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Massiver Konzernumbau: Wohin fährt die Deutsche Bahn?

Die Deutsche Bahn schreibt in diesem Jahr einen Milliardenverlust und startet das größte Reformprogramm seit 1994. Was ändert sich? Fragen und Antworten.

Ein Milliardenverlust im laufenden Jahr, Stellenabbau im nächsten? Dann das Dauerproblem mit der Pünktlichkeit der Züge: Häppchenweise waren in den vergangenen Tagen Meldungen aus dem Riesenunternehmen Deutsche Bahn gesickert, die wenig Gutes ahnen ließen. Derweil kamen vom Aufsichtsrat erste Informationen zu dem in den vergangenen drei Monaten von einer hochrangigen Arbeitsgruppe erstellten Plan „Zukunft Bahn“, mit dem das Unternehmen wieder auf die Spur kommen will. Am Donnerstag stellten alle sieben Vorstände unter Führung von Rüdiger Grube in Berlin die nun genehmigte Strategie vor. Die Herren sprechen vom größten Umbau seit der Bahnreform von 1994.

Warum wird die Reform nötig?

Vor drei Jahren, Anfang 2013, wurde der Fernbusmarkt liberalisiert. Immer neue Anbieter drängen in den Wettbewerb um die Mittel- und Langstrecke. Zunächst versuchte die Bahn, die neue Konkurrenz kleinzureden. Doch zu viele preisbewusste Reisende nehmen mittlerweile die in der Regel längeren Fahrzeiten in Kauf und genießen einige Annehmlichkeiten, die die Bahn bis heute nicht bieten kann: kostenloses Internet zum Beispiel. Die anhaltend niedrigen Benzinpreise machen zudem Autofahrten attraktiv. Auch das setzt der Bahn zu.

Ein offensichtliches Problem sind die mangelnde Pünktlichkeit der Züge. Derzeit kommen nur knapp 75 Prozent mit weniger als fünf Minuten Verspätung an. Der Güterverkehr bereitet Sorgen. Dieses Segment hat sich nie wirklich vom Einbruch durch die Finanz- und Wirtschaftskrise erholt. Die vielen Lokführerstreiks der jüngeren Vergangenheit haben das Vertrauen der Industriekunden, ihre Güter auf der Schiene zu befördern, nicht eben gesteigert.

Wie geht es dem Konzern finanziell?

Im historischen Vergleich relativ schlecht. In diesem Jahr dürfte die DB erstmals seit vielen Jahren unterm Strich wieder einen Verlust schreiben: 1,3 Milliarden Euro soll das Minus betragen. Genaues steht erst mit dem Jahresabschluss im März fest. Vor fünf Jahren noch hatte Grube langfristig einen Jahresumsatz von 70 Milliarden Euro für das Jahr 2020 als Ziel ausgerufen. Anfang 2015 wurde das Ziel auf 50 Milliarden reduziert. Jetzt auf 47. Grube erwartet in diesem und im nächsten Jahr Sonderbelastungen in Höhe von zwei Milliarden Euro. Davon entfallen 1,3 Milliarden auf Abschreibungen im Güterverkehr. Weil die Züge nicht so viel erwirtschaften wie erhofft, muss das Unternehmen deren Wert berichtigen.

Im internationalen Vergleich aber geht es der Bahn relativ gut: Andere Staatsbahnen stehen deutlich schlechter da. Die DB AG mischt auch im Ausland mit: Im liberalisierten Regionalverkehr in Großbritannien zum Beispiel ist sie der drittgrößte Spieler und hat am Donnerstag noch einmal bestätigt, die Nummer eins werden zu wollen.

Heißt es jetzt sparen oder investieren?

Beides. Einige Maßnahmen des Programms haben Kostensenkungen zum Ziel. So werden bei der defizitären Sparte DB Schenker Rail (Güterverkehr) Kapazitäten abgebaut, Verladestellen geschlossen und wohl bis zu 2600 Arbeitsplätze abgebaut. Zugleich will der Konzern investieren: 55 Milliarden Euro in den kommenden fünf Jahren, 40 Milliarden davon in Infrastruktur. Das relativiert diesen Riesenbetrag, da Schienen Straßen, Brücken und Bahnhöfe regelmäßig erneuert werden müssen. In neue Produkte und zusätzliches Personal fließt weit weniger. Dass die Bahn mittel- und langfristig aber wachsen und investieren muss und will, zeigt die Absicht, Schulden zu machen. Der Schuldenstand soll von 16,2 Milliarden Euro (2014) auf 22 Milliarden Euro 2020 steigen.

Was heißt das für die Beschäftigten?

Konkret war am Donnerstag von 2600 der europaweit 30 000 Stellen bei der Gütertochter Schenker die Rede, die abgebaut werden sollen. Allerdings betonte Personalvorstand Ulrich Weber, dass es bestehende Tarifverträge mit der Eisenbahnergewerkschaft gibt. Betriebsbedingte Kündigungen sind offenbar nicht geplant. Ziel der Gespräche, die ab Januar beginnen, ist es, den Großteil der Mitarbeiter in anderen Bahn-Gesellschaften unterzubringen, beim Servicepersonal im Personenverkehr zum Beispiel.

Auch in der Verwaltung dürfte Personal abgebaut werden, was auch die Konzernzentrale am Potsdamer Platz in Berlin treffen dürfte. Das hängt mit der geplanten Auflösung von Doppelstrukturen zusammen, die im Zuge des 2008 avisierten Teil-Börsenganges der Bahn vorgesehen war. Hier machte das Unternehmen keine konkreten Angaben. Der große Kahlschlag, den manche erwartet haben, scheint vorerst auszubleiben. Die Zahl von konzernweit rund 295 000 Mitarbeitern dürfte nur geringfügig sinken.

Wie will die Bahn pünktlicher werden?

Infrastruktur-Vorstand Volker Kefer sagte am Donnerstag, er gehe davon aus, dass für die Kunden nicht die Pünktlichkeit der Züge an sich wesentlich sei, sondern „Anschlusserreichung“. Sei’s drum. Derzeit sind nur knapp 75 Prozent der Züge pünktlich (das ist nach Bahn-Definition nicht mehr als sechs Minuten Verspätung). Das Ziel sind 85 Prozent, bei Regional- und Güterzügen sollen 95 Prozent erreicht werden. Dazu wolle man sich aus einem Baukasten von zehn bis 15 Maßnahmen bedienen. Als Beispiele nennt die Bahn den verstärkten Einsatz von digitaler Technik, mobileren Teams, um technische Störungen zu beseitigen. Die sollen dezentraler – also auch außerhalb der DB-Werke – positioniert werden, damit die Mitarbeiter schneller Weichen, Klimaanlagen, Antriebe und Toiletten reparieren können. Auch die Fahrpläne sollen „verlässlicher“ konstruiert werden, bei hochbelasteten Verkehrsknoten werde mehr Zeitpuffer eingeplant. Auch das Baumanagement soll verbessert, große Vorhaben sollen gebündelt werden. An den Bahnhöfen soll es Sonderteams geben, die sich ausschließlich um die pünktliche Abfahrt der Züge kümmern. Bis 2020 sollen auch 30 000 Weichen auf den am stärksten befahrenen Strecken mit neuer Technik nachgerüstet werden.

Was können Kunden noch erwarten?

„Kunden erwarten schnell verfügbare, widerspruchsfreie und belastbare Informationen“, hat man bei der Bahn erkannt. Mit dem Aufbau einer neuen Informationsplattform will die Bahn das erfüllen – bereits im kommenden Jahr. Der DB Navigator, abrufbar über Handys, soll eine verbesserte Reisebegleitung durch genaue Verspätungs- und Anschlussprognosen bieten. Die elektronischen Anzeigetafeln werden mehr Textzeilen bekommen, um mehr Informationen anzeigen zu können. Auch das Dauerproblem ständig geänderter Wagenreihenfolgen und unnötiger Gleiswechsel will die Bahn durch bessere Steuerung in den Griff bekommen.

Wichtig für den Wettbewerb mit den Fernbussen ist das Thema mobiler Internetzugang. In den nächsten fünf Jahren will die Bahn Deutschlands größtes mobiles Wlan-Netz installiert haben und Kunden diesen Service „übergangslos entlang der gesamten Reisekette“ bieten. Auch die Mobilfunkverbindungen sollen mit besserer Empfangstechnik nachgerüstet werden. Bereits 2016 Jahr will das Unternehmen das kostenlose Infotainment auf Zügen und Bahnhöfen ausbauen und eine neue Film-Datenbank mit Pay-per-View-Angeboten einrichten.

Wie steht es um einen Börsengang der Bahn?

Das Thema Börsengang des Konzerns ist auf absehbare Zeit kein Thema mehr. Allerdings erwägt der Vorstand einen Teilverkauf der Gütersparte DB-Schenker Rail und der britischen Nahverkehrsgesellschaft Arriva für Investoren. Einen Komplettverkauf schloss das Unternehmen aus. „Die hübschesten Töchter, die wir haben, wollen wir nicht zur Adoption freigeben“, sagte Finanzvorstand Richard Lutz. Konzernchef Grube fasste das Zukunftsprogramm so zusammen: „Erstens: Wir räumen auf. Zweitens: Wir werden konsequenter – vor allem im Hinblick auf die Zufriedenheit unserer Kunden. Und drittens: Wir greifen an. Mit besserer Pünktlichkeit und Qualität“. An diesen Worten werden Kunden ihn messen.

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