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Baden-Württemberg prescht beim Kampf gegen Steuerbetrug vor - mit einem Online-Meldeportal.

© Marijan Murat/dpa

Macht ein anonymes Meldeportal Sinn?: Nach Schätzungen entgehen dem Fiskus jährlich bis zu 100 Milliarden Euro

Ist die große Aufregung um das baden-württembergische Online-Portal für Steueranzeigen gerechtfertigt? Sieben Fragen und Antworten.

Die Reaktion kam schnell und heftig. Nachdem Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz (Grüne) am Dienstag ein neues Online-Portal für anonyme Hinweise auf Steuerbetrug vorstellte, zog ein Shitstorm auf. „Denunziantentum“, hieß es von der CSU, „Blockwart-Mentalität“ von der FDP, die „Bild“-Zeitung titelte „Steuer-Stasi“.

Im Netz erlebte der Heidelberger Bayaz, dessen Vater aus der Türkei kommt, noch deutlich mehr Hass und Hetze – darunter auch rassistische Kommentare. „Gut ein Dutzend Anzeigen“ werde man stellen, sagte sein Sprecher am Mittwoch. Doch woher kommt die Aufregung?

Steuerfahnder sind immer auch auf Hinweise angewiesen. Die können von anderen Ermittlungsbehörden kommen, von Steuerberatern oder eben von Bürgern, die einen Verdacht hegen. Der muss allerdings so gut belegt sein, dass die Ermittler etwas damit anfangen können. Einfach nur Namen zu nennen oder pauschale Anschuldigungen zu formulieren, reicht in aller Regel nicht für die Eröffnung eines Verfahrens.

Die Finanzverwaltungen der Länder wollen mehr: eine Anschrift der Beschuldigten, konkretere Angaben zum möglichen Sachverhalt, einen Zeitraum, am besten auch noch Unterlagen oder die Nennung von Zeugen. Das geht anonym, aber die Finanzverwaltungen bitten meist um die Nennung des Namens mit der Begründung, nur so seien Rückfragen möglich. Beim baden-württembergischen Portal ist es nun möglich, dass die Fahnder mit anonymen Hinweisgebern kommunizieren können, ohne dass Post- oder Mailadressen oder Telefonnummern nötig sind.

Wie groß ist das Problem beim Steuerbetrug?

Zwar kann jede Steuerhinterziehung oder leichtfertige Steuerverkürzung durch Privatleute angezeigt werden. Aber die relevanten Fälle mit hohen Schäden für die Allgemeinheit sind meist kriminelle Machenschaften von Unternehmen. Neben der klassischen Steuerhinterziehung durch Verschweigen von Einkommen und Gewinnen geht es dabei um Schwarzarbeit oder den gewerbs- und bandenmäßigen Umsatzsteuerbetrug. Wie groß der Schaden tatsächlich ist, weiß man nicht. Es gibt Schätzungen, wonach dem Fiskus jährlich 50 bis 100 Milliarden Euro entgehen. Tatsächlich aufgedeckt wurden bei Ermittlungen zuletzt weniger als fünf Milliarden Euro im Jahr.

Danyal Bayaz ist neuer Finanzminister in Baden-Württemberg. Das Bild zeigt ihn noch als Bundestagsabgeordneten.
Danyal Bayaz ist neuer Finanzminister in Baden-Württemberg. Das Bild zeigt ihn noch als Bundestagsabgeordneten.

© imago images/Political-Moments

Laut Bundesfinanzministerium gab es 2019 insgesamt etwa 54.000 Verfahren wegen Steuerstraftaten, die in den Finanzämtern selbst erledigt wurden. Der Großteil davon wird eingestellt - wegen Geringfügigkeit, gegen Auflagen oder aber nach Zahlung von Bußgeldern (bundesweit kamen dabei 25 Millionen Euro zusammen). Oft liegt hier auch eine Selbstanzeige vor. Das sind die kleineren Fische.

Immerhin etwa 11.700 Fälle aber wurden 2019 an die Staatsanwaltschaft abgegeben, weil es sich um größere Delikte oder Verdachtsfälle handelte. Davon endeten etwa 6800 mit einem Gerichtsurteil - und dabei kam in nur 55 Fällen ein Freispruch heraus. Die Geld- und Freiheitsstrafen bezogen sich auf eine hinterzogene Summe von 746 Millionen Euro.

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Dazu kommen die mehr als 34.000 Prüfungen, die bei der Steuerfahndung landen, also dort, wo zusätzliche Ermittlungen aufgrund eines Anfangsverdachts eingeleitet werden. Die daraus resultierenden gut 11.000 Steuerfahndungsverfahren erbrachten 2019 die Summe von 2,8 Milliarden Euro an entgangenen Steuereinnahmen. 2020 waren es nach Angaben des baden-württembergischen Finanzministeriums bundesweit 3,2 Milliarden. Knapp ein Drittel davon entfiel 2019 auf die Umsatzsteuer, ein Viertel auf die Einkommensteuer. Gerichte verhängten deswegen Freiheitsstrafen von zusammen 1234 Jahren.

Speziell um Schwarzarbeit kümmert sich auch der Zoll. Dessen Einheit "Finanzkontrolle Schwarzarbeit" leitete 2020 mehr als 100.000 Strafverfahren und über 57.000 Ordnungswidrigkeitenverfahren ein. Der Schaden durch hinterzogene Steuern lag bei 816 Millionen Euro.

Wo wird hinterzogen?

Die Finanzverwaltung in Rheinland-Pfalz fragt in ihrem Formular für Hinweisgeber gezielt nach - was darauf hindeutet, welche Fälle vor allem von Interesse sind. Es geht dabei um Schwarzeinkäufe, Schwarzverkäufe, Schwarzarbeit oder falsche Rechnungen. Als Branchen, in denen solche Delikte häufiger vorkommen, gelten insbesondere der Bau, die Gastronomie und das Glücksspiel. Aber Steuerbetrug durch Schwarzarbeit oder Umsatzsteuerhinterziehung gibt es auch in anderen Branchen, nicht zuletzt dort, wo viel mit Bargeld gehandelt wird. Umsatzsteuerbetrug erfolgt auch durch das Manipulieren von Kassen.

Ein weiteres Hinterziehungsmodell ist das Nutzen von Auslandskonten. Der mittlerweile auf den Weg gebrachte internationale Datenaustausch hat hier zwar Abhilfe geschafft, die klassischen Schwarzgeldhorte wie die Schweiz, die Karibik oder britische Kronkolonien sind weniger attraktiv geworden. Unlängst hat Finanzminister Olaf Scholz aber Datenträger gekauft, die sich auf Konten in Dubai beziehen. Es besteht der Verdacht, dass auch Deutsche dort Vermögen gebunkert haben und dessen Ertrag nicht versteuern.

Ist das Problem größer geworden?

Thomas Eigenthaler, Vorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, meint: nicht größer, aber anders. Bei den 50 Milliarden Steuerausfall durch Steuerhinterziehung zeige sich die Schere in der Gesellschaft. Der Großteil entfällt auf die reicheren Mitbürger. Hauptproblem sei weiter, dass nicht alle Steueroasen ausgetrocknet seien. „Das wechselt natürlich ein bisschen. Zum Beispiel die Schwarzgeld-Einlagen in der Schweiz und Liechtenstein. Die sind jetzt nicht mehr so da.“ Er erinnert an die Enthüllungen der Panama Papers mit nicht deklarierten Anlagen weltweit.

Nun scheinen Länder wie Malta oder die Arabischen Emirate zu einem neuen Anlageziel zu werden. Und vor allem asiatische Steueroasen kommen hinzu. Bei den "kleineren Fischen" bleibt abzuwarten, ob im Zuge der Corona-Krise Betrügereien zunehmen. Es fällt zum Beispiel in Berlin auf, dass einige Gastronomen verstärkt auf Barzahlungen setzen. Wird jeder Umsatz auch deklariert? „Hätten wir genügend Finanzpersonal, könnte man da einfacher rankommen und häufiger Betriebsprüfungen machen. Aber wir haben 6000 unbesetzte Stellen in den deutschen Finanzämtern“, sagt Eigenthaler.

Thomas Eigenthaler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, welche die Steuerbeamten vertritt.
Thomas Eigenthaler ist Bundesvorsitzender der Deutschen Steuer-Gewerkschaft, welche die Steuerbeamten vertritt.

© promo

Was ist das Neue am baden-württembergischen Portal?

Bestrebungen für eine Reform der Hinweis-Möglichkeiten gibt es schon deutlich länger als Bayaz im Amt ist. Ideologisch sei daran nichts, heißt es aus dem Finanzministerium. Den Anstoß für das Portal hat ursprünglich die Oberfinanzverwaltung Karlsruhe gegeben. Der Hintergrund ist, dass die Qualität der anonymen Hinweise bislang in den seltensten Fällen zu Ermittlungen führte. So gab es 2020 rund 1600 anonyme Hinweise via Mail, Brief, Fax oder Anruf, doch nur bei 2,9 Prozent erfolgten daraus Steuerfahndungsverfahren. Bei 2,7 Prozent aller Hinweise wurde ein Verfahren gegen Bußgeld eingestellt. Die Mehreinnahmen für Baden-Württemberg: gerade einmal 100.000 Euro.

Was sagen Steuerfahnder dazu?

Das sei kein Portal des Ministers, sondern ein Portal der Finanzverwaltung, betont Eigenthaler im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Er findet den Ansatz absolut richtig. „Wenn wir da mit Stasi-Methoden in Verbindung gebracht werden, ist das in gewisser Weise ehrabschneidend für eine dem Rechtsstaat verpflichtete Steuerverwaltung“, kritisiert er die harsche Kritik. Steuer-Straftaten seien nun einmal kein Kavaliersdelikt, „da kann der Staat den Kopf nicht in den Sand stecken“. Das Portal habe einen entscheidenden Vorteil gegenüber anonymen Anrufern oder einer Anzeige auf Papier. Hier könne man mit anonymen Tippgebern in Kontakt treten und weitere Nachfragen stellen. Ist die Anzeige berechtigt? Oder haben die Tippgeber nur gedacht, dass hinterzogen wird?

Natürlich sei es möglich, dass auf dem Portal jetzt zunächst aus Protest absichtlich „Müll“ abgeladen werde, also falsche Informationen. „Aber wir sind keine Stümper. Wir können die Spreu vom Weizen trennen“, sagt Eigenthaler. Etwa jede fünfte anonyme Anzeige führe zu tatsächlichen Steuerbetrügereien. Man solle hierüber aber nicht Nachbarschaftsstreitigkeiten austragen. „Die sollten ihre Probleme nicht übers Finanzamt lösen. Die sollten lieber mal ein Bier zusammen trinken“, sagt Eigenthaler.

Viel wichtiger seien Hinweise auf mögliche neue Tricksereien bei Wertpapiergeschäften oder Steuerbetrug und Geldwäsche durch kriminelle Clans. "Das sind doch die Dinge, um die sich der Staat auch kümmern muss". Auch bei sehr hohen Bargeldzahlungen müsse genauer hingeschaut werden, um der Geldwäsche Herr zu werden. "Wenn einer eine Immobilie kauft, 400.000 Euro auf den Tisch des Hauses legt, dann müssen die Alarmglocken klingeln."

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Wollen andere Bundesländer nachziehen?

Bisher überwiegt die Skepsis. Niedersachsens Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) betont: „Ein solches Portal lehne ich ab. Es führt besorgte Bürger auf den einfachen Weg der Anonymität, die ansonsten offen zu Ihren Angaben stehen würden.“ Wer aus der Anonymität heraus agiere, werde nicht so sorgfältig vorgehen und weniger auf die Richtigkeit der Beschuldigungen achten, meint Hilbers. „Dies führt im Ergebnis zu einem Misstrauen zwischen den Bürgerinnen und Bürgern, die nun befürchten müssen, haltlosen Anschuldigungen - vielleicht sogar aus dem unmittelbaren Umfeld - ausgesetzt zu sein.“ Das dürfe der Staat auf keinen Fall fördern.

Wer einen Hinterziehungsfall anzeigen möchte, solle dies unter seinem Namen tun. „Die Anonymität des Anzeigeerstatters sichert das Steuergeheimnis, an das die Finanzbehörden strikt gebunden sind, auch gegenüber der angezeigten Person“, betont Hilbers. Es gebe längst entsprechenden Informantenschutz. Auch in Berlin ist kein solches Portal in Planung. Es gebe bereits die Möglichkeit, anonyme Hinweise zu geben. Davon werde „regelmäßig und umfänglich Gebrauch gemacht“, sagte ein Sprecher der Finanzverwaltung.

Welche Strategien haben die Parteien?

Nach der heftigen Kritik an Bayaz sprang ihm seine Parteiführung bei. Sie könne sich Portale für anonyme Hinweise auf Steuerbetrug nach dem Vorbild Baden-Württembergs bundesweit vorstellen, sagte Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock und gab SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz noch einen mit: „Eigentlich wäre das Aufgabe eines Bundesfinanzminister gewesen, gegen Steuerbetrug vorzugehen.“ Der Co-Vorsitzende der Grünen, Robert Habeck, hält das Portal ebenfalls für richtig. „Natürlich muss man, um Wirtschafts- und Finanzkriminalität zu bekämpfen, auch Whistleblower schützen, das liegt ja auf der Hand.“ Scholz dagegen hält die Verwaltung für ausreichend gerüstet. „Ich bin überzeugt, dass wir erstklassige Finanzämter in Deutschland haben, die ihre Arbeit leisten“, sagte er am Donnerstag. „Da brauchen wir keine neuen Techniken, die dazu führen, dass der eine über den anderen redet.“

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Die anderen Parteien arbeiten sich dagegen weiter an Bayaz und seinem Vorschlag ab. Zwar betonen alle Parteien, Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt, doch von anonymen Hinweisen hält man bei der politischen Konkurrenz nicht viel. „Der Zweck heiligt nicht jedes Mittel“, sagt FDP-Vize Christian Dürr. Er fordert, die Digitalisierung der Finanzverwaltung voranzutreiben und das europäische Frühwarnsystem TNA aktiv zu nutzen. Diese entdeckt mit Hilfe künstlicher Intelligenz grenzüberschreitenden Umsatzsteuerbetrug schneller. CDU und SPD wollten sich am Donnerstag auf Anfrage nicht zu anonymen Meldeportalen äußern. Im Wahlprogramm der Sozialdemokraten heißt es: „Gegen Steuerhinterziehung, Steuervermeidung und Steuerbetrug werden wir konsequent vorgehen.“ Bei der CDU heißt es knapp, man wolle Steuerhinterziehung „wirksam unterbinden“.

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