die Eheleute mit. Die Eheleute rechnen den Pächter der Dorfwiese der Neonazi-Szene zu.

Der Gemeinderat bestätigte damit eine Vorentscheidung des Hauptausschusses der Gemeinde. Die Weichen für die Verpachtung hatte die Gemeinde schon zu Jahresanfang gestellt. Der Informationsdienst "Blick nach rechts" (BNR) berichtete im Juni, eine entsprechende Entscheidung sei schon im Februar im Hauptausschuss der Gemeinde gefallen. Laut BNR gehört der neue Pächter zur rechtsradikalen "Dorfgemeinschaft Jamel".

Gägelows Bürgermeister Uwe Wandel (parteilos, für SPD) bestätigte die Verpachtung, nimmt den Nutzer der Dorfwiese aber gegen den Vorwurf des Rechtsradikalismus in Schutz. Dieser sei "sicherlich kein Sozialist", sagte Wandel dem Tagesspiegel. Er sei aber auch nicht in einer Partei und habe auch nicht an rechten Demonstrationen teilgenommen. Er sei seit 25 Jahren Altenpfleger und nicht vorbestraft. "Das Abstimmungsergebnis ist eindeutig", verteidigt Wandel den Gemeinderatsbeschluss. Der Bürgermeister wertet ihn auch als Zeichen gegen den Eindruck, Jamel sei ein Nazi-Dorf. "Sind denn alle Jameler rechtsradikal, bloß weil sie nicht Lohmeyer heißen?", fragt er.

Die Grundsteine für die Ansiedlung von Rechtsextremisten in Jamel seien Anfang der 90er Jahre gelegt worden, damals hätten "Polizei und Staatsschutz weggesehen". Heute gehörten zum "harten Kern" von Neonazis in Jamel fünf bis sechs Leute bei 37 Einwohnern, von denen wiederum elf bis zwölf unter 15 Jahre alt seien.

Birgit Lohmeyer: Stimmung im Dorf "ganz scheußlich"

Die Lohmeyers hingegen sehen die Verpachtung als "Skandal" an, wie Birgit Lohmeyer dem Tagesspiegel erklärt. Mit dem Gemeinderatsbeschluss werde "an der Demokratie gezündelt", meint sie. Verwaltungsrechtlich werde es schwierig, die Entscheidung noch zu kippen. Mittelfristig setze sie auf eine Verbesserung durch die Wahl einer neuen Gemeindevertretung bei den nächsten Kommunalwahlen. Sie finden voraussichtlich im Mai 2019 statt, zeitgleich mit der Europawahl.

Das Ehepaar Lohmeyer zusammen mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig (links)
Das Ehepaar Lohmeyer zusammen mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Schwesig (links)

© B. Kriemann/Future Image/Imago

Birgit Lohmeyer warf Wandel und anderen Kommunalpolitikern eine "sehr gefährliche Blauäugigkeit" vor. Die Stimmung im Dorf sei "ganz scheußlich", sagt sie. "Das Gemeindewesen ist in rechter Hand. Die bestimmen, was hier passiert und was hier nicht passiert." Im Gemeinderat sind SPD und Freie Wähler mit jeweils vier Mitgliedern vertreten, die CDU mit zwei und die Linke mit einem. Die Linken-Gemeinderätin Simone Oldenburg, die auch Vorsitzende der Linke-Landtagsfraktion ist, nahm an der Abstimmung nicht teil.

Amadeu-Antonio-Stiftung warnt vor "No-Go-Area für Demokraten"

Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu-Antonio-Stiftung sagte dem Tagesspiegel, es sei nicht das erste Mal, dass Gägelow durch eine fehlende Abgrenzung zum gewaltbereiten Rechtsextremismus auffalle. "Mittlerweile bestätigt sich der Eindruck, dass der Gemeinderat die rechtsextreme Szene regelrecht hofiert. Er riskiert damit, dass sich die Neonazis in der Gemeinde weiter strukturell verankern und Gägelow zu einer No-Go-Area für Demokraten und Andersdenkende wird."

Pachtzins beträgt 65 Euro im Jahr

Laut NDR geht es um um ein 3.700 Quadratmeter großes Grundstück, das für 65 Euro im Jahr verpachtet werden solle. Die Lohmeyers meinen, dass bei diesem Pachtzins nicht davon ausgegangen werden könne, dass es der Gemeinde um ein finanzielles Interesse gehe. Sie fragen: "Aber welches dann?"

Die Fläche diente bisher als Parkplatz für das Festival "Jamel rockt den Förster", bei dem zuletzt Ende August auch Herbert Grönemeyer als Überraschungsgast auftrat. Auch die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern, Manuela Schwesig (SPD), stand auf der Bühne. Grönemeyer sagte auf dem Festival: "Das Land ist nervös, die Zeiten sind nervös und wir müssen lernen, Haltung zu zeigen, den Mund aufzumachen und laut zu werden, richtig laut zu werden, damit die rechte Szene merkt: Das ist hier nicht gewollt."

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Auch die Polizei habe die Wiese bisher genutzt, um das Festival abzusichern, heißt es weiter in dem NDR-Bericht. Allerdings solle eine Sonderklausel im Pachtvertrag dafür sorgen, dass der Bereich während des Festivals gegen Rechtsextremismus freigehalten wird. Timo Reinfrank von der Amadeu-Antonio Stiftung fordert das Innenministerium dazu auf, die im Rahmen der Kommunalaufsicht die Verpachtung "an demokratiefeindliche Kräfte" zu unterbinden. "Nicht zuletzt, weil der viel zu geringe Pachtzins eher einer Förderung statt einer Mietabgabe gleich kommt."

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