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Lichtschein in finsterer Coronavirus-Zeit: Wer diese Krise bewältigt, kann auch mit der Klimakrise fertig werden

Die Politik folgt der Wissenschaft, die Wissenschaft folgt der argumentativen Wucht von Zahlen und Daten. Was wir aus der Krise lernen können. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Malte Lehming

Es folgt eine Aufzählung. Manches davon wird praktiziert, manches wurde beschlossen, über anderes wird nachgedacht.

Da ist die Wiederentdeckung des Nationalstaats, die Schließung der Grenzen, Lieferverbote von medizinischem Gerät ins Ausland, der Einsatz der Bundeswehr zur Überwachung von Ausgangssperren, die Renaissance von Einweg-Plastiktüten, die Weitergabe von Handydaten, ein Verbot der Verbreitung von Falschnachrichten im Internet, die Aufhebung der Schulpflicht. 

Damit einher geht die drastische Einschränkung diverser Bürgerrechte wie Religionsfreiheit (keine Gottesdienste), Meinungsfreiheit (Fake-News-Ahndungen), Bewegungsfreiheit (Ausgangssperren), Versammlungsfreiheit (keine Demos), Datenschutz (Auswertung von Handydaten).

Einschränkung des öffentlichen Lebens hat weitreichende Folgen

Die Solidarität innerhalb der Europäischen Union liegt auf Eis. Asyl- und Schutzsuchende haben kaum noch eine Chance, auf den Kontinent zu gelangen.

Verwandtenbesuche werden abgesagt, Urlaubsreisen storniert, Rückholaktionen von Deutschen organisiert, die sich in entfernten Regionen der Welt befinden.

Der Staat verschuldet sich wieder, die Rede ist von Hilfs- und Investitionszahlungen in Höhe von einer Billion Euro. 

Maßnahmen werden weitgehend eingesehen, befolgt und verteidigt

Das alles geschieht innerhalb weniger Wochen. Noch werden gelegentlich Stimmen laut, die die Entwicklung bremsen möchten.

Hier und da findet sich ein Erschrecken über die Geschwindigkeit der alltäglich vollzogenen Revolutionen. Doch im Allgemeinen werden die Maßnahmen eingesehen, befolgt und verteidigt.

In normalen Zeiten hätte jede einzelne von ihnen erbitterte ideologische Kämpfe verursacht. Das Ende von Freiheit und Rechtsstaat wäre als Schreckensvision verkündet worden.

Es hätte Vergleiche mit aktuellen und historischen Diktaturen gegeben. Über den Verlust von Idealen würde geklagt. All das bleibt diesmal weitgehend aus.

Um Menschenleben zu retten, regiert nur der Pragmatismus

Gemessen an den Gefahren, die von der Coronavirus-Pandemie ausgehen, ist das ein zu lobendes Wunder. Der Staat und die Bürger wollen tun, was notwendig ist, um Menschenleben zu retten.

Ideologien und Weltanschauungen werden über Bord geworfen, es regiert nur ein Prinzip - der Pragmatismus. 

Die Politik folgt der Wissenschaft, und die Wissenschaft folgt der argumentativen Wucht von Zahlen und Daten. Über Politik lässt sich streiten, über wissenschaftliche Erkenntnisse nicht.

Was passiert nach dem Ausnahmezustand?

Die Leitfiguren dieser Zeit sind die ins Präsidiale entrückte Bundeskanzlerin, Angela Merkel, und der umfassend kundige Virologe und Institutsdirektor bei der Charité, Christian Heinrich Maria Drosten. Sie geben, unabgesprochen zwar, aber mit ähnlich pathosfreiem Habitus, die Richtung vor. 

Doch was passiert, wenn eine radikal entideologisierte Politik den Ausnahmezustand verlässt und zu ihren Ursprüngen zurückkehrt? Zu Freiheitsrechten, der EU, dem Datenschutz, der Schulpflicht?

Wird dann die Coronavirus-Zeit als langer, böser Traum rasch vergessen? Oder bleibt womöglich die Erinnerung an die alles überwölbende Maxime des Pragmatismus?

An eine Gemeinschaft, die – ein großes Ziel vor Augen – sich nicht in Nebensächlichkeiten verliert, sondern handelt. An die Einsicht, dass es Zwecke gibt, die fast jedes Mittel heiligen. An die an alle gerichtete Aufgabe, Rechte und Freiheiten gegeneinander abzuwägen.

Analogien zwischen Coronavirus-Pandemie und anderen globalen Krisen

In der Stunde der Not werden Lehren, die es künftig zu beherzigen gilt, gern verdrängt. Viren haben weder eine politische Agenda, noch kennen sie Schuldige. Sie verbreiten sich nach ihren eigenen Gesetzen.

Je schlechter das Gesundheitssystem eines Landes, desto gefährlicher die Lage für dessen Nachbarn. Je Ich-zentrierter die Menschen auf ein Virus reagieren, desto schneller kann es sich verbreiten.

Viele Analogien lassen sich ziehen zwischen der Coronavirus-Pandemie und anderen globalen Krisen – der Erderwärmung, dem weltweiten Finanz- und Wirtschaftskollaps 2008, der Ressourcenknappheit, den Migrations- und Flüchtlingsbewegungen.

Gemeinsame Anstrengung und Stärkung der internationalen Systeme notwendig

Sie zu lösen, bedarf es stets einer gemeinsamen Anstrengung und einer Stärkung der internationalen Systeme.

Man siehe akut nur auf die unermüdliche Arbeit der WHO und den, hoffentlich, weltweiten Informationsaustausch zur Entwicklung eines Impfstoffes.

Nationalismus und Isolationismus gaukeln dagegen eine Welt vor, in der Viren- und andere Krisen an Grenzen Halt machen.

Eine Welt, in der alleine groß werden zu wollen, automatisch auf Kosten anderer geht. Es wäre ein Lichtschein in dieser finsteren Zeit, wenn diese Einsicht weiter um sich greift.

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