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In Passau gibt es bereits Ausgangsbeschränkungen.

© Lino Mirgeler/dpa

Leopoldina empfiehlt harten Lockdown: Jetzt hilft nur noch der Hammer – weil Deutschland so viel versäumt hat

Deutschland - ein Musterland der Krisenbewältigung? Ganz und gar nicht. Nun sitzen wir so tief in der Misere, dass nur ordentliches Draufhauen hilft. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Richard Friebe

Wer ein Ziel erreichen will, sollte wissen, was das Ziel überhaupt ist. Ist es ein gesamtgesellschaftliches, ist es auch sehr hilfreich, wenn möglichst viele sich einig darüber sind. 

Um das zu erreichen, braucht man in einer nicht-autoritären Gesellschaft eine offene, faktenbasierte, kohärente, ehrliche Kommunikation, kompetente Fachleute und kompetente, die Kompetenz der Anderen achtende politische Entscheidungsträger. Und dann ist es natürlich hilfreich, wenn die logistischen, technologischen, aber auch ideellen Ressourcen zur Verfügung stehen.

In Bezug auf die Bekämpfung der Coronapandemie waren wir in all dem bislang nicht besonders gut. Die Ziele hatten alle möglichen Namen. Anfangs hieß es: „Keine Panik“. Dann: „Kurve abflachen“. Es folgten „Leben retten“, „Wirtschaft und Bildung stützen“, „Normalität“ und schließlich „die Welle brechen“. 

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Was die Kompetenz und vor allem Verlässlichkeit in der öffentlichen Kommunikation angeht, ging es von „Masken sind nicht wirksam“ bis zu „Masken sind so wirksam wie eine Impfung“ (Quelle für beides: Robert Koch Institut). Es ging von „Schulschließungen und Lockdowns unbedingt vermeiden“ bis zu „Schulschließungen und Lockdowns sind unumgänglich“ (Quelle für beides: „Gesundheitsexperte“ Karl Lauterbach).

Deutschland ist nicht so gut im Umgang mit der Pandemie 

Die fehlende Digitalisierung, die fehlende Ausstattung der Gesundheitsämter, die fehlende Demut, Wissenslücken zuzugeben, der fehlende Mut, diese Lücken schnell zu schließen, kamen hinzu. Von fehlender Priorisierung ganz zu schweigen, siehe die Staatskrise wegen eines knappen Euros Gebührengeld in einem stark betroffenen Bundesland. 

Manche, Ärztinnen und Pfleger etwa, haben über die Maßen Großartiges geleistet. Doch als Gesellschaft und Staat sind wir nicht gut im Umgang mit der Pandemie. Und das von Anfang an. Man hat es, dem Frühling sei Dank, nur nicht so gemerkt. Jetzt dafür umso mehr.

Die Leopoldina fordert nun einen harten Lockdown bis zum 10. Januar - aus gutem Grund

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina hat die politischen Entscheidungsträger jetzt aufgefordert, ein massives, restriktives Maßnahmenpaket zu schnüren: Schulen zu ab kommender Woche, über die Feiertage „Lockdown hard“ statt Lockerungen. Bis zum 10. Januar.

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Wir fragen, wieder mal: Ist das das Richtige? Ginge es nicht auch anders, besser? Es ginge. Mit sehr gezielten Maßnahmen, dynamischen Reaktionen auf die Dynamik der Pandemie, mit effizienter Logistik und Kommunikation etwa hinsichtlich Nachverfolgung, Schnelltests und Schutz von Risikogruppen, mit einer in großer Mehrheit einsichtigen Bevölkerung.

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Es ginge, wenn man das Jahr auch jenseits der kommerziell attraktiven Impfstoffforschung zu intensiver epidemiologischer Forschung genutzt hätte und jetzt auf dem, was man neudeutsch „Evidenz“ nennt, aufbauen könnte. 

Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt einen harten Lockdown - auch, die Schulpflicht ab dem 14. Dezember aufzuheben.
Die Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina empfiehlt einen harten Lockdown - auch, die Schulpflicht ab dem 14. Dezember aufzuheben.

© Armin Weigel/dpa

Die solideste Evidenz bezeugt bislang allerdings lediglich unsere Unfähigkeit, in ausreichendem Maße gezielt, ausgewogen, flexibel, solidarisch, wissenschaftsbasiert und Wissenslücken anerkennend, logistisch-technologisch effektiv und in der Kommunikation verlässlich zu reagieren.

Was die Leopoldina nun vorschlägt, ist die Holzhammer-Variante

Was die Leopoldina nun vorschlägt, ist die Holzhammer-Variante. Es ist das, was man im englischen Sprachraum gerne die "Atombomben-Option" nennt. Und der Grund ist – noch so ein notorischer Begriff – Alternativlosigkeit. Nicht, weil es die Alternativen nicht gäbe, sondern weil wir offensichtlich nicht in der Lage sind, sie auch umzusetzen. Was die Leopoldina vorschlägt, ist traurig, traurig, traurig. Aber wohl richtig. Man muss zu diesem Schluss kommen, wenn man sich fragt, was in den Augen weiter Teile der Bevölkerung denn überhaupt das wichtigste Ziel ist.

Aktuelle Umfragen, Umsatzahlen im Einzelhandel und ein paar andere Indikatoren zeigen: Es lautet längst nicht mehr, auf Christus komm raus ganz normal shoppen zu gehen und Weihnachten zu feiern, die Schulen offen, die Wirtschaft voll am Laufen zu halten. 

Sondern die Zahlen der neuen Infektionen und der neuen Gräber herunter zu bekommen. Die Zahlen verunsichern, lähmen. Die Menschen wollen sich wieder sicherer fühlen, die Wirtschaft auch. Wenn wir dieses Ziel nicht intelligent erreichen können, dann müssen wir es ganz unweihnachtlich mit ordentlichem Draufhauen versuchen.

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