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Jens Spahn (CDU), Bundesminister für Gesundheit, spricht in einem Pressestatement zum Gesetzentwurf zur Impfpflicht.

© Kay Nietfeld/dpa

Masernimpfpflicht: Der gefährliche Irrtum von Gesundheitsminister Spahn

Gut gemeint ist nicht gut gemacht: Die von Jens Spahn geplante Impfpflicht gegen Masern könnte das Problem größer machen, als es ist. Ein Gastbeitrag.

Der Gesetzentwurf von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zur Einführung einer Impfpflicht gegen Masern ist wissenschaftlich unbegründet und könnte das Problem sogar verschärfen.

Die weit überwiegende Mehrheit der Eltern in Deutschland entscheidet sich bereits freiwillig für die Impfung: Bei den gerade veröffentlichten Schuleingangsuntersuchungen des Jahres 2017 waren 97,1 Prozent der Kinder mindestens einmal und 92,8 Prozent zweimal gegen Masern geimpft. Mit beiden Zahlen liegt Deutschland sowohl weltweit als auch in Europa im Spitzenbereich. Die wenigen Staaten mit noch höherer Quote haben mehrheitlich keine Impfpflicht.

Spahn fordert sie, weil es immer noch zu viele Masernfälle gibt (im Jahr 2018 waren es 542). Das mit der Weltgesundheitsorganisation WHO vereinbarte Ziel, die Krankheit bis 2015 zu eliminieren, sei nicht erreicht worden, weil dafür mindestens 95 Prozent der Bevölkerung zweimal geimpft sein müssten.

Tatsächlich stagniert der Anteil der zweimal geimpften Kinder seit Jahren bei 93 Prozent. Doch daran ist weder eine Impfmüdigkeit Schuld noch ist dies der Grund, warum Deutschland die Masern nicht in den Griff bekommt.

Es drohen sogar wieder "Masernparties"

Eltern, die nur die zweite Dosis auslassen, sind keine egoistischen Impfschmarotzer, denen mit dem Gesetz nachgeholfen werden müsste. Impfungen werden bei kranken Kindern verschoben und später nicht mehr für wichtig gehalten. Manchmal ist die Impfreaktion beim ersten Mal so heftig, dass die Eltern Angst vor der Wiederholung haben.

Davon abgesehen sind viele unzureichend immunisierte Kinder aus Ländern mit schlechter Gesundheitsversorgung zugereist. In all diesen Fällen wäre es sinnvoll, die Betroffenen anhand eines nationalen Impfregisters gezielt anzusprechen und spätestens bei der Schuleingangsuntersuchung die versäumten Impfungen anzubieten, wie es die WHO schon lange fordert.

Nur ein Pieks... Um Masernimpfung wird gestritten, die Politik neigt einer Impfpflicht zu.
Nur ein Pieks... Um Masernimpfung wird gestritten, die Politik neigt einer Impfpflicht zu.

© DPA

Esoterisch oder religiös motivierte, radikale Impfgegner dürften sich dagegen auch durch Strafandrohungen nicht beugen lassen. Gleichgesinnte Kinderärzte und Eltern können immer Wege finden, das Gesetz zu umgehen. Wenn Impfverweigerer in die Illegalität getrieben werden, entstehen versteckte Populationen mit unzureichender Immunität: Ein epidemiologischer Albtraum. Obendrein könnte es zu einer Renaissance der berüchtigten "Masernparties" kommen, bei denen Kinder vorsätzlich angesteckt werden.

Die 95-Prozent-Marke ist ein Irrglaube

Spahns Hauptargument, wonach besonders gefährdete Menschen ab einer Impfquote von 95 Prozent durch die "Herdenimmunität" geschützt wären, ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Weil bereits die Erstimpfung etwa 90-prozentigen Schutz verleiht, entsprechen die fehlenden Zweitimpfungen einer Impflücke von wenigen Zehntel Prozent. Selbst wenn diese Lücke durch die Impfpflicht geschlossen würde, gäbe es genauso viele Masernausbrüche wie heute. Der Grund sind aus dem Ausland eingeschleppte Infektionen, die sich immer in begrenztem Umfang weiterverbreiten können.

In den USA, wo die Masern offiziell bereits seit zwei Jahrzehnten eliminiert sind, wurden in diesem Jahr bereits 764 Fälle in 23 Bundesstaaten registriert. In Deutschland gingen die meisten Ausbrüche der letzten Jahre von Asylsuchenden und kürzlich zugewanderten Menschen mit Migrationshintergrund aus. Mehr als die Hälfte der Infizierten waren ungeimpfte Erwachsene, darunter auch Mitarbeiter von Kindertagesstätten. Bemerkenswerter Weise sind die genauen Zahlen unbekannt, weil die Daten nur unvollständig erfasst werden.

Eine wirksame Bekämpfung der Masern erfordert die vollständige Dokumentation aller Ausbrüche, ein nationales Impfregister, Angebote zur Nachimpfung beim Eintritt in die Kitas und Grundschulen sowie gezielte Impfkampagnen für Migranten aus Maserngebieten und andere Problemgruppen. Auch durch eine Verbesserung des Ausbruchsmanagements könnten viele Menschen vor der gefährlichen Infektion bewahrt werden. Diese Mängel im Gesundheitssystem sind teilweise lange bekannt und wurden auch von der WHO bereits angemahnt. Minister Spahns Gesetzentwurf geht an den wirklichen Problemen vorbei.

Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Alexander Kekulé ist Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie in Halle und war langjähriger Berater der Bundesregierung für den biologischen Bevölkerungsschutz.

Alexander S. Kekulé

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