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Die Wahlchancen der Rechtspopulistin Marine Le Pen stehen so gut wie nie.

© Stephane De Sakutin/dpa

Rechtspopulistin im Umfragehoch: Marine Le Pen träumt von Frankreichs höchstem Amt

In einem Jahr stehen in Frankreich Präsidentschaftswahlen an. Die Chancen der Rechtspopulistin Marine Le Pen sind so gut wie nie zuvor.

Sie ist wieder da. Nach der letzten Präsidentschaftswahl in Frankreich wirkte Marine Le Pen wie ein politisches Auslaufmodell. In der entscheidenden Stichwahl hatte Emmanuel Macron die Rechtspopulistin auf den zweiten Platz verwiesen. In ihrer eigenen Partei galt sie als angezählt, weil sie sich mit einem zu eurokritischen Wahlkampf ins Abseits bugsiert hatte.

Vier Jahre ist das inzwischen her. Heute, ein gutes Jahr vor der nächsten Präsidentschaftswahl, deutet vieles auf eine Neuauflage des Duells zwischen Amtsinhaber Macron und Le Pen hin. Falls sich tatsächlich der Präsident und seine ärgste Widersacherin in der Stichwahl gegenüberstehen sollten, wären die Vorzeichen ganz anders als 2017.

Wie eine Bombe schlug eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Harris Interactive Ende Januar im politischen Paris ein, der zufolge Le Pen im zweiten Wahlgang 48 Prozent der Stimmen verbuchen könnte.

Berücksichtigt man die Fehlermarge, scheint ein Einzug von Marine Le Pen in den Elysée-Palast demnach denkbar. Vor vier Jahren erreichte die Rechtspopulistin gerade einmal 34 Prozent.

Den Aufstieg in den Umfragen hat Le Pen einem entscheidenden Schwenk zu verdanken. Die Vorsitzende der Partei „Rassemblement National“ hat inzwischen einige ihrer früheren Positionen weichgespült. Vom Austritt Frankreichs aus der Euro-Zone ist keine Rede mehr, ebenso wenig vom Ende der Freizügigkeit im Schengen-Raum. Dagegen muss Macron damit kämpfen, dass immer mehr Franzosen seinen Führungsstil in der Pandemie, mit dem er das Parlament weit gehend kalt gestellt hat, kritisch sehen.

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Zwar genießt Macron im Vergleich zu seinen Amtsvorgängern François Hollande und Nicolas Sarkozy immer noch eine größere Popularität. Aber trotzdem könnten ihn im Duell mit Marine Le Pen diesmal die entscheidenden Stimmen fehlen.

Viele traditionelle Linkswähler entschieden sich 2017 für den liberalen Pro-Europäer Macron allein schon deshalb, weil sie Marine Le Pen als Staatschefin verhindern wollten. Doch auf diese Wähler kann sich Macron 2022 nicht mehr verlassen: Viele Linkswähler sind enttäuscht, weil die Regierung ein Gesetz plant, das Video-Aufnahmen von Polizisten bei Demonstrationen einschränkt.

Dies wird als Beschränkung der Pressefreiheit kritisiert. Schlecht kommt es auch an, dass Regierungsmitglieder wie Innenminister Gérald Darmanin Oppositionsabgeordnete  als „Islam-Linksextremisten“ brandmarken.

Marine Le Pen auf einer Linie mit dem Innenminister

Marine Le Pen erscheint wiederum wie eine gemäßigte Politikerin, seit Macron bei der Kabinettsumbildung im vergangenen Jahr mehrere Konservative aus der Ära des Amtsvorgängers Nicolas Sarkozy an Bord holte. Bei einem Fernsehduell mit Darmanin konnte sich die 52-Jährige jüngst als staatstragend darstellen. Sie stimmte dem Innenminister in zahlreichen Punkten zu und lobte  das geplante Gesetz gegen den „islamischen Separatismus“, das die Bildung islamistischer Parallelgesellschaften eindämmen soll.

Ob Le Pen im kommenden Jahr der Durchmarsch gelingt, hängt von mehreren Unwägbarkeiten ab. So ist noch unklar, wen die Konservativen, die vor vier Jahren von Macron politisch verzwergt wurden, diesmal ins Rennen schicken. Falls es der Partei „Les Républicains“  gelingt, einen überzeugenden Kandidaten aufzustellen, könnte dies auch den Weg der Rechtspopulistin in die Stichwahl verbauen. Das  glaubt zumindest Frank Baasner, der Direktor des Deutsch-Französischen Instituts in Ludwigsburg. „Marine Le Pen kann nur dann in die Stichwahl gelangen, wenn sie einen Teil der Stimmen aus dem bürgerlichen Lager erhält“, so Baasner.

Spaltung des linken Lagers käme der Rechtspopulistin zugute

Entscheidenden Einfluss auf Le Pen Wahlchancen hat auch die Aufstellung im linken Spektrum vor der Wahl. Bislang hat dort nur Linkspartei-Chef Jean-Luc Mélenchon – wie schon 2017 – erklärt, dass er das Amt des Staatschefs anstrebt. Falls noch weitere Kandidaturen im linken Lager hinzukommen sollten, würde dies allerdings zur Spaltung  führen – und Le Pen könnte sich freuen.

Politikwissenschaftler Stark: Le Pen hätte Parlament gegen sich

Der Politikwissenschaftler Hans Stark, der an der Pariser Universität Sorbonne lehrt, ist sich indes sicher, dass ein möglicher Wahlerfolg von Marine Le Pen nicht nur in der gesamten EU, sondern auch in Frankreich selbst einen Schock auslösen würde. Bei der  Parlamentswahl, die in Frankreich 2022 auf die Entscheidung über die Präsidentschaft folgt, würde sich nach seiner Einschätzung zwangsläufig als Korrektiv eine klare Mehrheit gegen Le Pen formieren. Nach dem in Frankreich geltenden Mehrheitswahlrecht hat die Le-Pen-Partei nur wenig Chancen, Kandidaten bei der Parlamentswahl durchzubringen. Und ohne Parlament kann selbst  in Frankreich niemand im höchsten Staatsamt herrschen. „Es ist nicht denkbar, fünf Jahre lang allein per Dekret zu regieren“, sagt Stark.

Das Worst-Case-Szenario: Beziehungen auf Eis

„Deutschland würde die Zusammenarbeit auf Eis legen“, beschreibt der Politikwissenschaftler das europapolitische Szenario, das sich hierzulande  im Falle eines Wahlsieges von Le Pen auftun würde. Zwar würde Le Pen als Präsidentin nach den Worten von Stark noch nicht zwangsläufig eine „Endzeit“ für die EU einläuten, weil für sie Themen wie die Bekämpfung des Islamismus eher im Vordergrund stünden als mögliche Gedankenspiele über einen EU-Austritt Frankreichs. Dennoch müsse  eine Kooperation mit ihrer   Partei schon deshalb ein Tabu sein, weil der  „Rassemblement National“ im Europaparlament mit der italienischen Lega und der AfD paktiert. „Frankreich wäre in der EU isoliert, und es käme zum europapolitischen Stillstand“, beschreibt   Stark das Szenario. Macron will in den kommenden 14  Monaten alles tun,  um es zu verhindern.

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