zum Hauptinhalt
Eine uraltes Land, welches der Jugend zu Füßen liegt statt das Alter zu feiern, leidet an Selbsthass.

© imago images / imagebroker

Martenstein über Generationen: Die Jugend ist nicht die einzige revolutionäre Kraft

Seit dem Rezo-Video ist Deutschland von der Jugend begeistert. Dabei ist das Land uralt. Fragen nach der Zukunft gehen sie alle an. Eine Glosse.

Eine Glosse von Harald Martenstein

Zurzeit herrscht bei vielen große Begeisterung für die Jugend. Ausgelöst wurde diese Euphorie durch ein millionenfach geklicktes Video, in dem der Youtube-Star Rezo vor allem der CDU und nebenbei der SPD die Leviten liest, und durch die Tatsache, dass die Grünen bei Wählern unter 60 Jahren bei der Europawahl stärkste Partei wurden. Einige Fernsehmoderatoren flippen aus vor Glück.

Im Durchschnitt ist Deutschland ja uralt. Die Alten sind zahlreicher als je zuvor. Eine uraltes Land, welches der Jugend zu Füßen liegt statt das Alter zu feiern, leidet an Selbsthass. Und dass 80P rozent gar nicht die Grünen gewählt haben, sondern etwas anderes, wissen viele vermutlich gar nicht.

Falls ein 80-jähriger Influencer die CDU verflucht hätte, zwölf Millionen Klicks, dann würde im Fernsehen wohl das Loblied des Alters gesungen. Aber das Leben bringt es mit sich, dass die meisten in seinem Verlauf eher konservativer werden, außer Bernie Sanders natürlich. Da dies in der Geschichte immer so gewesen zu sein scheint, ist nicht einmal auszuschließen, dass Rezo mit sechzig ein Video für die CDU dreht. Er wäre dann nicht mehr die Essenz reiner Jugend, sondern die Essenz von etwas anderem – von was eigentlich? Was unterscheidet einen durchschnittlichen 60-jährigen Menschen von einem durchschnittlichen 25-Jährigen? Dass die Alten an der Zukunft nicht interessiert sind, weil sie nicht mehr viel Zukunft vor sich haben, ist jedenfalls ein Irrtum. Die meisten Alten haben Kinder, die sie lieben, die meisten Jungen haben keine. Deshalb denkt der junge Mensch vielleicht sogar egoistischer als der Ältere.

Veränderungen können zerstörerisch sein

Wenn du jung bist, hältst du das, was du an Gutem vorfindest, für selbstverständlich. Die Alten wissen, dass man zum Beispiel Wohlstand auch leicht verspielen kann, er ist kein Naturereignis, sondern die Folge harter Arbeit und richtiger Entscheidungen. Veränderungen können auch zerstörerisch sein. Und was die Ankündigung von Apokalypsen angeht – Rezo sagt, wir haben noch neun Jahre bis zum fucking Finish – wird man automatisch gelassener, wenn man schon einige medial groß angekündigte Apokalypsen überstanden hat. „Die Jugend ist die einzige revolutionäre Kraft“, hieß es dieser Tage im Tagesspiegel. Ein Blick auf die meisten Revolutionen des 20. Jahrhunderts macht einem allerdings nicht unbedingt Lust auf mehr davon.

Es ist eigentlich gut, wenn die Kräfte der Veränderung und der Beharrung streiten und miteinander um Kompromisse ringen müssen und wenn sie sich nicht gegenseitig die Existenzberechtigung absprechen. Wer „Jugend“ oder „Alter“ für ein Verdienst hält oder sogar für ein Argument, ist eh blöd. Die jüngste politische Führungscrew, die Deutschland je hatte, kam 1933 ans Ruder.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false