zum Hauptinhalt
Ein Wagen der Polizei fährt über die gesperrte Autobahn A1 nahe Blessem in Erftstadt.

© Fabian Strauch/dpa

Luftffahrt, Bahn oder die Straßen: Wie robust ist die Verkehrsinfrastruktur bei Naturkatastrophen?

Straßen, Schienen und Wasserwege sind bedroht. Wie Forscher die Gefahren einschätzen, welche Infrastruktur robust ist und woran Prognosen scheitern.

Resilienz ist ein Begriff, der in der Pandemie Karriere gemacht hat. Die Frage, wie widerstands- und anpassungsfähig unsere Gesundheit in Corona-Zeiten ist, beschäftigt uns bis heute. Nach der jüngsten Flutkatastrophe wird Resilienz in einem anderen Kontext diskutiert: Wie robust ist die Verkehrsinfrastruktur, wie gefährdet sind Straßen, Schienen- und Wasserwege oder die Luftfahrt bei Extremwetter oder Naturkatastrophen?

„Die Resilienz der Verkehrswege ist schon seit zehn, 20 Jahren ein wichtiges Thema in der Forschung. Der Klimawandel und seine Folgen haben sich aber in den Vordergrund geschoben“, sagt Kay Mitusch, Inhaber des Lehrstuhls für Netzwerkökonomie am Karlsruher Institut für Technologie (KIT). Er forscht unter anderem zu den Auswirkungen von extremen Naturereignissen auf Verkehr und Ökonomie. „In Deutschland diskutiert man vor allem die Folgen der Hitze.“

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Seit den Überschwemmungen im Westen und Süden Deutschlands weitet sich die Perspektive. Die vielfältigen Folgen des Klimawandels werden sichtbarer und unberechenbarer, die Klimadebatte wird dringlicher geführt – auch in der Politik. Sie war es, die früh die Forschung mit Blick auf die gefährdete Verkehrsinfrastruktur angestoßen hat, sagt Kay Mitusch. „Deshalb ist die Forschung sehr anwendungsorientiert.“

Deutsche Bahn denkt bis 2060

Bei der Planung für den Bau neuer Strecken richte die Deutsche Bahn sich auf zunehmende Extremwetterlagen ein, bestätigt eine Bahn-Sprecherin. Der Konzern analysiere die Verkehrsregionen mit Blick auf das Jahr 2060. Vor dem Neubau einer Strecke gebe es „ganz gründliche Überprüfungen“. Der Staatskonzern weiß, dass die Infrastruktur widerstandsfähiger gegen Wetterextreme und Folgen des Klimawandels werden muss. 

Deshalb hat die Bahn zum Beispiel das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung beauftragt, das wissenschaftliche Prognosewerte für 34 Verkehrsregionen in Deutschland erarbeitet hat. Daraus soll abgeleitet werden, welche Maßnahmen nötig sind, um Folgeschäden durch Überschwemmungen, Stürme, Hitze- und Kältewellen zu minimieren.

In Österreich wird getestet, ob mit weißer Farbe verhindert werden kann, dass sich durch große Hitze Bahnschienen verbiegen.
In Österreich wird getestet, ob mit weißer Farbe verhindert werden kann, dass sich durch große Hitze Bahnschienen verbiegen.

© ÖBB/dpa

Mit Blick auf die Verwundbarkeit durch Naturkatastrophen schneidet die Schiene im Vergleich schlechter ab, glaubt KIT-Forscher Mitusch. „Im Grunde ist die Straße resilienter. Das Netz – rund 830.000 Kilometer, davon gut 51.000 Kilometer Bundesfernstraßen – ist so eng, dass es häufig eine Umfahrung gibt, wenn ein Teil kaputt geht.“ Auf der Schiene mit einer Streckenlänge von insgesamt rund 38.600 Kilometern schaukelten sich die Ereignisse hingegen kaskadenartig hoch. „Das Netz ist nicht so redundant wie die Straße.“

Aber auch die Straßen, vor allem die Autobahnen, sind einer Dauerbelastung ausgesetzt, die zunimmt – durch den häufigeren Wechsel von Extremwettern und den Güterverkehr. „Ohne den Lkw-Verkehr hätten wir kaum eine Abnutzung der Straßen. Die Lebensdauer einer Autobahn wird auf 100 Jahre geschätzt“, sagt Kay Mitusch. Ohne Lkw sei vor allem der Wechsel von Sommer und Winter, Wind und Wetter, also die extremere Klimavariabilität, relevant für die Gefährdung der Infrastruktur.

Fehlende Daten machen Modellierung schwierig

Welchen Risiken die Verkehrsinfrastruktur ausgesetzt sein wird und könnte, untersucht unter anderem die Klimawirkungs- und Risikoanalyse 2021 (KWRA) für Deutschland. Die Ergebnisse der Studie, die ein wissenschaftliches Konsortium im Auftrag der Bundesregierung erarbeitet hat, wurden vor gut einem Monat vorgestellt.

Es zeigte sich allerdings, dass die verkehrlichen Auswirkungen dieser Ereignisse „nur mit hohen Unsicherheiten modelliert“ werden können. Zu vielfältig sind die Faktoren, die eine Rolle spielen: die Lage und der Zustand der jeweiligen Verkehrsinfrastruktur, das Verkehrs- und Transportaufkommen sowie Fragen der Raumordnung und der Regional- und Bauleitplanung. Und: Es fehlen flächendeckende, bundesweite Daten zur Höhenlage von Gleiskörpern beziehungsweise Fahrbahnen sowie flächendeckende und repräsentative Daten zu „Wasserspiegellagen“.

Immerhin ergibt die Analyse, dass zum Beispiel mehr Bundesfernstraßen und Teile des Schienennetzes in den kommenden Jahrzehnten von klimabedingten Erdrutschen („gravitative Massenbewegungen“) bedroht sein werden. Besonders in den Mittelgebirgen, wie zum Beispiel am Mittelrhein, an der Mosel und im Harz. Bis zum Ende des Jahrhunderts werde sich die Länge der gefährdeten Strecken jeweils verdoppeln, auf 1000 beziehungsweise 900 Kilometer. Angesichts der Gesamtgröße der Netze sind dies indes überschaubare Werte.

Klassisches Foto einer deutschen Autobahn zu Ferienbeginn.
Klassisches Foto einer deutschen Autobahn zu Ferienbeginn.

© Matthias Balk/dpa

Seit 2016 beschäftigt sich ein Expertennetzwerk des Bundesverkehrsministeriums speziell mit den Risiken für und der Vulnerabilität von Schienen, Straßen und Wasserstraßen. Auch das Bundesamt für Straßenwesen hat mehrere Forschungsprojekte zum Thema „Anpassungen an den Klimawandel“ aufgesetzt. Hier geht es unter anderem um gravitative Massenbewegungen, Überflutungsflächen im Bundesfernstraßennetz, Hochwassergefahrenkarten oder Hitzeindikatoren.

„Vor allem bei größeren Flüssen hat man aus der Vergangenheit viele Daten über Hochwasserereignisse. Deshalb werden bestimmte Flächen schon länger nicht mehr als Bauland ausgeschrieben, sondern für die Wasserausbreitung vorgehalten“, sagt Christina Wisotzky, die am KIT-Lehrstuhl von Kay Mitusch promoviert. „Bei kleineren Flüssen liegen diese Daten nicht vor.“ In den Dörfern des Ahrtals und der Eifel waren die Folgen dieses Mangels verheerend.

Wenige Schäden für die Binnenschifffahrt

Auch auf den Wasserstraßen der Binnengewässer sind die Gefahren gewachsen. Aufgrund ihres geringen Tiefgangs droht Binnenschiffen bei Hochwasser eine „Aufsetzgefahr“ mit entsprechenden Schäden, sollte ihr Liegeplatz überspült werden. Das war bei den Hochwassern an den wichtigen Wasserstraßen Rhein und Mosel jedoch nicht der Fall. „Uns sind keine hochwasserbedingten Schäden an Binnenschiffen bekannt geworden“, erklärt der Bundesverband der Deutschen Binnenschifffahrt (BDB). Während der mehrtägigen Sperrung von Abschnitten des Rheins für die Schifffahrt hätten die Schiffe in den Häfen gelegen. Grundsätzlich habe die Schifffahrt ohne große Einschränkungen den Betrieb auf dem Oberrhein nach dem Hochwasser wieder aufnehmen können, so das Wasserstraßen- und Schifffahrtsamt.

Für die deutschen Seehäfen ist vor allem der Sturmflutschutz wichtig. Der landeinwärts gelegene Hamburger Hafen ist besonders gefährdet, die Sturmflut von 1962 hat sich tief in das kollektive Gedächtnis gegraben. Die tiefliegenden Marschen rund um den Hafen, die fast die Hälfte des Stadtgebietes umfassen, seien besonders anfällig, teilt die Stadt mit. Zuständigkeiten und Abläufe im Katastrophenfall seien daher genau festgelegt.

Der Hamburger Hafen ist besonders gefährdet.
Der Hamburger Hafen ist besonders gefährdet.

© Axel Heimken/dpa

Die Behörden gehen dabei von bis zu zwölf, mindestens jedoch von rund acht Stunden Vorwarnzeit für das Stadtgebiet aus: „Sturmfluten kündigen sich immer an.“ Es sei jedoch zu beachten, dass der Wasserstand dann sehr schnell ansteigen könne – bis zu einem Meter pro Stunde. Ab einem vorhergesagten Wasserstand von mehr als fünf Metern beginnt die zuständige Hamburg Port Authority Teile des Hafens zu sperren, auch Evakuierungspläne liegen bereit. Sorge bereiten die vielen Gefahrengüter, die am Hafen verladen werden oder für dessen Betrieb notwendig sind. Alle Unternehmen seien aufgefordert, vor allem Öltanks und sonstige wassergefährdende Chemikalien besonders zu sichern. Auch Treibgut und abtreibende Wasserfahrzeuge können zur Gefahr werden, insgesamt sind Hochwasser für große Schiffe, deren Vertäuung hält, zumeist weitgehend folgenlos.  

Chemiebrände können die Luftfahrt gefährden

Die Infrastruktur für den Luftverkehr beschränkt sich neben Funkfeuern und Satelliten am Boden vor allem auf die Flughäfen. Die Großflughäfen in Frankfurt und Düsseldorf liegen in unmittelbarer Nähe zu Main und Rhein und damit in im Extremfall durchaus hochwassergefährdeten Gebieten. Zwar habe es am Frankfurter Flughafen noch keinen größeren Hochwasserfall gegeben, doch die Werkfeuerwehr halte technisches Sonderequipment wie Pumpen und Sandsäcke vor, um reagieren zu können, sagt eine Fraport-Sprecherin.

Kommt es zu größeren Waldbränden, sind zumindest die großen Verkehrsflugzeuge weniger gefährdet, da sie nach Instrumentenflugregeln fliegen, erklärt eine Sprecherin der Deutschen Flugsicherung (DFS). Sie könnten die Rauchwolke eines Waldbrandes im Zweifel ebenso durchfliegen wie normale Wolken. Im laufenden Austausch mit Wetterdiensten und den Behörden würde das Bundesverkehrsministerium im Zweifel „Flugbeschränkungsgebiete“ ausweisen, so die Sprecherin. Das gelte auch für Extremwetterlagen, besonders flughafennahe Gewitter und gefährliche Windverhältnisse. Die DFS würde dann zum Beispiel Starts zeitweise aussetzen und die Flugzeuge in großen Abständen staffeln. „Sie können aber im Notfall niemandem einen Landeversuch verweigern.“

Flugbeschränkungen werden im Katastrophenfall auch ausgesprochen, um den Luftraum für Hilfs- und Rettungsflüge freizuhalten. So ist der untere Luftraum in den vor zwei Wochen betroffenen Hochwassergebieten für Privat- und Drohnenflüge derzeit noch immer gesperrt. 

Eine riesige Rauchwolke schwebte Dienstag über Leverkusen. Die Autobahn musste gesperrt werden.
Eine riesige Rauchwolke schwebte Dienstag über Leverkusen. Die Autobahn musste gesperrt werden.

© Roberto Pfeil / AFP

Insgesamt fährt der Katastrophenschutz mit fortschreitendem Klimawandel auch ein Stück auf Sicht. Es wird viel geforscht, es gibt Pläne und Prognosen. Doch fragen sich Experten, ob das Tempo der Umsetzung mit den laufenden Ereignissen mithalten kann. Wie so oft, bremst ein Faktor den Fortschritt: das fehlende Geld. „Wenn wir mehr vom extremen Wetter haben, dann wird es teurer“, sagt KIT-Forscher Mitusch. Einerseits ergäben sich höhere Kosten, weil die bestehende Infrastruktur schneller Schaden nehme.

„Und man wird sich andererseits intensiver und langfristiger Gedanken über Materialien, Verfahren und Streckenführung beim Neubau machen müssen.“ Hier sei auch noch mehr Forschung notwendig. „Wir lernen noch mit jedem Ereignis dazu.“ Mit Dennis Kazooba

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false