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Die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart - hart, derb, respektlos. Soll sie deshalb nicht auftreten dürfen?

© Daniel Karmann/dpa

Update

Lisa Eckhart, Dieter Nuhr, Nurhan Soykan: Wie die Wächter über das Sagbare die Redefreiheit einschränken

Ja, wenn's doch der guten Sache dient: Mit diesem Argument sollen unliebsame Menschen in Deutschland zum Schweigen gebracht werden. Immer öfter. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Anton Kuh war ein „Sprechsteller“. So wurde der österreichische Essayist wegen seiner Redekunst von Kurt Tucholsky genannt. Von Kuh stammt eine ironisch gemeinte Frage, die heute gerne unironisch verstanden wird, um gegen jeden agitieren zu können, der einem nicht passt: „Warum denn sachlich, wenn es auch persönlich geht?“.

Ja, warum eigentlich? Vorbei sind die Zeiten, als Dissens ertragen und sogar als bereichernd empfunden wurde. Verdrängt wurde, dass Streit das Salz in der Suppe der Demokratie ist. Belächelt werden jene, die auch Spott, Satire, Zuspitzung und Polemik als von der Redefreiheit gedeckt ansehen.

Als hoffnungsloser Fall gilt, wer fordert, dass der Schmerz, den andere Meinungen oft erzeugen, ausgehalten werden muss. Stattdessen werden aus Fäusten Argumente gemacht.

Jüngster Fall – die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhart. Sie sollte in Hamburg an einem Literaturfestival teilnehmen.

Weil „Aktivisten“ vor vier Jahren versucht hatten, am selben Ort eine Lesung mit Tagesspiegel-Autor Harald Martenstein zu sprengen, die Atmosphäre inzwischen noch aggressiver geworden sei und es entsprechende besorgte Warnungen aus der Nachbarschaft gegeben hatte, waren sich die Veranstalter nach ihren eigenen Worten „sicher, dass die Lesung mit Lisa Eckhart gesprengt werden würde“, und luden die Kabarettistin aus.

Davor traf der Ingrimm eines Online-Mobs den Kabarettisten Dieter Nuhr. Dessen von der Deutschen Forschungsgemeinschaft eingeworbener Text zum Thema Wissenschaft wurde nach Protesten erst panisch gelöscht und dann nach Protesten gegen die Löschung wieder zugänglich gemacht.

Es trifft Linke wie Rechte

Das Motto der Wächter über das Sagbare, die oft als „Aktivisten“ verniedlicht werden, kulminiert in dem Satz „Ja, wenn’s doch der guten Sache dient“. Was dann geschieht, wird unter dem Begriff „Cancel Culture“ zusammengefasst: Mit aggressiven Methoden sollen politische Widersacher zum Schweigen gebracht werden. Es trifft Linke wie Rechte. Kontinuierlich wird der gesellschaftliche Diskussionsraum verkleinert.

Ja, wenn’s doch der guten Sache dient: Dann darf ein AfD-Vertreter nicht in Talkshows auftreten, Bernd Lucke keine Vorlesung an der Hamburger Universität halten, Thilo Sarrazin nicht in der SPD bleiben.

Dann darf der Kameruner Kolonialismusforscher Achille Mbembe nicht den Eröffnungsvortrag bei der Ruhrtriennale halten, die Muslimin Nurhan Soykan nicht das Auswärtige Amt beraten, der „Spiegel“ nicht mit dem durchgeknallten veganen Koch Attila Hildmann spazieren gehen. Dann muss der Meinungschef der „New York Times“ wegen eines reaktionären Gastbeitrags gehen, Donald Trump auf Twitter und Facebook „eingeordnet“, ein Konzert der Punkband „Feine Sahne Fischfilet“ abgesagt werden.

Die zufällige Macht jeweils Stärkerer

Diese Auflistung legt Äpfel neben Birnen. Das ist schon klar. Jeder Fall ist gesondert zu betrachten. Doch in ihrer Gesamtheit nähren die Fälle den Verdacht, dass das Beil immer öfter und schneller fällt, weil selbsternannte Scharfrichter erbarmungslos urteilen. Und weil die, die ihnen die Stirn bieten, weniger werden.

Es gibt Äußerungen, die in Deutschland verboten sind – Beleidigung, Volkverhetzung Holocaust-Leugnung. Über alle anderen schrieb das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2011, es komme nicht darauf an, „ob sie sich als wahr oder unwahr erweisen, ob sie begründet oder grundlos, emotional oder rational sind, als wertvoll oder wertlos, gefährlich oder harmlos eingeschätzt werden“.

Wenn die freie Rede aber nicht mehr von Recht und Gesetz eingeschränkt wird, sondern von der zufälligen Macht jeweils Stärkerer, verwandelt sich ein Wert in ein Instrument. Das ist eine gefährliche Tendenz.

In einer ersten Fassung des Textes hieß es, es hätte Drohungen von Seiten des „Schwarzen Blocks“ der Antifa gegen die Lesung mit Lisa Eckhart gegeben. Diese Darstellung weisen die Veranstalter zurück.

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