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Hoffnung auf Europa: Polen am Unabhängigkeitstag 2019.

© Kacper Pempel/REUTERS

Machtprobe in Polens Parlament: Risse in der Herrschaft der PiS

Polens Opposition hat die Chance, die Kontrolle über den Senat zu erringen. Dann nickt die zweite Kammer nicht mehr ab, was der Sejm vorgibt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Christoph von Marschall

Wahlen haben mitunter unerwartete Pointen. Der Stimmenzuwachs, den Polens rechtspopulistische Regierungspartei PiS bei der Wahl Mitte Oktober feiern konnte, schlägt sich nicht in vermehrter Macht im Parlament nieder. Im Gegenteil: Wenn der Sejm und der Senat, die zweite Kammer, an diesem Dienstag erstmals in neuer Zusammensetzung tagen, hat die Opposition die Chance, die absolute Hoheit der PiS über die Gesetzgebung zu beenden – indem sie im Senat geeint auftritt und gemeinsam mit vier unabhängigen Senatoren einen Senatspräsidenten wählt, der nicht der PiS angehört: Tomasz Grodzki.

Wenn das gelingt, verliert die PiS die Kontrolle über die Tagesordnung im Senat; Gesetzesprojekte der Regierung könnten künftig scheitern, weil der Senat nicht mehr abnickt, was die PiS-Mehrheit im Sejm vorgibt.

In Sejm und Senat hat die PiS weniger Sitze als erwartet

Polen hat ein kompliziertes Wahlsystem. Die stärkste Fraktion profitiert überproportional von „verlorenen“ Stimmen, die für Parteien abgegeben werden, die den Sprung ins Parlament verpassen. Vor vier Jahren reichten der PiS so 37,6 Prozent der Stimmen für die absolute Mehrheit der Sitze in Sejm und Senat. 2019 hat sie ihren Stimmenanteil auf 43,6 Prozent erhöht. So meinten viele im ersten Reflex, die PiS habe künftig noch mehr Mandate.

Das war ein Trugschluss. Nach Umrechnung der Wählerstimmen in Parlamentsmandate bleibt es im Sejm bei der knappen absoluten Mehrheit der PiS (235 von 460 Sitzen); im Senat ergibt sich ein Patt (48 Sitze für die PiS, 48 für die Opposition, vier Unabhängige). Fast alle aussichtsreichen Parteien kamen ins Parlament. Diesmal konnte die PiS als stärkste Fraktion kaum von „verlorenen Stimmen“ profitieren. Die vetosichere Mehrheit, auf die Parteichef Jaroslaw Kaczynski gehofft hatte, liegt in weiter Ferne.

Hält das Bündnis, öffnen sich Optionen für die Präsidentenwahl

In der Opposition bricht dennoch kein Jubel aus. Sie zittert, ob das breite Anti-PiS-Bündnis von der Linken bis zu den Nationalliberalen überhaupt zustande kommt und wie lange es hält. In der Vergangenheit war Kaczynski ein Meister darin, die Gegenkräfte mit überraschenden Postenangeboten und Intrigen zu spalten. Auch diesmal hat er das in den Tagen vor der ersten Parlamentssitzung versucht.

Wenn das Bündnis gegen die PiS jedoch gelingt und den Dezember übersteht, können sich ganz neue Perspektiven eröffnen, etwa für die Präsidentschaftswahl 2020. Die Erfahrung, dass eine einige Opposition der PiS Paroli bieten kann, würde die Bereitschaft zum Schulterschluss verstärken. Fürs Erste bröckelt die Macht der PiS. Gebrochen ist sie noch nicht.

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