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Marieluise Beck und Ralf Fücks am vergangenen Mittwoch vor der deutschen Botschaft in Kiew.

© privat

Marieluise Beck und Ralf Fücks über Reise nach Kiew: „Wachsende Enttäuschung über Deutschland“

Die Grünen Marieluise Beck und Ralf Fücks mahnen mehr Unterstützung für die Ukraine an - und berichten über Bitterkeit angesichts der deutschen Politik.

Auf dem Handy von Marieluise Beck wird auch am Montag wieder ein Luftalarm angezeigt. Dabei ist die ehemalige Grünen-Abgeordnete zu dem Zeitpunkt bereits wieder in Berlin, in Sicherheit. In der vergangenen Woche ist sie mit ihrem Mann, dem ehemaligen Bremer Senator und Grünen-Politiker Ralf Fücks, nach Kiew gereist, um sich über die Lage nach dem russischen Überfall auf die gesamte Ukraine zu informieren.

Auch noch nach ihrer Rückkehr kann Beck auf ihrem Handy sehen, wann sich die Menschen in der Ukraine vor russischen Luftangriffen in Sicherheit bringen müssen. Beck und Fücks sind im Nachtzug von Lwiw nach Kiew gefahren. Immer wieder gab es Luftalarm, dann blieb der Zug stehen. In Sicherheit bringen konnten sich die Menschen im Zug ohnehin nicht. Irgendwann sei sie trotzdem eingeschlafen, sagt Beck.

Nach ihrer Ankunft in der ukrainischen Hauptstadt am vergangenen Mittwoch veröffentlichen Beck und Fücks auf Twitter ein Foto, das sie vor der deutschen Botschaft zeigt. „Wir vertreten jetzt mal eine zeitlang die deutsche Botschaft in Kyiv“, schreibt Beck dazu. Dieser Schnappschuss ist ein politisches Statement, denn die Botschaft ist derzeit geschlossen. Kürzlich reisten die Regierungschefs aus Polen, Tschechien und Slowenien demonstrativ in die ukrainische Hauptstadt, und auch die EU-Parlamentspräsidentin Roberta Metsola zeigte in Kiew ihre Solidarität mit dem von Russland angegriffenen Land.

Seit Kriegsbeginn reiste kein deutscher Politiker nach Kiew

„Man begibt sich nicht in Lebensgefahr, wenn man jetzt nach Kiew geht“, sagt Fücks. Doch aus dem politischen Berlin ist seit dem 24. Februar noch niemand in die Hauptstadt oder auch nur in die Westukraine gereist. So wurden Beck und Fücks auf ihrer Reise von manchen Gesprächspartnern als Vertreter Deutschlands wahrgenommen.

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Die beiden gehören zu den Wenigen in Deutschland, die seit Jahren vor Putins Russland gewarnt haben und zugleich schon früh den Blick auf die Ukraine lenkten. Was nach der Annexion der Krim und der russischen Intervention im Donbass 2014 mit Gesprächen im kleineren Kreis in der Küche des Paares in Berlin begann, wurde später zu einem großen Projekt. Vor fünf Jahren gründeten Fücks und Beck in Berlin das Zentrum Liberale Moderne, einen Think Tank, der sich parteiübergreifend mit der Krise des Westens und der liberalen Demokratie beschäftigt. Unter dem Motto „Ukraine verstehen“ – der Titel spielte auf die so genannten „Russlandversteher“ in Deutschland an – lenkt das Zentrum den Blick in ein Land, das vielen Deutschen bis heute kaum ein Begriff ist.

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In ihren Treffen mit Abgeordneten, Regierungsvertretern und Nichtregierungsorganisationen in Kiew haben Beck und Fücks eine „wachsende Bitterkeit und Enttäuschung über Deutschland“ wahrgenommen. Der Tenor der Gespräche sei, dass Deutschland „zu langsam und nicht entschieden genug“ handele, sagt Fücks.

Die Bundesregierung unterscheide bei der Unterstützung der Ukraine immer noch zwischen Offensiv- und Defensivwaffen. „Realitätsfremd“ sei das, sagt Fücks. Die Bundesregierung will nur Defensivwaffen liefern, dagegen braucht die Ukraine nach eigenen Angaben Panzer und schwere Artilleriesysteme. „In Deutschland gibt es immer noch die Idee, man dürfe die Lage nicht eskalieren und Putin nicht provozieren“, sagt der Leiter des Zentrums Liberale Moderne. „Solange sich Deutschland von einer Politik der Furcht leiten lässt, bleibt die Eskalationsdominanz bei Russland.“

Wenn der Westen keine Flugverbotszone einrichte, müsse er die Ukrainer dazu befähigen, den Luftraum über ihrem Land zu kontrollieren, fordert Beck. „Sonst wird die Ukraine den Krieg verlieren.“ Die schrecklichen Bilder aus Butscha könnten erst der Anfang sein, warnt die ehemalige Grünen-Abgeordnete. „Gegenüber Butscha ist Mariupol ein Inferno hoch zehn.“

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