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Viren bedrohen Menschen immer wieder - wie kann man die koodiniert abwehren?

© imago/Science Photo Library

Lehren aus der Corona-Seuche: "Wir brauchen ein globales Datensystem, um Pandemien besser managen zu können"

Im Krisenfall sind schnell verfügbare, robuste Evidenzen wichtig - aber bisher fehlen entsprechende Strukturen. Zum heutigen Weltgesundheitstag ein Gastbeitrag.

- Chikwe Ihekweazu arbeitet als Direktor im Bereich Epidemiologie bei der WHO; Mirjam Jenny lehrt Wissenschaftskommunikation an der Universität Erfurt; Johannes Vogel ist Generaldirektor des Naturkundemuseums; Cornelia Betsch unterrichtet Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt.

Was bedeutet ein Weltgesundheitstag im Jahr 2022? Wissen wir, dass es ihn schon seit 1950 gibt? Doch diesmal ist er anders, denn wir befinden uns immer noch in einer globalen Pandemie - in einem Zustand, den wir in der entwickelten Nord-Hemisphäre seit mehr als hundert Jahren schlicht „vergessen“ hatten.

Covid-19 hat den schlimmsten Krankheitsausbruch seit der Grippepandemie von 1918 verursacht, und die Folgen betreffen alle Lebensbereiche. Weltweit gerieten die Gesundheitssysteme massiv unter Druck, Fortschritte in der globalen Gesundheitsversorgung wurden zunichte gemacht.

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Volkswirtschaften schrumpfen, Preise steigen, Lieferketten brechen zusammen. Die Bildung der Kinder wurde unterbrochen, häusliche Gewalt nahm zu, ebenfalls die Zahl psychischer Probleme. Hinzu kam eine Infodemie an Falschinformation, die befördert wurde durch soziale Medien, politische Polarisierung und Impfskepsis sowie in einigen Ländern durch ein ausgeprägtes Misstrauen gegenüber den Regierungen.

Leider wird Covid-19 nicht die letzte Pandemie sein. Der Klimawandel, eine sich rasant verändernde Umwelt, Urbanisierung, internationale Mobilität, Herausforderungen bezüglich der internationalen Sicherheit und fragile Gesundheitssysteme - all das führt dazu, dass Epidemien häufiger werden, komplexer und schwieriger zu verhindern und einzudämmen.

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Schon jetzt kristallisieren sich die Auswirkungen des Klimawandels als wichtige Risikofaktoren für Ausbrüche von Infektionskrankheiten heraus. Dürren, steigende Meeresspiegel und eine abnehmende Biodiversität sind primäre Folgen des Klimawandels. Vor allem die sekundären Auswirkungen - wie Konflikte um natürliche Ressourcen, Wasser, Nahrungsmittel und die daraus resultierende Migration von Menschen und Tieren - erhöhen das Risiko weiterer Pandemien. Überschwemmte Küstenregionen und zerstörte Böden werden Menschen langfristig zur Flucht zwingen und dazu, noch enger beieinander zu leben.

Krankheitsausbrüche haben unterschiedliche Auslöser. Viele ansteckende Erreger werden von wilden Tieren auf den Menschen übertragen. Man nennt dies Zoonosen. Das kann passieren, wenn Menschen mit wilden Tieren in Berührung kommen, die diese Erreger in sich tragen, etwa wenn Tiere geschlachtet und auf sogenannten „Wet Markets“ verkauft werden, auf denen Hygienestandards oft nicht eingehalten werden.

Immer weniger unberührte Natur lässt Tiere an Menschen ranrücken

Der Verlust der Biodiversität wird durch Umweltveränderungen bewirkt, die zur Folge haben, dass wilde Tiere ihren natürlichen Lebensraum verlieren. Wenn Lebensraum für intensive Landwirtschaft genutzt wird oder viele Tiere gezwungen werden, sich auf immer engerem Lebensraum zu bewegen, geht Biodiversität verloren. Wilde Tiere werden dann gezwungen, in Gebieten zu leben, die ihnen nicht entsprechen und wo sie in Kontakt mit anderen Tieren oder auch Menschen kommen, denen sie sonst kaum begegnen würden.

Diese neuen Kontakte begünstigen die Verbreitung von Krankheitserregern. Dasselbe geschieht bei der Entwaldung aufgrund von Siedlungs- oder Straßenbau oder für die Industrie. Wenn Tierbestände auf solche Weise dezimiert oder vertrieben werden, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass Krankheitserreger sich auf den Menschen übertragen.

Klimaschutz und Artenschutz befördern unsere eigene Gesundheit

Die Gesundheit unseres Planeten und unsere eigene Gesundheit sind miteinander verwoben. Klimaschutz und Artenschutz befördern unsere eigene Gesundheit. Für eine sinnvolle Vorbereitung auf die nächste Pandemie müssen wir diese Zusammenhänge besser verstehen und ein Verständnis für sie in der Bevölkerung schaffen. Wir müssen gute Gesundheitsinformationen und Informationen über die Gesundheit von Tieren und deren Lebensbedingungen, über Klimaveränderungen und menschliches Verhalten generieren.

Innerhalb einzelner Wissenschaften wird solch existenziellen Themen bereits Beachtung geschenkt. Allerdings werden die Erkenntnisse zu selten miteinander vernetzt. Auch in der Politik müssen möglichst viele gesundheitsgefährdende Faktoren zusammengedacht werden. Während Finanzkrisen, Krisen des Friedens und einer großen globalen Erschöpfung finden sich leider viele Gründe, den Pandemieschutz als nebensächlich anzusehen. Dabei ist klarer denn je, was getan werden müsste.

[Behalten Sie den Überblick: Jeden Morgen ab 6 Uhr berichten Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint über die aktuellsten Entwicklungen rund um das Coronavirus. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de.]

Wir müssen effektive Pandemiemanagementstrategien entwickeln, die von einer informierten Öffentlichkeit getragen werden. Hierfür müssen wir die Ursache und den potenziellen Bekämpfer von Pandemien - den Menschen selbst - ins Zentrum stellen und Menschen helfen, sich verantwortungsvoll zu verhalten. Sie müssen befähigt werden, Krisen besser zu überstehen, also resilienter werden. Das ist sowohl für künftige Pandemien wichtig, als auch, um unsere größte globale Krise zu meistern - den Klimawandel.

Erkenntnisse und Methoden aus den Verhaltenswissenschaften können die Transformation hin zu einer besseren planetaren und menschlichen Gesundheit fördern. Diese Transformation zieht die Gesellschaft, die Politik und jeden Einzelnen in die Verantwortung.

Die Daten sind national und fragmentiert

Im vergangenen Jahr gründete die Weltgesundheitsorganisation mit Unterstützung der deutschen Regierung den „WHO Hub for Pandemic and Epidemic Intelligence“. Dessen Ziel ist ein multidisziplinäres und kollaboratives Wissenssystem, das es ermöglicht, Daten über verschiedene Sektoren hinweg zu kombinieren - von der menschlichen Gesundheit und dem menschlichen Verhalten über die Umwelt bis zum Wetter und der Landwirtschaft. Der „WHO Pandemie-Hub“ will Einrichtungen, die Grundlagen- und biomedizinische Forschung zur Verbesserung der globalen Gesundheit betreiben, mit Institutionen verbinden, die das Pandemiemanagement auf die politische Agenda setzen.

Bislang wurden vor allem Gesundheitsdaten gesammelt, um zu verstehen, wie sich Krankheiten verbreiten und wie häufig sie auftreten. Doch selbst diese Daten sind national und international fragmentiert und schwer zu verknüpfen. Schnell verfügbare, robuste Evidenz ist jedoch wichtig, um im Krisenfall richtige Entscheidungen treffen zu können.

Ein globales innovatives System, das die Daten aus verschiedenen Quellen verknüpft, muss pandemische und epidemische Risiken erkennen, einschätzen und managen können. Der „Pandemie-Hub“ treibt die Entwicklung eines solchen Systems voran. Was wir brauchen, ist kollaborative Intelligenz. Covid-19 hat uns spüren lassen, in welch komplexen globalen Zusammenhängen wir leben. Pflanzen, Tiere und Menschen müssen miteinander existieren können, damit es unserem Planeten und uns selbst gutgeht. Auf dem Weg dahin brauchen wir Daten und Analysen, die uns ein besseres Verständnis der Zusammenhänge erlauben und entsprechende Entscheidungen ermöglichen. Am Ende dieses Weges sind wir gesündere Menschen auf einem gesünderen Planeten.

Chikwe Ihekweazu, Mirjam Jenny, Johannes Vogel, Cornelia Betsch

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