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Lega-Chef Matteo Salvini bei einer Pressekonferenz am Montag nach einem Treffen mit Staatspräsident Sergio Mattarella.

© ANDREAS SOLARO/AFP

Lega und Fünf Sterne: Wie Italiens Populisten-Koalition die EU aufschreckt

Die Aussicht auf ein Bündnis von Lega und Fünf Sterne schreckt die Kommission auf. Vizepräsident Valdis Dombrovskis appelliert an die Vernunft in der Haushaltspolitik.

In der EU-Kommission hat man eine gewisse Übung darin, heikle Themen wie die Regierungsbildung in Italien rhetorisch zu umschiffen. Die Regierungsbildung in Rom, die voraussichtlich auf eine Koalition EU-kritischer Populisten von der Lega und der Fünf-Sterne-Protestbewegung hinausläuft, ist ein solches Thema. Am Dienstag erklärte dazu der Sprecher der Kommission, Margaritis Schinas, man wolle abwarten, bis der „verfassungsgemäße Prozess“ zur Regierungsbildung in Italien abgeschlossen sei.

Der Grund für die Zurückhaltung der EU-Kommission angesichts einer Koalition in Rom, die auf Konfliktkurs zu den EU-Partnern gehen dürfte, liegt auf der Hand: In Brüssel will man Äußerungen vermeiden, die zu Turbulenzen an den Finanzmärkten führen könnten. Dass die Begründung der Brüsseler Behörde, erst einmal das Ergebnis der Regierungsbildung abzuwarten, etwas fadenscheinig ist, zeigt der Vergleich zur Entstehung der großen Koalition in Deutschland.

Als sich Union und SPD im vergangenen Februar auf einen Koalitionsvertrag einigten, da war EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker voll des Lobes. Der Berliner Koalitionsvertrag, in dem die EU gleich im ersten Kapitel auftaucht, nehme eine „neue Aufbruchsstimmung in Europa vollumfänglich auf“, sagte Juncker seinerzeit. Dabei war der Berliner Koalitionsvertrag noch gar nicht in trockenen Tüchern – die SPD-Mitglieder mussten erst noch zustimmen.

Radikale Abkehr vom bisherigen EU-Kurs

Die Regierungsvereinbarung zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung sieht indes nicht „mehr Europa“ vor, sondern eine radikale Abkehr vom EU-Kurs der bisherigen italienischen Regierungen. Der Pakt sieht vor, die europäischen Verträge mit Blick auf den Schuldenstand und die Neuverschuldung „neu zu diskutieren“. Nach der Aufbruchstimmung vom vergangenen Frühjahr ist angesichts des Populisten-Bündnisses in Brüssel und vielen Hauptstädten der EU damit erst einmal wieder Katzenjammer angesagt, auch wenn dies kaum ein Verantwortlicher offen zugibt. Immerhin wagte sich die EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström ein Stück vor, als sie in Brüssel bestätigte: „Es herrscht etwas Beunruhigung, ja.“

Auch der Vizepräsident der Kommission, Valdis Dombrovskis, appellierte in einem Interview mit dem „Handelsblatt“ an die neue italienische Regierung, „eine verantwortungsbewusste Haushaltspolitik“ zu betreiben. Auf die Frage, ob für den Rest der Euro-Zone bei einer Schieflage in Italien eine Ansteckungsgefahr gegeben sei, antwortete er, dass nicht alle Szenarien vorhersehbar seien. „Man sollte aber alles vermeiden, was zu einer schädlichen Situation führen könnte“, fügte er hinzu.

Die vorsichtigen Äußerungen Dombrovskis’ erklären sich auch damit, dass die mit Italien verbundenen Risiken ungleich höher sind als im Fall Griechenlands. Nach Griechenland, wo seit 2015 die Euro-kritische Linkspartei Syriza regiert, weist Italien die zweithöchste Staatsverschuldung in der Euro-Zone auf; sie liegt bei 132 Prozent der Wirtschaftsleistung. Für den Fall, dass die Märkte eine drastische Abkehr vom Sparkurs in Rom mit einem sprunghaften Anstieg der Zinsen für italienische Staatsanleihen beantworten sollten, wäre eine Rettungsaktion kaum möglich: Italien wäre als drittgrößte Volkswirtschaft der Euro-Zone zu groß, um durch den Euro-Rettungsschirm ESM aufgefangen zu werden.

SPD-Europapolitiker Bullmann: "zutiefst beunruhigend"

Entsprechend groß ist auch die Sorge von Udo Bullmann, dem Fraktionschef der Sozialdemokraten im Europaparlament. „Die Aussicht auf eine populistische, nationalistische und antieuropäische Regierung in Italien ist extrem besorgniserregend“, sagte er dem Tagesspiegel. Italien sei ein wichtiges Mitglied der Euro-Zone „und auch kulturell-historisch zentral für unseren Kontinent“, sagte der EU-Beauftragte der SPD weiter. Die teils verworrenen und widersprüchlichen Aussagen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung zu einem möglichen Ausscheiden aus der Euro-Zone, Kürzungen der EU-Beiträge oder einem Rückzug aus internationalen und humanitären Verpflichtungen seien „zutiefst beunruhigend“, ganz abgesehen „von der Intoleranz, Fremdenfeindlichkeit und dem Nationalismus, die weite Teile der betreffenden Parteien immer wieder an den Tag legen“.

„Sollte diese Regierung zustande kommen, werden wir ihr und ihrer rechtspopulistischen und antieuropäischen Agenda entschieden begegnen müssen. Wir stehen für eine fortschrittliche, proeuropäische Alternative, für ein Europa der Gleichheit, Solidarität und der sozialen Gerechtigkeit“, sagte Bullmann.

Grüne fordern Bundesregierung zu Reformen auf

Während Italiens Präsident Sergio Mattarella am Dienstag vor einer Erteilung eines Regierungsauftrags an die Lega und die Fünf-Sterne-Bewegung Rücksprache mit den Präsidenten der beiden Parlamentskammern hielt, wurde auch in Deutschland über die ungewisse Lage in dem europäischen Gründungsstaat diskutiert. Die Grünen nahmen die fragile Lage in Italien zum Anlass, die Bundesregierung zu Reformen in der Euro-Zone im Sinne des französischen Präsidenten Emmanuel Macron aufzufordern.

„Scheitert Italien, scheitert Europa“, sagte die Parteichefin Annalena Baerbock. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher, sagte im Deutschlandfunk, dass nicht nur die EU insgesamt, sondern auch Italien derzeit von einer wirtschaftlichen Erholung profitiere. Allerdings bestehe die Gefahr, dass „Politiker durch eine populistische Politik, aber auch durch eine Konfrontation in Europa, letztlich diesen Aufschwung gefährden“.

Konflikt in der Flüchtlingspolitik bahnt sich an

Unterdessen drohen auch jenseits der Haushaltspolitik Konflikte für die Europäische Union, falls es zu einem Regierungsbündnis zwischen der Lega und der Fünf-Sterne-Bewegung kommt. Marie De Somer vom Brüsseler Thinktank „European Policy Centre“ hält die Forderung in der Regierungsvereinbarung der beiden Parteien, der zufolge in der EU ein verpflichtender Automatismus zur Verteilung von Asylbewerbern eingerichtet werden soll, für problematisch. „Die Visegrad-Staaten Polen, Tschechien, Slowakei und Ungarn lehnen ein solches System ab“, ist die Expertin überzeugt.

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