zum Hauptinhalt
Der Angreifer: SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty erkläre am Donnerstag seine Kandiatur um den Landesvorsitz. 

© dpa

Machtkampf in der NRW-SPD: „Die spinnen doch alle“

Die SPD hat in NRW enorm viele Wähler verloren. Dass sie nun auch noch um den Landesvorsitz streitet, könnte der Bundespartei schaden. Eine Analyse.

Von Hans Monath

Unter Sozialdemokraten im Bundestag löste die Nachricht vom offenen Machtkampf in der NRW-SPD am Donnerstag Entsetzen aus. Nachdem der Chef der SPD-Landtagsfraktion, Thomas Kutschaty, angekündigt hatte, gegen den amtierenden Landesvorsitzenden Sebastian Hartmann anzutreten, fürchten Mitglieder der Parteiführung und Abgeordnete, dass die sich abzeichnende Spaltung des größten Landesverbandes die Wahlchancen der SPD bei der Bundestagswahl im kommenden Jahr torpediert.

Von „grausam“, über „eine Katastrophe“ bis hin zum Satz „Die spinnen doch alle“ reichten die Urteile über die Entwicklung im Westen. Zwischen den Widersachern Hartmann und Kutschaty scheint keinerlei Verständigung mehr möglich zu sein, längst ist die Stunde der Schuldzuweisungen gekommen.

Die Zeit der Schuldzuweisung ist gekommen

Der amtierende Landesvorsitzende, so sagt er es, wurde vom Fraktionschef nicht persönlich darüber informiert, dass dieser auf dem Parteitag Mitte November gegen ihn antreten will. „Während ich als erster Redner im Bundestag die Debatte zur Innenpolitik in der Haushaltswoche für die SPD eröffnete, erhielt ich von Kollegen den Kandidaturbrief Thomas Kutschatys zugeleitet“, teilte er am Donnerstag mit: „Er hat mit mir nicht gesprochen.“

Hartmann, Mitglied des Innenausschusses, forderte zu diesem Zeitpunkt im Plenum des Bundestages von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) mehr Engagement gegen Rechtsextremisten. Derweil meldeten Agenturen, dass Kutschaty seine Fraktion in einem emotionalen Brief über seine Ambitionen informiert habe. Hartmanns spätere schriftliche Erklärung in eigener Sache endete mit dem Satz: „Das Wichtigste ist mir die Einheit der NRW-SPD, nur dadurch ist sie stark.“

Doch die von Hartmann beschworene Einheit war schon aufgekündigt, bevor der frühere NRW-Justizminister Kutschaty offen die Machtfrage stellte. Im größten Landesverband der SPD, der in NRW mehr als 50 Jahre lang den Ministerpräsidenten gestellt hatte, tobt ein Richtungsstreit.

Der Angegriffene: Der Landesvorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, klagt, er wurde von seinem Herausforderer Thomas Kutschaty nicht über dessen Pläne informiert.
Der Angegriffene: Der Landesvorsitzende der NRW-SPD, Sebastian Hartmann, klagt, er wurde von seinem Herausforderer Thomas Kutschaty nicht über dessen Pläne informiert.

© dpa

Hartmann, ein Mitglied der Parlamentarischen Linken (PL), war vor zwei Jahren mit dem Versprechen „Rot pur“ angetreten. Doch wenn es um innere Sicherheit geht, propagiert er mit Rücksicht auf das Schutzbedürfnis potenzieller SPD-Wähler eine harte Linie. Auch in anderen Fragen kooperiert er mit den Pragmatikern und vielen Kommunalpolitikern in der SPD an Rhein und Ruhr.

Kutschaty und seine Unterstützer stehen für einen noch linkeren Kurs, der bei den Jusos im Land viel Beifall findet. Mit dieser ideologischen Aufladung, so fürchten Pragmatiker in der Landes-SPD, drohe eine Marginalisierung ihrer Partei in der einstigen Hochburg der Sozialdemokraten.

Der SPD-Chef als Schlichter

Als Beispiel gilt ihnen der Umgang mit Parteimitgliedern, die kritische Fragen zur Flüchtlingspolitik stellten und frustriert die Partei verließen, nachdem sie kein Gehör gefunden hatten und stattdessen mit Bekenntnissen zu Humanität abgespeist worden waren. Am vergangenen Sonntag hatte auch der SPD-Bundesvorsitzende Norbert Walter-Borjans versucht, bei einem Krisentreffen eine Eskalation des Machtkampfs zu verhindern.

Noch vor Bekanntgabe der Ergebnisse der zweiten Runde der Kommunalwahlen traf er sich mit den beiden Kontrahenten, mit Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich, dem Chef der NRW-Landesgruppe Achim Post sowie den vier NRW-Bezirkschefs. Der ehemalige NRW-Finanzminister steht besonders in der Pflicht, weil er die Verhältnisse im Land und die Beteiligten kennt – Kutschaty war sein Kabinettskollege unter Regierungschefin Hannelore Kraft. Die Runde hatte sich nach Angaben aus der Partei darauf geeinigt, eine Woche später nach einer gemeinsamen Lösung zu suchen.

Walter-Borjans wollte die Entwicklung in NRW auf Anfrage des Tagesspiegels nicht kommentieren. Womöglich ist der Ex-Finanzminister auch befangen: Ohne die Unterstützer Kutschatys, vor allem die der NRW-Jusos, wären er und Saskia Esken nie Parteichefs geworden.

Der Schlichter: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans (hier mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz) verdankt den Anhängern Kutschatys in NRW viel.
Der Schlichter: SPD-Chef Norbert Walter-Borjans (hier mit Kanzlerkandidat Olaf Scholz) verdankt den Anhängern Kutschatys in NRW viel.

© AFP

Den Vorschlag, den Pragmatiker Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten zu machen, hatten die früheren Helfer Eskens und Walter-Borjans aus NRW mit wenig Begeisterung zur Kenntnis genommen. Kutschaty war vehement gegen die Fortführung der großen Koalition gewesen. Ein Agieren des Bundesvorsitzenden gegen den Fraktionschef würden seine Anhänger wohl als erneute Zumutung empfinden, wenn nicht sogar als Verrat.

Am Morgen nach dem Krisentreffen bewertete Landeschef Hartmann vor der Presse nicht nur das durchwachsene Wahlergebnis der SPD in den Stichwahlen, sondern erklärte auch, er stehe auf dem Parteitag im November für eine zweite Amtszeit bereit. Seine Gegner in der Partei sahen darin einen Verstoß gegen die Abmachung vom Sonntag – und fühlten sich nun ihrerseits nicht mehr daran gebunden.

„Wir haben ihm oft genug die Möglichkeit gegeben, gesichtswahrend aus der Sache rauszukommen“, heißt es nun. Zu oft habe er eigenmächtig gehandelt. Die Zuspitzung habe er sich selbst zuzuschreiben. Kutschaty will die Frage der sozialen Gerechtigkeit ins Zentrum stellen und ihr andere Themen unterordnen.

Die Bindungskraft der SPD im Land ist dahin

Das erklärte der Jurist in dem emotional gehaltenen Brief zur Kandidatur an die eigene Fraktion, in dem er auf seine Herkunft aus einfachen Verhältnissen verwies: Er sei in einer Essener Sozialwohnung aufgewachsen, sein Vater sei Eisenbahner, seine Mutter Hausfrau gewesen, und keiner in der Familie habe Abitur gehabt. Dass seine Großeltern kein Schulgeld für die Generation vor ihm hätten aufbringen können, habe ihn empört.

Der Staat müsse „wieder seiner sozialen Schutzfunktion gerecht werden“, forderte der Ex-Justizminister in dem Brief, in dem die für erfolgreiche sozialdemokratische Wahlkämpfer wichtigen Themen Wirtschaftskompetenz oder Innere Sicherheit fast keine Rolle spielen.

Vor der Presse betonte Kutschaty, es sei sinnvoll, Partei- und Fraktionsvorsitz wieder in eine Hand zu legen. Damit würden die Chancen der SPD in kommenden Wahlkämpfen gestärkt. Doch in Berlin fürchten Sozialdemokraten, ein knapper Ausgang der Wahl des Landesvorsitzenden beim Parteitag im November werde die NRW-Sozialdemokraten in zwei Lager spalten, die sich weiter belauern und gegenseitig das Leben schwer machen – ein Vorteil für CDU und Grüne, die schon bei den Kommunalwahlen Vorteil aus der Schwäche der Sozialdemokraten zogen.

Zudem treibt SPD-Politiker in Berlin die Sorge um, eine Konzentration der NRW-Genossen auf die Landtagswahl 2022 gehe zulasten der Geschlossenheit bei der Bundestagswahl zuvor. „Auch für den Herbst 2021 ist das Überleben der NRW-SPD wichtig“, warnt ein Bundestagsabgeordneter. Ein noch schlechteres Ergebnis im Bund als 2017 (20,5 Prozent) werde auch bei der Rückeroberung der Düsseldorfer Staatskanzlei nicht mehr helfen.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere runderneuerte App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Ohnehin scheint der Vorsprung der CDU im größten Bundesland aus heutiger Sicht kaum einholbar zu sein. Seit 1998, so rechnete Forsa-Chef Manfred Güllner nach der Kommunalwahl vor, habe die SPD in NRW mehr als zwei Drittel ihrer Wähler eingebüßt und damit ihre „einstige große Bindungskraft verloren“.

Ein strategisches Zentrum der NRW-SPD ist gegenwärtig nicht mehr zu erkennen. Mit der nun drohenden Blockade wollen sich erfahrene Genossen aus dem Bundesland aber trotzdem nicht abfinden. Sie suchen nun nach einer Ersatzkandidatin oder einem Ersatzkandidaten, der die Partei wieder zusammenführen soll.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false