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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU)

© Reuters/Markus Schreiber/Pool

Lockerung der Corona-Maßnahmen: Wenn Beratung an ihre Grenzen stößt

Die Kanzlerin bestellt für ihre Politik eine Studie. Die Leopoldina liefert – verblüffend wenig. Und macht in einem Punkt etwas ratlos. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albert Funk

Am Gründonnerstag hat uns die Kanzlerin, als sie zu Disziplin an Ostern aufforderte, auf eine große Entscheidung vorbereitet: An diesem Mittwoch wolle sie, ihre Minister und die Regierungschefs der Länder mitteilen, wie es in der Corona-Krise weitergehen soll. Ob es zu Lockerungen kommt und wie weit diese gehen. Sie hat sich zuvor auch Rat erbeten. „Für mich wird eine sehr wichtige Studie die der Nationalen Akademie der Wissenschaften, der Leopoldina sein", erklärte Merkel. Um auf einem „festen Grund“  bei den Entscheidungen zu stehen.

26 Akademiker, 13 Seiten Text

Den meisten Deutschen dürfte da erst aufgegangen sein, dass wir  seit 2008 eine Nationale Akademie haben, die nicht zuletzt der Politikberatung dienen soll – finanziert vor allem von der Bundesregierung, also ihr auch  verpflichtet. Eine Studie war das, was am Ostermontag dann von der Leopoldina aus Halle verschickt wurde, allerdings nicht.

Auf netto 13 Textseiten schrieben 26 Wissenschaftler auf, wie man die Krise nachhaltig überwinden könne. Sie nannten es Stellungnahme. Vieles hatte man in den vergangenen Tagen schon mal gehört oder gelesen. Der Erkenntnisgewinn war gering. Wie und  wann der teilweise Shutdown der Wirtschaft und des öffentlichen Lebens aufgehoben werden könne, dazu gab es nicht den erwarteten Fahrplan.

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Regieren mit bestellten Gutachten

Merkel und die Leopoldina-Crew dürften wechselseitig erkannt haben, dass das Regieren mit bestellten Gutachten (oder in Auftrage gegebenen) in Situationen wie der jetzigen seine Grenzen hat. Die eine Seite wollte etwas in de Hand haben, um die eigene Entscheidung wissenschaftlich zu unterfüttern.

Die andere Seite aber sah sich dazu offenbar nicht in der  Lage. Wissenschaft weiß schließlich auch nicht im Detail, was uns erwartet – man denke nur an die Breite der Prognosen, wie stark der wirtschaftliche Einbruch in diesem Jahr sein werde. Sie rangieren von moderaten 2,8 Prozent Minus bei den politikberatenden Wirtschaftsweisen bis hin zu Szenarien im zweistelligen Bereich eines durchaus angesehenen Instituts. Zudem gibt es erfahrungsgemäß auch in der Wissenschaft sehr unterschiedliche Meinungen.

Untererfüllt, übererfüllt

Man sollte den Leuten daher nicht suggerieren, man betreibe durch Wissenschaft geleitete Politik, wenn zu diesem Zweck beworbene Papiere das nicht zu bieten haben. Über weite Strecken ist der Auftrag an die Leopoldina-Forscher untererfüllt geblieben. Bis auf einen Punkt: Der Vorschlag zum Thema Schulschließungen kam so detailliert daher, bis hin zur Empfehlung für Klassengrößen, dass sich der Eindruck der Übererfüllung einstellt. Schulen sollten als erstes geöffnet werden, so der Rat, schrittweise, aber zügig.

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Warum ausgerechnet die Schulen?

Aber hatten wir nicht erst vor wenigen Wochen gelernt (und akzeptiert), dass der wichtigste Schritt zur Eindämmung des Virus, neben Hygiene und Distanz, das Schließen der Schulen sei? Es war eine richtige Maßnahme, was sich auch an einem Befund erkennen lässt: Die normale Influenza, die parallel zu Covid-19 ja auch noch umgeht, ist im März massiv zurückgegangen. Das Robert-Koch-Institut begründet das mit den Schulschließungen.

Warum, so darf man fragen, soll dann die Lockerung beim wohl besten Mittel gegen die Verbreitung von Viren beginnen? Und warum öffnet man partiell Schulen, die wenige Wochen danach wegen der Sommerferien schon wieder geschlossen werden? Die Begründung der Leopoldianer, die Krise habe zu einem massiven Rückgang der Betreuungs-, Lehr und Lernleistung sowie zur Verschärfung der sozialen Ungleichheit geführt, mag da nicht recht überzeugen nach nur vier Wochen Schließzeit.

Blick in die Realität

In einer demokratischen Gesellschaft ist es nie falsch, sich nicht nur Belehrung aus der Wissenschaft zu holen, sondern auch ein bisschen ins wirkliche Leben zu schauen. Nachdem der Groschen gefallen war, und da brauchten sicherlich einige einen obrigkeitlichen Anstoß, sind wir mit der Herausforderung seit Mitte März weitgehend vernünftig umgegangen. Ganz individuell, in der Kleinfamilie, im größeren privaten Umfeld, in den Betrieben haben wir alle unsere eigene Corona-Strategie entwickelt. Selbstschutz spielt dabei eine große Rolle, und die Sorge um Alte und Vorbelastete.

Das alles muss nicht streng gelenkt werden. Eine erwachsene Gesellschaft ist mehrheitlich durchaus imstande, auch ohne detaillierte Vorgaben mit solch einer Krise umzugehen. Auch deswegen ist die bisher erreichte Eindämmung des Virus wohl etwas schneller gelungen, als die Mandarine in den Exekutiven und den Akademien es noch vor Wochen geglaubt haben. Auch das kann in die Entscheidung zu Lockerungsmaßnahmen an diesem Mittwoch einfließen.

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