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Wissenschaftler demonstrieren am 19.02.2017 in Boston gegen die Trump-Regierung und für die Anerkennung der Bedeutung der Wissenschaft.

© dpa

March for Science: Der Kampf um die Wahrheit erreicht Berlin

Alternative Fakten und Verschwörungstheorien liegen stark im Trend. Jetzt gehen in zahlreichen Städten die Forscher auf die Straße, um die Wissenschaft zu verteidigen. Warum das auch in unser aller Interesse ist - ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Marschieren für die Wissenschaft? Als im Januar amerikanische Aktivisten nach dem Washingtoner Protestmarsch für Frauenrechte einen „March for Science“ ins Leben riefen, da zündete ihre Idee plötzlich weltweit. Mehr als 500 Demonstrationen finden am Samstag überall auf der Erde statt. Auch in Berlin wird für die Wissenschaft „marschiert“. Anders als in den USA geht es nicht so sehr um die Ignoranz des neuen amerikanischen Präsidenten gegenüber der Wissenschaft, sondern um Themen wie die vielerorts bedrohte Freiheit der Forschung und darum, der Wissenschaft eine Stimme zu geben: Hört uns zu!

Was treibt die Forscher aus ihrem sprichwörtlichen Elfenbeinturm? Woher kommt das plötzliche Bedürfnis, öffentlich für seine Sache einzutreten? Auf den ersten Blick ist die Welt der deutschen Wissenschaft in bester Ordnung. Wachsende staatliche Zuwendungen (anders als in vielen anderen Ländern Europas oder den von Kürzungen bedrohten US-Forschungslabors) machen die deutschen Hochschulen und Forschungsinstitute konkurrenzfähig und attraktiv. Daran, dass die Wirtschaft brummt, haben Forschung und Entwicklung, staatlich wie privat, wesentlichen Anteil. Bildung und Wissenschaft führen zu Wohlstand, dafür ist Deutschland ein gutes Beispiel.

Die Wahrheit hat es schwer - besonders im Internet

Doch es gibt auch eine andere Seite, und die ist weniger glanzvoll. Sie betrifft das eigentliche Kerngeschäft der Forschung, nämlich das Gewinnen von neuen Fakten und Erkenntnissen. In den Stürmen des World Wide Web hat es die Wahrheit schwer. Der Leuchtturm der Wissenschaft, der Orientierung gibt und den Weg weist, ist kaum noch sichtbar. Erbitterter denn je wird darum gekämpft, was wahr ist und was nicht, was Faktum und was Fake. Die Rede ist von einer Vertrauenskrise der Wissenschaft.

Tierversuche, Gentechnik, Impfungen, Klimawandel oder Pestizide: Es gibt viele Themen, bei denen die Kritiker die Wissenschaft überschreien: Studien, deren Ergebnisse einem nicht passen, sind gefälscht, die Forscher von der Industrie gekauft – und sowieso ergibt die nächste Untersuchung das Gegenteil. Die Forschung ist Teil des Establishments und paktiert mit dunklen Mächten.

Warum es sich lohnt, für die Wissenschaft auf die Straße zu gehen

Natürlich, die Wissenschaft hat Fehler gemacht. Zuviel versprochen, Irrtümer begangen, Schaden angerichtet oder sich verkrochen, wo sie Farbe hätte bekennen müssen. Und Forschung ist kompliziert. Ihre Ergebnisse sind vorläufig, werden mit einem „könnte“ oder „möglicherweise“ versehen, kommen mit einem großen Beipackzettel voller kleingedruckter Relativierungen daher. Statt absoluter Wahrheiten: Wahrscheinlichkeiten. Taucht zudem das Wort „Risiko“ auf, reagiert die Öffentlichkeit stets alarmiert, und mag es noch so geringfügig sein.

Dennoch, am Ende brauchen wir die Wissenschaft mehr denn je. Nicht nur für den Wohlstand, sondern auch als jene Institution, die die Fakten bereitstellt, auf deren Grundlage wir Entscheidungen für die Zukunft treffen. Vom Klimawandel über die digitale Agenda bis hin zu Ernährung, Landwirtschaft, Medizin und Gesundheit oder Energie, bei allen großen Themen sollten wir uns zu Recht auf das Fundament der Forschung verlassen können. Und manchmal kann sie sogar begeistern. Etwa, wenn sie uns Einsichten in ferne Planetensysteme vermittelt oder zeigt, wie das Gehirn funktioniert. Dafür lohnt es, auf die Straße zu gehen.

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