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Islamisten in Syrien zeigen die Flagge der Taliban.

© AFP/Omar Haj Kadour

Lehren aus dem Afghanistan-Debakel: Warum wir eine postkoloniale Außenpolitik brauchen

Die Außenpolitik der Bundesregierung erinnert an die Kolonialzeit. Wenn sich das nicht ändert, werden deutsche Friedenseinsätze immer scheitern. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Paul Starzmann

Seitdem die erschütternden Bilder aus Kabul – das Chaos und die verzweifelten Menschen am Flughafen – um die Welt gehen, ist das Rätselraten groß in Berlin. Wer trägt die Verantwortung für das Fiasko? Die Geheimdienste, der Außenminister, die gesamte Bundesregierung? Längst beschuldigen sich die einzelnen Akteure gegenseitig. Ist ja auch Wahlkampf.

Doch keiner der vielen Erklärungsversuche liefert eine Antwort auf die entscheidende Frage: Wie konnte der gesamte Afghanistan-Einsatz so desaströs scheitern? 20 Jahre kämpfte ein hochgerüstetes Militärbündnis am Hindukusch gegen die Taliban. Gebracht hat es nichts. Die selbst ernannten Gotteskrieger sind stärker, besser ausgerüstet und mächtiger denn je. Wie konnte es nur so weit kommen?

Wer eine Antwort darauf finden will, sollte einen Blick in die deutsche Geschichte werfen – in eine Ära lange vor der Bundesrepublik: die Kolonialzeit. Denn vieles, was bis heute die deutsche Außenpolitik prägt, stammt aus jenen Tagen, als sich das Kaiserreich als Weltmacht „einen Platz an der Sonne“ sichern wollte.

Selbstbetrug und Ignoranz

Zwar kann man der Bundesregierung keine Großmachtfantasien unterstellen, wie sie einst Wilhelm II. verfolgte. Doch die Muster ihrer Außenpolitik sind die gleichen: eine Mischung aus Selbstbetrug, strategischen Fehlern und nackter Ignoranz.

Ganz gleich, ob Afghanistan oder Mali – schaut man sich die Bundestagsdebatten der vergangenen Jahre zu diesen Auslandseinsätzen an, so vermittelte die große Koalition stets das gleiche Bild: Man komme militärisch voran, müsse nur hier und da noch eine Frühlingsoffensive der Islamisten in den Griff kriegen, sei aber auf dem richtigen Weg.

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Es erinnert an die Reiseberichte deutscher Kolonialisten aus dem 19. Jahrhundert, die stets schön gefärbte Nachrichten in die Heimat schickten – während sie in Wirklichkeit fieberkrank und völlig orientierungslos im Dschungel feststeckten.

Geleitet waren die Kolonialisten von der Idee, ihre „Werte“ in die Welt hinauszutragen. Afrika etwa galt ihnen als „geschichtsloser Kontinent“, dessen Menschen angeblich nur darauf warteten, von Europa „zivilisiert“ zu werden. Dieser Blick herrscht bis heute in der deutschen Außenpolitik.

Welch eine Anmaßung!

In Afghanistan wollten die Bundesregierung und ihre Verbündeten per Militär- und Entwicklungshilfe eben mal so ein Land umkrempeln, in dem 50 Sprachen gesprochen werden und das auf eine Jahrtausende alte Kulturgeschichte zurückblickt. In Mali will man im Namen der „Stabilität“ die unzähligen Migrationsrouten durch die Sahara stilllegen, die mindestens seit der Blütezeit der westafrikanischen Königreiche vor 500 Jahren bestehen. Welch eine Anmaßung!

Dafür ist die Bundesregierung sogar bereit, in Bamako mit einer Militärjunta zusammenzuarbeiten. In Afghanistan hat sie nicht nur bis zuletzt auf die korrupte Zentralregierung gesetzt, sondern jahrelang die verschiedensten Warlords unterstützt – ein Prinzip, das im britischen Kolonialreich unter dem Motto „find the chief“ bekannt war.

Die deutsche Politik muss mit diesen Mustern brechen. Sonst wird sie mit ihren internationalen Bemühungen um Frieden und Stabilität immer wieder scheitern. Denn wer nur durch die koloniale Brille auf das Ausland blickt, für den wird der größte Teil der Welt stets ein Rätsel bleiben.

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