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Die 59-jährige Tsai Ing-wen ist die erste Frau an der Spitze Taiwans.

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Update

Machtwechsel in Taiwan: Oppositionskandidatin Tsai Ing-wen gewinnt Präsidentenwahl

Auf Taiwan wird erstmals eine Frau das höchste Staatsamt übernehmen. Die regierende Kuomintang hat ihre Niederlage eingeräumt. Die Frage ist, wie China reagiert.

Die taiwanesische Präsidentschaftskandidatin Tsai Ing-wen ist eine äußerst zurückhaltende Frau. Als sie vor fünf Jahren in Berlin den deutschen Atomausstieg lobte, sprach die 59-Jährige mit bestimmter, aber leiser Stimme. „Ich würde sagen, dass Politik ihr nicht im Blut liegt“, beschreibt der in Taipeh lebende Taiwan-Experte J. Michael Cole im „Guardian“ die Juraprofessorin. „Ihr gefällt es eigentlich sehr, bei einem Glas Rotwein zu sitzen, ein Buch zu lesen, und eine gute Zeit mit ihren Katzen zu verbringen.“ Ab Samstag jedoch wird sich Tsai Ing-wen noch mehr mit Politik beschäftigen müssen und wohl noch weniger Zeit mit ihren Katzen verbringen können. Denn sie ist am Samstag zur Präsidentin Taiwans gewählt worden. Ihr Herausforderer Eric Chu von der bisher regierenden Kuomintang (KMT) gestand seine Niederlage ein, während die Oppositionsführerin in der Auszählung mit mehr als 50 Prozent führte.

Alles andere andere als ein Sieg der Oppositionskandidatin von der demokratischen Fortschrittspartei (DPP) wäre eine riesige Überraschung gewesen. Mit zweistelligem Vorsprung führte Tsai Ing-wen vor den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen die Umfragen an. Der 54 Jahre alte Chu lag abgeschlagen ebenso weit zurück wie James Soong von der Volkspartei (PFP). Präsident Ma Ying-jeou (KMT) durfte nach zwei Amtszeiten nicht mehr antreten, er hätte aber aufgrund der aktuellen Wechselstimmung in Taiwan keine Chance auf eine Wiederwahl gehabt.

China betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz

Die Kuomintang hatte angesichts verheerender Umfragewerte drei Monate vor der Wahl den Präsidentschaftskandidaten ausgetauscht. Auch das historische Treffen von Präsident Ma Ying-jeou Anfang November in Singapur mit dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping änderte nichts an der politischen Stimmung im Land. Es war das erste Treffen der ehemaligen Kriegsgegner seit dem Ende des chinesischen Bürgerkrieges 1949. Die Kuomintang waren damals nach Taiwan geflüchtet, wo seitdem die Republik China fortgeführt wird. Die Volksrepublik hingegen betrachtet Taiwan als abtrünnige Provinz und droht mit militärischer Gewalt, sollte es die Unabhängigkeit erklären. Beide erheben den Anspruch, China international allein zu vertreten. Unter Präsident Ma verbesserten sich die Beziehungen zu China, was in Taiwan zusehends kritisch gesehen wird. Viele Inselbewohner befürchten eine schleichenden Übernahme durch den mächtigen Nachbarn. Doch eine vollständige Rücknahme der chinafreundlichen Politik ihres Vorgängers ist unter Tsai Ing-wen nicht zu erwarten.

Viele Taiwanesen fürchten eine schleichende Übernahme durch China

Der Hauptgrund für die Wechselstimmung in Taiwan ist die mäßige wirtschaftliche Lage. Die politische Annäherung an China hat sich für das Land, das gemessen am Bruttoinlandsprodukt weltweit wirtschaftlich auf Rang 22 liegt, nicht ausgezahlt. Die Wirtschaft wuchs 2015 nur um ein Prozent, die Löhne stagnieren, die Jugendarbeitslosigkeit ist hoch. Unter Tsai Ing-wen könnte sich Taiwan nun verstärkt den Asean-Staaten zuwenden und auch die Beziehungen zu den USA stärken.

Zwar sagt Tsai Ing-wen über das Verhältnis zu China: „Ich werde nicht provozieren und nichts Unerwartetes tun.“ Dennoch sieht die Volksrepublik den wahrscheinlichen Sieg der DPP mit Sorge, die Partei entstand einst aus der Unabhängigkeitsbewegung in Taiwan. Die Medien Festlandchinas konzentrieren sich bei ihrer Wahlkampf-Berichterstattung aber eher auf Skurrilitäten wie das Aussehen der Kandidaten. Das dürfte auch daran liegen, dass im Einparteienstaat mitunter argumentiert wird, das westliche Demokratie-System sei nicht mit der chinesischen Kultur vereinbar. Taiwan hat zwar bis 1987 auch eine Einparteien-Diktatur erlebt – am Samstag aber wird es erneut zeigen, dass Chinesen auch demokratisch wählen können.

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