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Zelte in einem Flüchtlingscam im Nordosten Kenias.

© Boris Roessler/picture alliance / dpa

Masterplan Migration: Es geht nicht nur um Abgrenzung, sondern auch um den Kampf gegen Fluchtursachen

Innenminister Seehofer will mit seinem Masterplan auch Ursachen der Migration in den Blick nehmen. Er greift dabei auf Ideen von Entwicklungsminister Gerd Müller zurück.

Der „Masterplan Migration“ des Innenministers Horst Seehofer (CSU) hat ein klares Ziel: die „Ordnung, Steuerung und Begrenzung der Zuwanderung“. In der öffentlichen Debatte dazu geht es vor allem um den Schutz der deutschen und europäischen Grenzen, um den Bau von Zäunen und Aufnahmelagern sowie um schnelle Abschiebungen illegal eingereister Flüchtlinge. Doch damit allein erledigt sich das Fluchtproblem nicht. Viel wichtiger sei es, die Ursachen der Migration in den Blick zu nehmen, sagen Experten. Gemeint sind Kriege, Armut und politische Krisen im globalen Süden, die immer mehr Menschen aus ihrer Heimat vertreiben. Auch darauf will Seehofers „Masterplan“ eine Antwort geben. Unter Stichwörtern wie „Armutsbekämpfung“ und „Verringerung von Fluchtursachen“ finden sich in dem Papier des CSU-Chefs eine Reihe von entwicklungspolitischen Instrumenten.

Wer steckt hinter dem Konzept?

Dass zu einer Antwort auf die Migrationsfrage auch die enge Kooperation mit Afrika gehört, für diese Idee macht sich in der Bundesregierung vor allem Gerd Müller (CSU) stark. Der Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit setzt sich seit 2013 vehement für einen Ausbau der staatlichen Entwicklungsförderung ein. Mit Erfolg: Im Haushaltsjahr 2017 verfügte er über einen Etat von 8,5 Milliarden Euro. In diesem Jahr darf Müllers sogar 9,4 Milliarden ausgeben – ein Rekordwert. Bei der Suche nach Unterstützern für seine Ideen ist der CSU-Mann bei den Kabinettsmitgliedern offenbar recht erfolgreich. Selbst Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) griff am Mittwoch Müllers Gedanken auf, als sie in ihrer Regierungserklärung sagte: „Wir brauchen einen Pakt mit Afrika.“ Auch Seehofers „Masterplan“ trägt in Teilen deutlich Müllers Handschrift. Die entwicklungspolitischen Maßnahmen in dem Papier könnten direkt aus der Feder des Entwicklungsministers stammen. Sie lassen sich auch als der christ- soziale Ausgleich für das harte „Grenzregime“ ansehen, das die CSU jetzt durchsetzen will.

Wie will der „Masterplan Migration“ Fluchtursachen bekämpfen?

Der „Masterplan Migration“ soll die Lebensbedingungen in den Herkunftsländern verbessern, um Menschen einen Anreiz zum Bleiben zu bieten. Klassische Entwicklungspolitik also. Als Instrumente führt das Papier den Aufbau von Infrastruktur und „Investitionen in Bildung und Beschäftigung“ in den Ländern Afrikas und des Nahen Ostens auf. Dort sollen dauerhaft Arbeitsplätze geschaffen werden, um den Menschen vor Ort eine Perspektive zu geben. Das alles kostet viel Geld. Allein im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeite (BMZ) bestehe im kommenden Jahr ein „zusätzlicher Gesamtbedarf“ von 880 Millionen Euro, heißt es im „Masterplan“.

Viele der entwicklungspolitischen Ideen aus dem Seehofer-Papier sind allerdings nicht neu. Fachleute reden seit Jahren über diese Punkte. Einiges davon steht auch im „Marshallplan mit Afrika“, den Müller immer wieder propagiert. Auch gibt es im BMZ ein Programm „Perspektive Heimat“, das rückkehrwillige Migranten unterstützen soll. Das Gleiche will jetzt auch Seehofer. In seinem Papier ist die Rede von einem „Aktionsplan zur freiwilligen Rückkehr“. Mit Seehofers „Masterplan“ stehen nun also auch Müllers „Marshallplan“ und die Ideen aus dem Entwicklungsministerium plötzlich im Vordergrund der Migrationsdebatte – und damit auf einmal im Fokus des öffentlichen Interesses.

Was ist der „Marshallplan mit Afrika“?

Ursprünglich als Plan „für“ Afrika entworfen, verfolgt Müller den „Marshallplan mit Afrika“ seit seinem Amtsantritt als Entwicklungsminister. Es ist ein groß angelegtes Konzept zur Bekämpfung der Armut in Afrika – nun soll es zusätzlich dazu dienen, die Migration aus dem Süden in den Griff zu bekommen. Im Mittelpunkt steht dabei die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit afrikanischen Staaten. Wichtig ist auch die Stärkung von Schul- und Berufsbildung in Afrika. Auch Friedenspolitik sowie die Fragen nach Menschenrechten und Demokratie kommen in dem Konzept vor. Alles steht unter dem Motto „Fordern und Fördern“: Afrikanische Regierungen sollen finanzielle Hilfe erhalten und sich im Gegenzug zur Einhaltung bestimmter Standards, etwa im Umweltschutz, verpflichten. Laut BMZ wurde das Konzept in Abstimmung mit Akteuren aus der Wirtschaft, den Kirchen und der Politik erarbeitet. Benannt ist der „Marshallplan“ nach einem gleichnamigen Hilfspaket, mit dem die Amerikaner nach dem Zweiten Weltkrieg dem zerstörten Deutschland und Westeuropa wieder auf die Beine halfen. Das Förderprogramm aus dem BMZ soll das Gleiche jetzt für Afrika bewirken. Es hat aber auch einen Eigennutz für Deutschland – die Erschließung neuer Märkte. In Afrika „wachsen die globalen Märkte, die Kunden und Mitarbeiter der Zukunft heran“, heißt es dazu auf der Webseite des BMZ.

Was taugen die Pläne aus dem BMZ?

Das BMZ ist bemüht, die afrikanischen Länder als Partner zu behandeln – die Zeiten des kolonialen Blicks von oben herab sollen vorbei sein. So ist im „Marshallplan“ die Rede von „fairen Handelsbeziehungen“ zwischen Europa und den Staaten Afrikas. Der gute Wille ist erkennbar. Für Handelsfragen ist allerdings das Bundeswirtschaftsministerium zuständig. Das Ziel im BMZ: weg von der Vergabe von staatlichen Almosen, hin zu privatwirtschaftlicher Kooperation auf Augenhöhe. Insgesamt ist Müllers Plan ambitioniert, Fachpolitiker aus verschiedenen Parteien loben ihn – auch weil er die Probleme Afrikas gebündelt anspricht: vom Thema Hunger bis zu Handelsfragen. Ob der Plan jedoch realistisch ist, ist eine andere Frage.

Lässt sich die Migration so eindämmen?

Viele kritisieren, dass der „Marshallplan“ jetzt in Teilen in Seehofers „Masterplan“ aufgegangen ist. Denn damit werde die Entwicklungszusammenarbeit nicht nur „instrumentalisiert“, also dem Ziel der Eindämmung von Migrationsbewegungen untergeordnet. Die Rolle, die Entwicklungspolitik in der Migrationsdebatte spielen kann, werde von Seehofer und Müller völlig überschätzt, sagen Kritiker. Denn ob sich Müllers Plan wirklich als Mittel gegen die Flucht übers Mittelmeer eignet, darf bezweifelt werden. So ist nicht davon auszugehen, dass Vorhaben wie der „Marshallplan“ schnelle Erfolge erzielen werden. Normalerweise sind Entwicklungsprojekte auf Zeiträume zwischen 20 und 50 Jahren angelegt. Zwar strebt Müller zügige Durchbrüche an. Doch dürfte es alleine Jahrzehnte dauern, um den flächendeckenden Zugang zu Bildung in afrikanischen Ländern sicherzustellen. Und selbst wenn das rasch gelänge: Dann gäbe es noch mehr junge Afrikaner, die trotz Abschluss keinen Job in ihrer Heimat finden.

Auch Müllers Wunsch nach mehr deutschen Investitionen in Afrika dürfte sich als schwer erfüllbar herausstellen. Wirtschaftsvertreter sind generell zurückhaltend, wenn es darum geht, in die ärmsten Länder Afrikas zu investieren – doch genau dort wird das Geld am dringendsten gebraucht. So wird es kaum einen Unternehmer geben, der in Krisenstaaten wie den Sudan investiert, wo täglich Menschen fliehen müssen. Im „Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft“ sind gerade einmal 600 Unternehmen organisiert – nicht viel bei mehr als 50 afrikanischen Ländern. Dort, wo das Geld gebraucht wird, in den labilen Demokratien und den bettelarmen Regionen, kommt es nicht an.

Doch selbst wenn Müllers „Marshallplan“ tatsächlich einen deutlichen Aufschwung in den Partnerländern des BMZ, wie Ghana oder Tunesien, auslösen würde: Die Migration nach Europa würde das wohl nicht eindämmen. Auch wenn die wirtschaftliche Situation sicher nur einer von vielen Gründen für Migranten ist, ihr Land zu verlassen. Mit größerem Wohlstand in der Heimat würden sich möglicherweise mehr Menschen auf den Weg nach Europa machen – weil sich mehr die Reise leisten können.

Davon abgesehen dürften deutsche Investitionen in die Wirtschaft afrikanischer Länder ohnehin einen begrenzten Effekt haben. Der Großteil der Menschen in Afrika arbeitet im „informellen Sektor“, in der Landwirtschaft als Kleinbauern oder in anderen Jobs mit geringem Einkommen. Von Investitionen deutscher Firmen würden sie wohl nur wenig profitieren.

Was sagen die Afrikaner?

In Afrika ist der „Marshallplan“ umstritten. Der Name sei unglücklich gewählt, sagen viele. Außerdem sei das Konzept ohne die Beteiligung afrikanischer Akteure erstellt worden und richte sich zu sehr nach deutschen Interessen. Dass nun auch noch die Entwicklungshilfe im Kampf gegen die Migration dienen soll, dürften in Afrika die wenigsten verstehen. Denn auf dem Kontinent gilt die Wanderung über Gebietsgrenzen hinweg seit Jahrhunderten als normal, als Quelle des Wohlstands. So baut die westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft ECOWAS gerade ihre Staatsgrenzen ab, um Migration zu erleichtern – also das Gegenteil dessen, was sich die Europäer wünschen.

Vielleicht lässt sich so erklären, was der ghanaischen Präsident Nana Akufo-Addo im Dezember 2017 sagte: „Wir können nicht länger eine Politik für unsere Länder und Regionen verfolgen, auf der Basis irgendeiner Unterstützung, die uns die westliche Welt, Frankreich oder die Europäische Union geben kann. Das hat nicht funktioniert und es wird nicht funktionieren.“

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