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Verfassungsschutzchef Thomas Haldenwang nimmt den Kampf gegen rassistische Gruppierungen ernst.

© picture alliance/dpa

Lübcke, die AfD und der Verfassungsschutz: Auf dem rechten Auge nicht blind

Im Prozess um den Mord an Walter Lübcke werden Defizite des Verfassungsschutzes Thema sein. Doch die Behörde hat sich bereits geändert. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Frank Jansen

Der Prozess im Mordfall Walter Lübcke hat gerade erst begonnen, doch das Verfahren ist schon jetzt zumindest ein Teilerfolg des Rechtsstaats. Der Polizei gelang es in nur zwei Wochen nach dem Anschlag, den mutmaßlichen Todesschützen Stephan Ernst zu ermitteln und festzunehmen. Dank der Analyse einer winzigen DNA-Spur an dem erschossenen Regierungspräsidenten konnte der als gewalttätig bekannte Rechtsextremist überführt und zu einem Geständnis bewegt werden.

Auch wenn Ernst seine Aussage inzwischen in Teilen widerrufen hat, bestreitet er nicht, bei dem ersten rechtsextremen Mord an einen Politiker in der Geschichte der Bundesrepublik dabei gewesen zu sein. Ein Beleg für die Effektivität des Rechtsstaats.

Doch der Erfolg wird durch ein Versäumnis getrübt.

Der hessische Verfassungsschutz hätte offenbar verhindern können, dass der mutmaßliche Komplize von Ernst, der mitangeklagte Rechtsextremist Markus H., 2015 vor dem Verwaltungsgericht Kassel eine Waffenbesitzkarte erstreiten konnte.

Ein Jahr später half Markus H. seinem „Kameraden“ Ernst, einen Revolver Kaliber 38 zu erwerben. Es war die Waffe, mit der Walter Lübcke am 1. Juni 2019 erschossen wurde. Und Markus H. ermunterte Ernst offenbar mit gemeinsamen Schießübungen zu einem Attentat.

Der Verfassungsschutz in Hessen muss sich viele Vorwürfe gefallen lassen

Hätte Hessens Verfassungsschutz auf die Anfrage des Verwaltungsgerichts mitgeteilt, dass Markus H. noch 2011 als Rechtsextremist aufgefallen war, hätten die Richter eine Waffenerlaubnis verweigert. Ein Versäumnis, das erneut das Vertrauen der Bevölkerung in die Arbeit des Verfassungsschutzes erschüttert. Und das ausgerechnet in Hessen.

Der Behörde hängt bis heute an, dass der Verfassungsschützer Andreas T. im April 2006 beim Mord des NSU an Halit Yozgat in dessen Internetcafé in Kassel am Tatort war - und hartnäckig bestreitet, den Anschlag bemerkt zu haben. Und nun der Fall des rechten Waffenfreaks Markus H., der vermutlich mitschuldig am Attentat auf Lübcke ist. Außerdem muss sich der Verfassungsschutz vorhalten lassen, Stephan Ernst vor dem Mord aus dem Blick verloren zu haben.

Die Kritiker des Nachrichtendienstes werden sich bestätigt fühlen. Doch ein Blick ohne Ressentiments auf den gesamten Verbund der Verfassungsschutzbehörden ergibt, so paradox es klingt, gerade beim Thema „Rechts“ ein anderes Bild.

Unter neuer Leitung wurde die Beobachtung der Rechten intensiviert - mit Erfolg

Der seit Ende 2018 amtierende Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, hat die Beobachtung des rassistischen Spektrums, von der AfD bis zu den Neonazis, in atemberaubender Weise intensiviert. Die Identitäre Bewegung und die AfD-Vereinigung „Der Flügel“ wurden als eindeutig rechtsextrem eingestuft und damit auf eine Stufe mit der NPD gestellt.

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Das „Flügel“-nahe „Institut für Staatspolitik“ des Demagogen Götz Kubitschek ist seit April ein „Verdachtsfall“ und kann nun auch über V-Leute durchleuchtet werden. Bei der AfD-Nachwuchstruppe „Junge Alternative“ ist das schon seit Anfang 2019 der Fall.

Das Bundesamt und die Verfassungsschutzbehörden der Länder lieferten zudem Material für die von Innenminister Horst Seehofer 2020 verfügten Verbote der Gruppierungen „Combat 18“ und „Geeinte deutsche Völker und Stämme“. Eine beachtliche Bilanz.

Und die Länder ziehen mit. Der Brandenburger Verfassungsschutz hat jetzt den kompletten AfD-Landesverband zum „Verdachtsfall“ erklärt, der Thüringer Nachrichtendienst tat das schon im März mit den von Björn Höcke geführten Rechtspopulisten im Freistaat.

Der neue Druck des Verfassungsschutzes zeigt Wirkung: Die AfD ringt um einen Kurs der Mäßigung, die Umfragewerte sinken im Bund auf neun Prozent.

Der Elan von Haldenwang und Kollegen in den Ländern lässt hoffen, dass der Verfassungsschutz seine Defizite abbaut. Viel hängt vom Engagement der Chefs ab. Der Fall Lübcke ist nun nach dem NSU-Schock wieder eine Mahnung.

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