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Schauspieler Stefan Konarske ist einer der jungen Menschen an der Tankstelle.

© K.M.Krause, imago/snapshot

Martensteins Bienale (7): Eine Stunde mit Heidegger

Der Kolumnist gibt sich als einer dieser Barbaren zu erkennen, der den künstlerischen Wert eines überkandidelten Films nicht erkennt.

"Mein Bruder heißt Robert und ist ein Idiot“ heißt ein deutscher Film im Wettbewerb, und er dauert drei Stunden. Nach einer Stunde bin ich aus der Pressevorführung raus und habe mir draußen die ratlosen Spanier, Amis und Franzosen angeschaut, die das Kino verließen. Thema des Films ist das Verstreichen der Zeit, zwei schöne junge Menschen liegen nahe einer Tankstelle in einem Feld, hin und wieder holen sie an der Tankstelle Bier und Zigaretten. Sie sagen: „Wie kann etwas vergehen, was ein Recht hat, zu sein“, „Alles Fragen ist ein Suchen“ oder „Wahrheit hat ihre eigene Zeit“. Die Sätze stammen zum Teil von Heidegger, dem Philosophen. Ich habe übrigens auch mal Heidegger gelesen, oh ja. Falls der Filmsatz „Ein Tier kann nicht warten“ von Heidegger stammt, habe ich den Hundefreund Heidegger bei einem Irrtum ertappt. Hunde können gut warten, zum Beispiel auf Futter. In dem Film hatte ich rasch den Eindruck gewonnen, dass da für mich kein Futter mehr kommt.

Überraschung mit Astrid

Zu überkandidelten Filmen dieser Art sind alle Witze gemacht. In den 70ern und 80ern wurden die oft gedreht. Sie werden mit Fördergeldern hergestellt und können es sich leisten, auf Publikum zu verzichten. Es finden sich immer ein paar Kritiker, die das gut finden oder einfach nur Angst haben, dass man sie für Barbaren hält, die den künstlerischen Wert dieses Werkes nicht erkennen. Ein Spielfilm über Heideggers Gedanken und die Zeit wäre natürlich genial, wenn er so gemacht ist, dass ein stinknormaler Abiturient etwas damit anfangen kann. Fassbinder hätte das hingekriegt, auch Michael Haneke traue ich es zu.

Große Künstler schaffen es, komplizierte Ideen einfach auszudrücken. Leonardo malt ein Bild, und du verstehst, was Schönheit ist. So eine Künstlerin war auch Astrid Lindgren. „Becoming Astrid“, der Film über ihre Jugend, war meine positive Festivalüberraschung. Sie verführt ihren Chef, wird schwanger, er will sie heiraten, sie sagt Nein. Der Film handelt von Emanzipation, aber auch von der Zeit, die für ein Kind viel schneller verstreicht als für Erwachsene. Sie muss Lasse weggeben, er lehnt sie ab, wenn sie ihn besucht. Dann nimmt sie ihn zu sich, als er etwa drei ist, und fängt an, Geschichten zu erzählen, um sein Herz zu erobern. Wie viele Leute rennen auf der Berlinale herum, die von ihren Kindern vermisst werden und auch selber lieber bei ihren Kindern wären? Ich mache jetzt Schluss und gehe nach Hause.

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