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Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU).

© John MacDougall/AFP

Linke rügt Regierungsantworten: „Innenministerium entwickelt sich in Richtung Orwellsches Wahrheitsministerium“

Die Linksfraktion im Bundestag sieht sich vom Innenministerium bewusst falsch informiert. Die Behörde weist die Vorwürfe vehement zurück.

Von Matthias Meisner

Die Linksfraktion im Bundestag streitet seit Monaten mit dem von Horst Seehofer (CSU) geführten Bundesinnenministerium (BMI) über die angeblich mangelhafte Beantwortung von parlamentarischen Anfragen. Das geht aus einem Briefwechsel zwischen Linken-Parlamentsgeschäftsführer Jan Korte und dem BMI hervor, der dem Tagesspiegel vorliegt.

Korte schrieb im Frühjahr an Seehofer, er habe „erneut Anlass“ sich wegen „unzureichend beantworteter Kleiner Anfragen meiner Fraktion“ zu beschweren – es ging um Themen wie die Asylstatistik, Abschiebungen, das Dublin-Verfahren sowie Verdächtigungen gegen die ehemalige Leiterin der Bremer Außenstelle des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF).

Auf 15 Seiten listete Korte die Missstände bei der Antwort-Praxis des Ministeriums anhand von konkreten Beispielen auf. Zum Teil habe es an „begründeten“ oder "ernsthaften" Antworten gefehlt, warf der Linken-Politiker dem Minister vor. Gelegentlich sei „durchsichtige Wortklauberei betrieben“ worden, in anderen Fällen habe „eine ehrliche und umfassende“ Antwort gefehlt. Im Streit um die ehemalige Bremer BAMF-Außenstellenleiterin habe sich das Ministerium in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage auf ein „wortklauberisches Ablenkungsmanöver“ zurückgezogen.

„Ich denke, Sie verstehen unser Misstrauen“, schrieb Korte. Und: „Ich möchte Sie auch generell dazu auffordern, zu der aus unserer Sicht mitunter mangelhaften Qualität der Beantwortung Stellung zu beziehen und für eine angemessenere, umfassende und wahrhaftige Beantwortung parlamentarischer Anfragen in der Zukunft zu sorgen.“

BMI: Fragerecht hat für uns hohen Stellenwert

Das Bundesinnenministerium wies die Vorwürfe zurück, „in aller Deutlichkeit“, wie der Parlamentarische Staatssekretär Stephan Mayer (CSU) zurückschrieb. Es seien weder unwahre noch qualitativ mangelhafte Auskünfte erteilt worden. Allein die die für Migrationsfragen zuständige Abteilung M des Ministeriums habe bereits im laufenden Jahr mehrere hundert Fragen der Linksfraktion und anderer Fraktionen „umfänglich beantwortet“.

Dabei seien „aufwändige statistische Auswertungen durchgeführt, komplizierte juristische Sachverhalte aufbereitet und in zahlreichen Fällen komplexe Vorgänge aus der Vergangenheit sorgfältig, detailgenau und nachvollziehbar rekonstruiert“ worden.

Das BMI als Verfassungsressort nehme den Informationsanspruch des Parlaments „sehr ernst“, schrieb Mayer. Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht habe in der gesamten Bundesregierung, insbesondere aber im Bundesinnenministerium, einen „hohen Stellenwert“.

Lediglich in einem konkreten Fall gibt das Ministerium ein „Büroversehen“ bei der Beantwortung einer Frage zu. Dass die Linke Seehofer vorwirft, er habe wider besseres Wissen die Vorgänge um die ehemalige Bremer BAMF-Außenstellenleiterin skandalisiert, kontert der Staatssekretär mit dem Hinweis auf ein Interview mit Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht.

Diese habe 2018 im Zusammenhang mit den Vorgängen in Bremen erklärt: „Es geht offenkundig um organisierte Kriminalität und schwerwiegenden Betrug. Diese Vorgänge müssen schleunigst aufgeklärt werden.“

Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke
Linken-Innenpolitikerin Ulla Jelpke

© Achim Melde/Deutscher Bundestag

Zufrieden ist die Linke mit diesen Auskünften aus dem Ministerium nicht. Erst recht nicht, seit sie die Antwort des Ministeriums Punkt für Punkt geprüft hat. Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion, erneuerte am Mittwoch den Vorwurf, die Bundesregierung informiere Abgeordnete bewusst falsch, dies sei „völlig inakzeptabel“.

Jelpke sagte dem Tagesspiegel zudem, das Bundesinnenministerium versuche, Abgeordnete „an der Nase herumzuführen“. Es türme „bei seinen Täuschungen der Abgeordneten eine Lüge auf die nächste“. Jelpke sagte weiter: „Ich habe diese offenkundig gezielten Desinformationen gegenüber dem Parlament wirklich satt.“ Und: „Das Innenministerium entwickelt sich langsam in Richtung Orwellsches Wahrheitsministerium.“

Zum Streit um die Vorgänge in der Bremer BAMF-Außenstelle bilanziert die Linken-Politikerin, alle bisherigen Widerrufe der angeblich skandalösen Bremer Anerkennungsbescheide hätten sich nach einer gerichtlichen Überprüfung bislang als rechtswidrig erwiesen.

Die ursprüngliche Entscheidung, Schutz zu gewähren, sei offenkundig richtig gewesen. „Der eigentliche Skandal ist die Skandalisierung der Schutzpraxis des BAMF in Bremen, die nicht nur humanitär, sondern auch rechtlich geboten war.“

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