zum Hauptinhalt
Was sie zu sagen haben: die neuen Vorsitzenden Martin Schirdewan und Janine Wissler.

© Foto: dpa/Martin Schutt

Linken-Parteitag in Erfurt: Hinter der Fassade aus Durchhalteparolen kriselt es weiter

Hurra, wir leben noch!, macht die Linke sich selbst Mut und stimmt über eine Haltung zu Russland ab. Warum ein Neuanfang trotzdem fraglich ist. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Claudia von Salzen

Die Linke versucht den Neuanfang, wieder einmal. Beim Parteitag in Erfurt hat sie Janine Wissler und Martin Schirdewan an die Spitze gewählt. Auf die beiden wartet eine schwere Aufgabe: Sie sollen ihre Partei vor dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit bewahren, der angesichts der desolaten Wahlergebnisse droht. Aufbruchstimmung sollte von diesem Parteitag ausgehen. Die Linke übte sich am Wochenende in Erfurt in Selbstbeschwörung: Wir leben noch, und wir werden gebraucht!

[Wenn Sie aktuelle Nachrichten aus Berlin, Deutschland und der Welt live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Wer hinter die Fassade aus Durchhalteparolen blickt, dem bietet sich nach wie vor ein desolates Bild. Selbst die vermeintlichen Erfolge dieses Parteitages verweisen in Wirklichkeit auf die tiefgreifenden Probleme der Linken. Dem bisherigen Parteivorstand um die wiedergewählte Vorsitzende Wissler ist es in Erfurt gelungen, dass die Linke den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine eindeutig verurteilt und ihre Solidarität mit den Menschen in dem vom Krieg gezeichneten Land erklärt.

Das ist ein richtiger und wichtiger Schritt, und doch ist es ein Armutszeugnis für eine demokratische und den Menschenrechten verpflichtete Partei, dass es in dieser Frage überhaupt Diskussionen geben muss.

Machtprobe mit Wagenknecht

Vor dem Treffen in Erfurt suchte die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht die Machtprobe. Sie wollte den Parteivorstand zwingen, auf eine Verurteilung des russischen Überfalls als „verbrecherischen Angriffskrieg“ zu verzichten und stattdessen frühere Kriege der USA anzuprangern. Wagenknecht und ihre Getreuen kamen mit diesem Vorschlag auf dem Parteitag nicht durch, eine große Mehrheit lehnte ihn ab.

Sahra Wagenknecht wollte ein russlandfreundliches Votum und scheiterte.
Sahra Wagenknecht wollte ein russlandfreundliches Votum und scheiterte.

© Britta Pedersen/dpa-Zentralbild/dpa

Auch das kann Wissler, die den Entwurf des Parteivorstands selbst verteidigte, als Erfolg für sich verbuchen. Die außenpolitischen Positionen, die Wagenknecht immer wieder in Talkshows vertritt, sind innerhalb der Linken nicht mehrheitsfähig, das hat die umstrittene Ex-Fraktionschefin jetzt schriftlich. Wissler hofft darauf, dass mit dem Beschluss endlich die „Vielstimmigkeit“ in der Russlandpolitik aufhört.

[Lesen Sie hier bei T-Plus: Kann Janine Wissler die Linke vor dem Untergang bewahren?]

Doch wird Wagenknecht sich nun etwa einreihen und einer Parteilinie folgen, die sie ablehnt? Von der streitbaren Politikerin, die in den vergangenen Jahren immer wieder für Disruption in ihrer Partei sorgte, wird noch zu hören sein.

Jetzt ist zwar klargestellt, welche Haltung zu Putins Russland eine Mehrheit in der Partei vertritt. Doch in Erfurt wurde überdeutlich, was für krudes Gedankengut eine gar nicht so kleine Minderheit verfolgt: einen Anti-Amerikanismus, der blind macht für den Imperialismus und die Verbrechen von Putins Russland, und ein am Marxismus geschultes Weltbild, wonach in Wirklichkeit der Kapitalismus die Ursache allen Übels und damit auch dieses Krieges sei.

Erfurt wird die "Putin-Versteher" kaum stoppen

Die „Putin-Versteher“ sind eine schwere Belastung für die Partei, und es ist wenig wahrscheinlich, dass sie sich nach dem Erfurter Beschluss in Zurückhaltung üben.

Auch der Erfolg von Wissler und Schirdewan ist nicht ungetrübt. Der bisherigen Parteichefin ist es gelungen, trotz der Kritik an ihrem Umgang mit Sexismus und Übergriffen in der Partei wiedergewählt zu werden. Doch unmittelbar nach ihrem Sieg äußerten Frauen, die selbst Übergriffe erlebt haben, ihr Entsetzen über das Votum der Parteitagsmehrheit.

Gräben in der Partei sind noch immer tief

Wissler hat es also in den vergangenen zwei Monaten nicht geschafft, sich glaubhaft mit den Betroffenen auseinanderzusetzen, sie hat auch große Teile des Jugendverbands gegen sich. Das lässt wenig Gutes für die in Zukunft notwendige Befriedung der Partei erwarten. Wisslers Co-Chef Schirdewan ist bundespolitisch unerfahren und hat als Europa-Abgeordneter eher wenig Kontakt zur Basis.

Beide wurden von einem ziemlich großen Teil ihrer Partei nicht gewählt. Die Gräben in der Linkspartei sind immer noch tief. Hinzu kommen ungelöste strukturelle Probleme wie die konkurrierenden Machtzentren in Partei und Fraktion. Von einem echten Neuanfang bei den Linken kann also vorerst nicht die Rede sein.

Anmerkung: In einer früheren Fassung dieses Textes hieß es, Sahra Wagenknecht habe den Parteivorstand zwingen wollen, auf eine Verurteilung des russischen Überfalls zu verzichten. In dem von einer Gruppe um Wagenknecht vorgelegten Änderungsantrag wird Russlands Krieg als völkerrechtswidrig bezeichnet. Den im Entwurf des Vorstands enthaltenen Satz „Wir verurteilen den verbrecherischen Angriffskrieg Russlands auf das Schärfste.“ wollten Wagenknecht und ihre Unterstützer aber streichen.

Zur Startseite