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Gestrandet: Afrikanische Migranten in einem Lager des libyschen Innenministeriums in der Hafenstadt Zawiya

© Mahmud Turkia/AFP

Update

Libyen und die EU: Die Geisterwächter von Tripolis

Zur Abwehr von Migranten floss viel EU-Geld nach Libyen – doch die Zweifel an der Küstenwache des Landes wachsen.

Die Abriegelung der europäischen Grenzen ist nicht nur das Werk europäischer Grenzschützer. Die Europäische Union setzt dabei auch ganz wesentlich auf die Mitarbeit der Anrainer, vor allem der nordafrikanischen Staaten. Die kontroverseste dieser Kooperationen ist die mit Libyen. Das Land wird weiter vom Bürgerkrieg zerrissen, dennoch erhielt seine Küstenwache viel Geld und Ausrüstung von der EU, damit sie Migrantenboote daran hindert, nach Norden aufbrechen.

Zweifel sogar an der Existenz einer Küstenwache

Das hatte im vergangenen Jahr unter anderem (daneben liefen Klagen gegen NGOs, weil sie angeblich Schlepper unterstützten) zur Folge, dass sich private Seenotrettungsorganisationen von der libyschen Küste zurückzogen. Mehrfach waren sie von libyschen Booten bedroht oder sogar beschossen worden. Die Libyer reklamierten eine eigene „Search and Rescue“-Zone für sich, in der sie allein für Hilfsmaßnahmen zuständig sind. Diese Zone haben sie im Sommer durch die Internationale Seeschifffahrtsorganisation (IMO) zugesprochen bekommen. Bis dahin hatte die römische Zentrale der italienischen Küstenwache die Nothilfe im Mittelmeer koordiniert.

Doch es gibt Zweifel sogar an der Existenz einer libyschen Küstenwache. Einem Bericht in der italienischen Tageszeitung „Il Fatto Quotidiano“ zufolge berichteten Schiffsbesatzungen, die sich an die Leitstelle in Tripoli gewandt hatten, sie erhielten von dort gar keine Antwort. Die nach wie vor in der Seenotrettung aktiven Hilfsorganisationen SOS Mediterranee und Ärzte ohne Grenzen hatten der libyschen Leitstelle im August zumindest Unfähigkeit vorgeworfen. Als das gemeinsame Schiff „Aquarius“ im August Schiffbrüchige aufnahm, sei das Personal in Tripolis nicht in der Lage gewesen, einen Hafen zu nennen, in den man die Migranten habe bringen können. Eine Rettungsaktion sei aber nach internationalem Recht erst beendet, wenn Schiffbrüchige sicher an Land gebracht seien, sagte Verena Papke, die Geschäftsführerin von SOS Mediterranee.

"Ist das der bewaffnete Arm der Sklavenhändler?"

Dass die libysche Küstenwache womöglich ein Geisterunternehmen ist, wollten die Behörden in Rom nicht bestätigen. Eine Sprecherin der Küstenwache Italiens bestätigte dem Tagesspiegel am Donnerstag auf Anfrage, bei den Hilfsaktionen der vergangenen Tage und Wochen seien immer auch libysche Boote im Einsatz gewesen. Auch SOS Mediterranée erklärte auf Anfrage, man habe durchaus Aktivitäten der Libyer bemerkt - auch wenn sie zeitweise nachgelassen hätten, vermutlich der Kämpfe um Tripolis wegen. Erst wenige Tage zuvor sei ein Schlauchboot in Seenot aufgehalten und nach Libyen zurückgebracht worden. Die libysche Küstenwache sei allerdings wegen der Menschenrechtslage im Land de facto nicht in der Lage, sichere Häfen zu benennen - das stelle sie "als kompetende Behörde in Frage" und offenbare auch den Widersinn, Libyen ein Such- und Rettungsgebiet und eine zugehörige Seenotleitstelle zuzugestehen, ergänzte SOS-Med-Sprecherin Juliane Tetzlaff.

Ein Admiral der italienischen Marine, der anonym bleiben wollte, schilderte die Lage im südlichen Mittelmeer Mitte Juli der italienischen Tageszeitung „Il sole 24 ore“ so: Was die libysche Küstenwache überhaupt sei, sei völlig unklar. „Wenn Italien der ,libyschen Küstenwache’ Motorboote überlässt und man Fotos libyscher Seeleute sieht – auf welche militärische oder paramilitärische Organisation bezieht man sich da? Sind das neutrale Einrichtungen oder ist das der bewaffnete Arm der Sklavenhändler?“

Der ungenannte Admiral ist nicht allein mit dem Verdacht, dass die Arbeits- und Folterlager, in denen afrikanische Migranten in Libyen festgehalten, gequält, vergewaltigt und ausgebeutet werden, mit Staatsbediensteten der Küstenwache verbandelt oder sogar identisch sind. Bereits die UN, die eine Aufklärungsmission nach Libyen geschickt hatten, äußerten vor zwei Jahren diesen Verdacht. Die „KZ-artigen“ Zustände dort belegen inzwischen Reportagen, NGO-Berichte und sogar einer des Auswärtigen Amts in Berlin.

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