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Am Mittwoch endet seine US-Präsidentschaft: Doch Donald Trumps Wirken wird noch lange nachhallen.

© Brendan Smialowski/AFP

Machtwechsel in den USA: Trump mag am Ende sein, aber Hass und Wut bleiben eine Gefahr

Joe Biden wird als 46. US-Präsident vereidigt. Unsere Korrespondentin erklärt, warum das trotz allem ein Hoffnungsmoment ist – und warum sie bleibt.

Einer meiner amerikanischen Facebook-Bekannten zählt konsequent von Anfang an. Mittwoch für Mittwoch postet er, wie viele Wochen vergangen sind und wie viele noch bevorstehen. Der Countdown läuft nun aus: Am Mittwoch wird Donald Trump das Weiße Haus verlassen – nach 208 Wochen. Es ist vorbei. Vorerst zumindest.

Ein lupenreines Happy End aber gibt es in Amerika nicht. Dafür hat der nur widerwillig scheidende Wahlverlierer zum Finale gesorgt. Zwei Wochen vor dem Ende dieser Chaos-Präsidentschaft wurde der ganzen Welt vor Augen geführt, wohin vier Jahre Lügen, Attacken auf die Institutionen eines Landes und Herabsetzung des politischen Gegners führen können.

Erstaunlich ist dabei, wie groß der Schock über die Eskalation auf den letzten Metern ist. Wo doch Trump von Anfang an Trump war. Schon seine Antrittsrede am 20. Januar 2017 traf alle, die gehofft hatten, dass der Republikaner nach dem Wahlkampf nun versöhnlicher klingen würde, wie ein Schlag in die Magengrube.

Vorbei die in der Rückschau naive Hoffnung, dass aus dem Populisten quasi über Nacht ein Staatsmann werden könnte, oder zumindest ein Staatsmann-Darsteller. Daran war Trump eigentlich nie interessiert, sieht man von seinem Wunsch ab, für irgendeine außenpolitische Großtat den Friedensnobelpreis zu erhalten (den er allerdings gerne mit anderen Preisen verwechselt oder ihn wahlweise bereits erhalten hat).

Bei jeder Rallye, bei jeder Rede im Weißen Haus und in fast jedem Tweet hat Trump das gesät, was jetzt blüht. Er hat den Hass auf die „Eliten“, den „Deep State“, die „Lügenpresse“ und die „Globalisten“ zwar nicht gezüchtet, aber gehegt. Sie alle hätten nur ein Ziel: den gewählten Präsidenten der Vereinigten Staaten davon abzuhalten, Amerika wieder „great“ zu machen. Seine Anhänger wiederholten das landauf, landab. Es war nicht zu überhören.

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Doch in genau dieser tausendfachen Wiederholung liegt die Gefahr: dass der Zuhörer abstumpft. Trump provoziert halt gerne, da kann man sich doch nicht jedes Mal aufregen. Und: Es sind ja nur Worte. Das habe ich oft vernommen. Selbst als professioneller Beobachter ist man nicht davor gefeit, auch mal weniger genau hinzuhören, wie mir in der vergangenen Woche noch einmal klar wurde.

Ein paar Tage nach dem chaotischen 6. Januar, als nach der Attacke auf das Kapitol irgendwann mal wieder etwas Zeit zum Durchatmen war, schaute ich mir meine Fotos und Videos an, die ich am Vormittag von den zwischen Weißem Haus und Kapitol hin- und hermarschierenden Demonstranten gemacht hatte, also vor dem Sturm. Darunter waren zwei Fotos sowie ein Video, in denen jener gehörnte Mann zu sehen war, den die ganze Welt kennt.

Trumps Anhänger prügelten einen Polizisten zu Tode

Es ist der Mann, der im Kongressgebäude mit Jogginghose, Fellmütze und nacktem, mit Runen tätowiertem Oberkörper posierte, in der Hand den Stab mit dem Star Spangled Banner. Unweit des Weißen Hauses stand der „QAnon-Schamane“ wenige Stunden zuvor und brüllte zwei Meter von mir entfernt in sein Megafon – von „Galgen“, an die man „sie“ hängen werde, von Journalisten, die wüssten, was sie erwarte. Und noch viel mehr krudes Zeug, ich bin dann weitergelaufen.

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Am selben Tag errichteten Unbekannte einen Galgen in Sichtweite des Kapitols und Trump-Anhänger tönten in den Sitzungssälen des Kongressgebäudes, dass man den „Verräter“ Mike Pence, der den „Wahlbetrug“ von Joe Biden nicht unterbinden wollte, finden und am nächsten Baum aufhängen werde. Andere prügelten einen Polizisten zu Tode, unter anderem mit einem Stab, an den eine amerikanische Flagge gebunden war, und attackierten Journalisten brutal.

Meine eigene Videosequenz hatte ich kurzzeitig vergessen. Zu oft habe ich bei diesem Wahnsinn, dieser Dämonisierung politisch Andersdenkender und kritischer Medien zugehört, seit ich im Juni 2018 nach Washington gezogen bin. Zu oft habe ich den Präsidenten und seine Familie erlebt, die bei ihren Rallyes die Menge gegen die „Fake News“-Journalisten aufpeitschten.

Es war immer ein ganz besonders schizophrenes Erlebnis, in die wutverzerrten Gesichter und auf die geschüttelten Fäuste der gleichen Leute zu blicken, die mir kurz zuvor noch freundlich erläutert hatten, warum Trump der beste, ehrlichste und friedlichste Präsident aller Zeiten sei, der aber daran gehindert werden solle, erfolgreich zu sein. Leute, die sich interessiert nach Deutschland erkundigt und von ihrer Zeit dort geschwärmt hatten.

Juliane Schäuble ist Amerika-Korrespondentin des Tagesspiegels. Sie lebt in Washington DC.
Juliane Schäuble ist Amerika-Korrespondentin des Tagesspiegels. Sie lebt in Washington DC.

© Doris Spiekermann-Klaas

Aber in der Rückschau ist die Tonlage auch schriller geworden, das Auftreten radikaler. Da waren zunehmend Trumpisten, die mir bei Wahlkampfveranstaltungen erklärten, dass auch Hitler damals „defund the police“ betrieben habe, also der Polizei den Geldhahn zudrehte, wie es die „Sozialisten“ um Joe Biden und Kamala Harris nun angeblich planten. Das wüsste ich, wenn ich mich mit deutscher Geschichte beschäftigen würde.

Andere behaupteten unter Verweis auf „das Internet“, die Opposition wolle Abtreibung „bis nach der Geburt“ gesetzlich ermöglichen und entführe Kinder, um sie zu foltern und Schlimmeres. Sucht man nach den Quellen solcher Aussagen, die mir Trump-Anhänger im Brustton der Überzeugung als „die Wahrheit“ anvertrauten, stößt man schnell auf die Verschwörungstheorien von QAnon.

Ein Mann fragte, ob ich für die Antifa-Presse arbeitete

Bei einer Demonstration vor dem Kapitol von Georgia in Atlanta wurde ich Ende November 2020 von einem älteren Mann gefragt, für wen ich arbeite: für die Antifa-Presse oder die wahren Medien. Der Fragesteller war eigens aus Texas angereist, um gegen die Verkündung von Bidens Wahlsieg in diesem Bundesstaat zu protestieren. Freundlich war er nicht mehr.

In Kenosha beschimpften mich im Spätsommer zwei Trump-Anhänger, dass „wir“ ja gar nicht über die schweren Ausschreitungen berichteten, die in der Stadt nach sieben Polizeischüssen in den Rücken eines Afroamerikaners ausgebrochen waren. Genau dafür war ich angereist. In Cleveland filmte mich ein rechter Aktivist, als er mich beim Schreiben über die TV-Debatte zwischen Trump und Biden anbrüllte, warum ich ignoriere, dass Biden zusammengebrochen sei. War er nicht, und damals waren auch sofort Sicherheitskräfte zur Stelle, die sich erkundigten, ob alles in Ordnung sei.

Aber auch andere Entwicklungen gab es, die mich immer wieder irritierten. Hochgebildete Konservative argumentierten, Nationalismus sei zu Unrecht verpönt. Sie priesen Trumps „America First“ als zeitgemäßes politisches Programm, das ja jeder Nationalstaat für sich verfolgen könne.

Aus den schweren Ausschreitungen in Kenosha sind längst friedliche Mahnwachen geworden.
Aus den schweren Ausschreitungen in Kenosha sind längst friedliche Mahnwachen geworden.

© Imago/ZUMA Wire

Sie behaupteten noch auf dem Höhepunkt der Coronakrise, Trump habe wie kein Präsident der amerikanischen Wirtschaft zum Erfolg verholfen, auch dank der aus ihrer Sicht notwendigen Handelsstreitigkeiten und trotz der gigantischen Verschuldung, die in den Augen von Republikanern eigentlich Teufelszeug ist. Wer von Trumps Steuersenkungen und den vielen Deregulierungen – gerne auch auf Kosten der Umwelt – profitierte, konnte darüber offenbar leicht hinwegsehen. Genauso wie über die vergiftete Rhetorik. Es seien ja nur Worte. Messen sollten wir ihn an seinen Taten.

Worte haben Konsequenzen. Diesen Satz habe ich im Oktober 2018 nach dem Anschlag eines Rechtsextremisten auf die Synagoge in Pittsburgh geschrieben, dem schlimmsten antisemitischen Verbrechen in der US-Geschichte. Der Attentäter wütete im Netz gegen „Globalisten“, die anders als „Nationalisten“ nur das Wohl der Welt, aber nicht das Amerikas im Sinn hätten.

Trump nannte sich stolz einen „Nationalisten“

Trump hatte sich wenige Tage zuvor stolz einen „Nationalisten“ genannt. Ich schrieb damals, dass Trumps Rhetorik ein Klima der Gewalt fördere, er aber trotzdem nicht abrüsten werde. Weil sie ihm nutze. Um weiße Rassisten buhlte Trump, als er diese in Charlottesville „viele nette Menschen“ nannte. Fremdenfeindlichkeit beförderte er, als er von „mexikanischen Drogenbaronen und Vergewaltigern“ sprach, die die Grenze „überrannten“. Den Angreifern des Kapitols rief er zu, dass sie zu Recht wütend seien, und: „Wir lieben euch.“

Zu Recht wütend fühlen sich viele seiner Anhänger: weil sie unter den Konsequenzen der Globalisierung leiden. Weil in Washington zu oft Politik gemacht wurde, die ihre Sorgen und Nöte ignorierte. Und einfach auch nur, weil die Welt sich verändert. Traurig war es, zu sehen, dass diese Wut dazu führte, dass in vielen Familien aus Angst vor Streit gar nicht mehr über Politik diskutiert wird. „Ich interessiere mich nicht für Politik“, „Ich schaue keine Nachrichten“ – für solche Aussagen erwarten viele Applaus oder zumindest Verständnis.

Am Mittwoch wird nun ein Mann das Ruder übernehmen, der mit einem zentralen Versprechen angetreten und gewählt worden ist: Joe Biden will das Land „heilen“, die tiefe Spaltung der Gesellschaft überwinden. Eine gigantische Aufgabe, bei der man ihm nur Glück wünschen kann. Und dass er recht hat, wenn er wie am vergangenen Mittwoch sagt: Amerika ist besser als das, was am Kapitol zu besichtigen war. Gefährlich wäre es indes, darauf zu vertrauen, dass der 6. Januar so „unamerikanisch“ war, dass so etwas nie mehr passieren kann.

Washington DC als Hochsicherheitstrakt - ein Symbol für die Gefahr

Trump mag am Ende sein, aber Hass und Wut bleiben eine Gefahr. Washington D.C. ist zum Symbol für diese Gefahr geworden. Die Stadt hat sich in den vergangenen Tagen in einen Hochsicherheitstrakt verwandelt, bewacht von 20.000 Nationalgardisten, geschützt durch kilometerlange Zäune.

Der Tag der Amtseinführung eines neuen Präsidenten sollte eigentlich ein Freudentag sein, zu dem Millionen Amerikaner aus dem ganzen Land anreisen. Nun wird der kommende Mittwoch aufgrund der toxischen Mischung aus anhaltender Bedrohungslage und steigenden Corona-Zahlen ein weitgehend virtuelles Spektakel.

Und dennoch: Dass ein Demagoge abgewählt wurde, dass Gerichte und Landesregierungen im ganzen Land dem Druck widerstanden, das Wahlergebnis zu verändern, dass Trump für seine Rhetorik nun zum zweiten Mal impeached wurde – und das mit den Stimmen von immerhin zehn republikanischen Abgeordneten –, das alles sollte Mut machen, auf die Stärken dieses Landes zu vertrauen. Ihm und seinen Menschen vielleicht wieder eine zweite Chance zu geben, wenn es in den vergangenen vier Jahren manchmal zu schwierig war, aus ganzem Herzen Amerika-Fan zu bleiben.

Mir selbst hat der Wahlausgang am 3. November die Entscheidung darüber leichter gemacht, ob ich meine Zeit hier verlängern will. Wie es mit diesem Land weitergeht, welche Wege die Biden-Regierung ausprobiert, wie die Republikanische Partei mit dem Erbe Trumps umgeht und wie sich Kamala Harris, die erste Vizepräsidentin der amerikanischen Geschichte, schlägt: Das alles interessiert mich brennend. Und wenn das mit den Impfen jetzt endlich wirklich anläuft, kann ich es kaum erwarten, Amerikaner im ganzen Land zu allem zu befragen, was sie auf dem Herzen haben. Ab Mittwoch wird dann neu gezählt: noch 208 Wochen.

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