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Teilnehmer der linken Demonstration in Leipzig zünden Pyrotechnik.

© Sebastian Willnow/dpa

Linke Demo in Leipzig: Ein Regen aus Steinen, Böllern und Raketen

Linksautonome demonstrieren in Leipzig. Nach wenigen Minuten explodiert der erste Böller vor den Füßen der Polizei. Ein Report von vor Ort.

Es war die Eskalation, auf die viele seit der Silvesternacht in Leipzig gewartet haben. Als am Samstag fast genau um 19 Uhr die ersten Steine, Raketen und Böller aus der Menge Richtung Supermarkt fliegen, leert sich die Straße schnell. Eine Polizeikette wird sichtbar, es knallt im roten Licht der Bengalos, Vermummte schleudern Steine auf die Beamten.

Dann rennen sie in die Seitenstraße, die behelmte Polizei hinterher. Tag (((i))), wie die linksradikale Szene den Samstag nannte, ist damit aus dem Ruder gelaufen. Zwar nur für einige Minuten. Dass nicht mehr passiert ist, ist auch einer Polizeistrategie zu verdanken, die auf Deeskalation gesetzt hat – und der Tatsache, dass nur eine kleine Gruppe der 1600 Demonstranten auf Eskalation auszusein schien.

Es ist die erste linksradikale Demo nach den Ereignissen der Silvesternacht im Leipziger Stadtteil Connewitz, wo krawallbereite Feiernde auf eine dominant und repressiv auftretende Polizei getroffen waren, die im Anschluss Falschmeldungen über notoperierte Polizisten veröffentlichte. Unter dem Motto „Wir sind alle linksunten – Pressefreiheit verteidigen, den autoritären Staat angreifen“ wollten dann am Samstag Linksautonome aus ganz Deutschland ihre Solidarität mit dem deutschsprachigen Ableger der linksradikalen Plattform „Indymedia“ zeigen. Militante Gruppen aus ganz Deutschland hatten mobilisiert und teilweise zu Gewalt aufgerufen.

Nach den G20-Protesten in Hamburg hatte der damalige Innenminister Thomas de Maizière (CDU) per Vereinsrecht den weiteren Betrieb der Homepage zur Straftat erklärt. Die Seite ist seitdem eingestellt. Am Mittwoch soll das Bundesverwaltungsgericht verhandeln.

Nachdem die Demo nach anderthalb friedlichen Stunden vor dem Gericht startete, explodierte der erste Böller schon nach wenigen hundert Metern vor den Füßen der Polizei. Die hatte in den vergangenen Tagen alles daran gesetzt, nach dem Desaster von Silvester eine deeskalierende und doch sichere Strategie zu präsentieren.

Polizei deeskaliert

Beamte waren in gelben Westen unterwegs, um mit Presse, Demonstrierenden und Passanten einen reibungslosen Dialog zu ermöglichen. Gleichzeitig hatte man von Reiterstaffel über Wasserwerfer bis hin zu Hubschraubern schweres Geschütz aufgefahren.
Zu sehen ist davon während der Demo jedoch nichts. „Ich habe die Polizei als sehr deeskalierend wahrgenommen“, sagt ein Politikstudent, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Zwar habe er gewusst, dass in den Seitenstraßen irgendwo ein starkes Aufgebot war. „Davon hab ich aber nichts mitbekommen“, sagt er. Er findet das „positiv“. „So eine Taktik ist nicht selbstverständlich in Sachsen.“

Ich habe die Polizei als sehr deeskalierend wahrgenommen“, sagt ein Politikstudent.
Ich habe die Polizei als sehr deeskalierend wahrgenommen“, sagt ein Politikstudent.

© AFP

Und so läuft die Demo die halbe Strecke nach Connewitz schnell, aber friedlich ab. Dann, als Raketen aus der Menge gezündet werden und explodieren, wird es laut. „Das ist scheiße“, rufen die einen, andere johlen. Als ein Autofenster eingeschlagen wird und die Alarmanlage losheult, kommt der Aufzug zum Stehen, dann geht alles ganz schnell.

Ein Regen aus Steinen, Böllern und Raketen prasselt auf die Supermarkt- und Pizzakette auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Einige Meter weiter auf der Kreuzung demolieren Vermummte dann einen Polizeiwagen, Steine schlagen auf umstehenden Autos und einer Subway-Filiale ein. Im Chaos rennen die Vermummten weg, schließlich scheucht Bundespolizei Demonstranten aus einer Ecke und baut sich dort auf. Schon ist der Spuk vorbei und es passiert eine Stunde lang – nichts.

Angriffe auf Journalisten

Am Ende sperrt die Polizei zwar die Kreuzung, verzichtet aber auf kollektive Identitätsfeststellung. Eine neue Demo darf schließlich bis nach Connewitz ziehen und endet friedlich – übrig geblieben sind von 1600 Demonstrierenden nur 300. Die Bilanz des Abends laut Polizei: 13 verletzte Beamte, sechs vorläufige Festnahmen wegen Landfriedensbruchs, Sachbeschädigung und Körperverletzung.

Auf Seiten der Demonstranten hört man bisher von drei Verletzten. Die deeskalierende Polizeistrategie dürfte Schlimmeres verhindert haben, ein Pluspunkt für das angeschlagene Image der Leipziger Polizei – was man von der Demo der Linken nicht behaupten kann.

Reste einer eingeschlagenen Scheibe liegen neben einer Straßenbahnhaltestelle in Leipzig.
Reste einer eingeschlagenen Scheibe liegen neben einer Straßenbahnhaltestelle in Leipzig.

© Jan Woitas/dpa

Letztere müssen sich auch Fragen zu ihrem Umgang mit Pressefreiheit gefallen lassen – ausgerechnet dem Motto, unter dem die Demo lief. Denn immer wieder wurden Journalisten angegriffen und bedroht. „Ich find’s total kontraproduktiv, vor allem auf einer Demo für mehr Pressefreiheit“, sagt der Politikstudent. „Die Presse muss frei berichten können.“ Das sei aber kein generelles Problem der Linken, sondern eines von Einzelnen.

Auch bei den Angriffen auf die Polizei sei sichtbar gewesen, dass sie von Einzelnen ausgingen. Bemerkenswert ist dennoch: Selbst wenn die Polizei sich deeskalierend verhält, hat die größtenteils friedlich demonstrierende Masse ihre krawallbereite Minderheit nicht unter Kontrolle.

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