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Mit einem Plakat hatten sich Mieter in der Karlz-Marx-Allee gegen den Verkauf von Wohnungen an die Deutsche Wohnen SE gewehrt.

© Christoph Soeder/dpa

Maßlosigkeit hat von Berlin Besitz ergriffen: Der klappernde Mietendeckel

Vor allem Linke und Grüne wecken in Berlin mit ihrer Wohnungsmarktpolitik Heilserwartungen, die an der Wirklichkeit scheitern müssen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Lorenz Maroldt

Berlin könnte als erstes Bundesland einen „Klimanotstand“ ausrufen, der Senat wird darüber beraten. Aber nicht nur die Erderwärmung beschäftigt Berlin, zu spüren ist auch eine Erhitzung des gesellschaftlichen Klimas – und der Mietendeckel bringt den Topf zum Überkochen. Mieter gegen Vermieter, Gut gegen Böse, dafür oder dagegen – dazwischen gibt’s nichts mehr.

Die Vermieterverbände haben vorgeglüht. Anstatt sich den Spekulanten, Tricksern und Wucherern entgegenzustellen, sind sie ihren Kunden, den Mietern, in den Rücken gefallen. Das Ergebnis dieses Verbandsversagens: Es wird kaum noch differenziert, aus dem Eigentümer ist ein Feindbild geworden.

Die regierende Politik nahm das gerne auf. „Wir holen uns die Stadt zurück“, lautet Berlins Leitbild unter Rot-Rot-Grün – bei einem Mietwohnungsanteil von 85 Prozent ein billiger Durchlauferhitzer. 

Dabei haben SPD und Linke mit ihrer Privatisierungspolitik in den Nullerjahren zur angespannten Lage auf dem Wohnungsmarkt und zur Champagnerlaune der Immobilienbranche maßgeblich beigetragen. 

Vor allem für die Linke ist der Wohnungskampf Teil einer öffentlichen Trauma-Therapie: Am Ende ihrer ersten Regierungsbeteiligung lag die Partei am Boden, die Stammwähler, unmittelbar betroffen von der Austeritätspolitik, fühlten sich verraten.

Heute erwecken vor allem Linke und Grüne mit Heilsversprechen und symbolischen „Rückeroberungen“ visionäre Erwartungen, die an der Wirklichkeit scheitern müssen. Und auch die Opposition dreht die Flamme noch ein bisschen höher: Sie raunt von einer Wende zum Sozialismus und spricht von „DDR 2.0“ . Doch von Planwirtschaft ist die Koalition soweit entfernt wie der Hohenzollern-Nachwuchs vom Wiedereinzug ins Schloss.

Es wirkt so, als hätte Maßlosigkeit von der Stadt Besitz ergriffen, beim Abkassieren der Mieter ebenso wie beim Servieren politischer Wunderrezepte. Es zählt nur noch die Übertreibung, der Superlativ. 

Von „Mietenwahnsinn“ spricht die Koalition, obwohl es eigentlich „Angebotsmietenwahnsinn“ heißen müsste – raketengleich in die Höhe geschossen sind nicht die Bestandsmieten, sondern die Preise bei Neuvermietung, weil die Stadt voller wird und der Wohnungsmarkt mangels ausreichenden Neubaus leerer.

Von „Rückkaufwahnsinn“ sprechen dagegen die Kritiker der Koalition – und sehen sich bestätigt durch den neuesten Deal: Der Senat feiert sich für die Übernahme von 6000 Wohnungen des luxemburgischen Unternehmens Ado Properties durch die landeseigene Gewobag, der Preis: 920 Millionen Euro. Der Regierende Bürgermeister freut sich: „Für das Land Berlin ein Gewinn.“ 

Gewonnen hat aber vor allem Ado Properties: Erst vor fünf Jahren hatte die Immobiliengesellschaft das Paket für gerade mal 375 Millionen Euro gekauft. So befeuert die Koalition den Börsenwert genau jener Unternehmen, die sie zu bekämpfen vorgibt.

Zu den Widersprüchen, von Parolen übertönt, klappert der Mietendeckel, bereits demoliert durch seine Erfinder wegen unhaltbarer Versprechen, ungeklärter Rechtsfragen, ungelöster Administration. Die Enttäuschung wird jene treffen, die am zurückhaltendsten waren. 

So erhitzt sich Berlin weiter, wie aus anderen Gründen der Rest der Welt. Ein Dilemma. Aber eine Politik, die Gefühle in Stimmung verwandelt, handelt populistisch, also: verantwortungslos.

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