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Bundeskanzler Olaf Scholz wird wahrscheinlich noch im Juni nach Kiew reisen.

© Michael Kappeler/dpa

Update

Laut italienischem Zeitungsbericht: Scholz will nun offenbar am Donnerstag nach Kiew reisen

Der Bundeskanzler könnte eine gute Botschaft in die Ukraine mitbringen. Doch ein CDU-Politiker berichtet von „vernichtenden“ Urteilen aus Kiew.

Nun also doch. Olaf Scholz will offenbar bereits diese Woche, vor wegweisenden EU-Entscheidungen, nach Kiew reisen. Die italienische Zeitung "La Stampa" berichtet, dass der Kanzler die Ukraine am Donnerstag gemeinsam mit Italiens Ministerpräsidenten Mario Draghi und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron besuchen wird. Ein Sprecher der Bundesregierung bestätigt dies auf Anfrage nicht. Es wird in Regierungskreisen allerdings auch nicht bestritten.

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Der Kanzler wird gemessen werden an folgendem Satz: „Ich werde nicht mich einreihen in eine Gruppe von Leuten, die für ein kurzes Rein und Raus mit einem Fototermin was machen. Sondern wenn, dann geht es immer um ganz konkrete Dinge“, hatte er Mitte Mai gesagt.

Die Ukraine-Reise des Kanzlers mit Macron und Draghi wäre ein nicht zu unterschätzendes Signal, das auch einige Kritik verstummen lassen könnte. Doch was genau kann und will Scholz erreichen? Und vor allem: Wird er etwas im Gepäck haben?

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Was die drei als führende Vertreter der EU mitbringen könnten, wäre ein klares Signal: Auf EU-Ebene stehen die Entscheidungen zum Beitrittsgesuch der Ukraine an. Das Land hofft darauf, bereits beim EU-Gipfel am 23. und 24. Juni zum Beitrittskandidaten erklärt zu werden. Die EU-Kommission will dazu bis Ende der kommenden Woche ihre Empfehlung abgeben – da würde ein Besuch gut passen, gerade von drei Staatenlenkern, die mit ihrem abwägenden Kurs bisher in der Ukraine kritisch gesehen werden.

Wollen die drei ein Signal der EU-Beitrittsunterstützung mitbringen?

Kommissionschefin Ursula von der Leyen (CDU) reiste deswegen am Wochenende erneut nach Kiew. Reisen die drei - wie nun berichtet wird - vor dem EU-Gipfel zu einem Treffen mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in die Ukraine, könnten sie ihm eine kraftvolle Unterstützung des Beitrittswunsches mitbringen.

Aber Scholz hat zugleich klargemacht, dass es auch für die Ukraine keine Abkürzung geben kann, der Beitrittsprozess würde Jahre dauern. Und ihm ist besonders daran gelegen, dass auch die Beitrittsperspektive für die sechs Westbalkan-Staaten vorangetrieben wird, die seit Jahren intensive Bemühungen für Reformen vornehmen würden.

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"Es geht nicht allein um die Sicherheit dieser Region, in der externe Kräfte um Einfluss ringen, nicht zuletzt Russland. Es geht um unsere eigene Sicherheit, die ohne einen stabilen europäischen Westbalkan nicht zu haben ist", sagte Scholz zuletzt in einer Regierungserklärung. Deswegen hat er gerade einige der Länder besucht, zudem wird in Reihen der Ampel-Koalition immer wieder auf die vor dem russischen Krieg großen Probleme mit Korruption in der Ukraine verwiesen.

Der Zweck einer Reise werde darin bestehen, dem Land eine europäische Perspektive zu eröffnen oder diese in Gang zu setzen, heißt es jedenfalls im Elysée vielsagend.

Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron symbolisieren am Brandenburger Tor Solidarität mit der Ukraine. Nun könnten sie beide erstmals nach Kriegsbeginn nach Kiew reisen.
Bundeskanzler Olaf Scholz und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron symbolisieren am Brandenburger Tor Solidarität mit der Ukraine. Nun könnten sie beide erstmals nach Kriegsbeginn nach Kiew reisen.

© Michael Kappeler/dpa

Wenn es für Scholz und auch Macron als Duo, das immer wieder mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert, um ihn zu einem Waffenstillstand zu bewegen, noch einen guten Zeitpunkt für so einen Besuch geben kann, dann in dieser Vor-Gipfel-Phase.

Denn nach dem EU-Gipfel am 23. und 24. Juni steht vom 26. bis 28. Juni Scholz' Heim-Gipfel der G7-Staaten auf Schloss Elmau an, zu dem auch Selenskyj zugeschaltet werden soll. Und da die Länder des globalen Südens bisher mitnichten so auf der Seite der Ukraine stehen, wie der Westen, hat Scholz auch die Staats- und Regierungschefs etwa von Südafrika, dem Senegal, Indien und Indonesien nach Elmau eingeladen. Zudem geht es auch um drohende Hungerkatastrophen durch den Krieg.

Nach dem G7-Gipfel schließt sich an die Woche voller Gipfel noch der Nato-Gipfel an. Neben der EU-Beitrittsperspektive würde es sicher auch um die Frage weiterer Lieferungen schwerer Waffen gehen, da die Ukraine immer mehr im Donbass in die Defensive gerät.

Macron ist ab Dienstag ohnehin in der Region unterwegs

Macron reist Dienstag nach Rumänien und Mittwoch nach Moldawien. Daher könnte, so wird auch in Frankreich spekuliert, sich eine Reise in die Ukraine nach diesen Besuchen ergeben, also frühestens am 16. oder 17. Juni. Darauf scheint es nun hinauszulaufen.

Der französische Präsident hat zudem einen heiklen Vorschlag gemacht, der auch reichlich Gesprächsstoff bietet. Denn Frankreich will sich an einem möglichen Einsatz zum Beenden der Blockade des ukrainischen Hafens von Odessa beteiligen. Ziel sei es, Schiffen die Durchfahrt zu ermöglichen, um das in der Ukraine gelagerte Getreide zu exportieren, hat der Elysée-Palast mitgeteilt.

Als erstes Kabinettsmitglied seit Kriegsbeginn traf sich Außenministerin Annalena Baerbock am 10. Mai mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew.
Als erstes Kabinettsmitglied seit Kriegsbeginn traf sich Außenministerin Annalena Baerbock am 10. Mai mit dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj in Kiew.

© Florian Gaertner/photothek.de/dpa

Doch wie so eine Operation aussehen könnte, ob dies Russland nicht wie das Durchsetzen einer Flugverbotszone als Kriegseintritt werten könnte, ist eine offene Frage. Scholz wie Macron stehen zudem in der Ukraine im Verdacht, geleitet zu sein von der Taktik, dass Wladimir Putin nicht zu sehr gedemütigt werden dürfe.

Macron und Scholz betonen, dass man keine Entscheidungen über den Kopf der Ukrainer hinweg treffen wird, dass sie immer am Ende selbst entscheiden müssen, unter welchen Bedingungen sie zu Waffenstillstandsgesprächen bereit seien – für die es derzeit keine Hoffnungsanzeichen gibt.

In Kiew ist das Urteil über Scholz "vernichtend"

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand war gerade als Teil einer 16-köpfigen Delegation von Abgeordneten aus EU-Ländern, vom Baltikum bis Portugal, in der Ukraine unterwegs, führte Gespräche mit Regierung, Parlament, Selenskyj-Beratern.

"Der Bundeskanzler geht einen schweren Gang, auch wenn er in Kiew diplomatisch freundlich empfangen werden wird", sagte Brand dem Tagesspiegel. "Es ist eine vernichtende Bilanz, die nach über 100 Tagen Krieg Russlands gegen die Ukraine über die deutsche Position gezogen wird."

Die Bundesregierung trage zur Gefährdung des Friedens in Europa bei, indem Scholz entgegen öffentlicher Ankündigungen der Ukraine die notwendige Hilfe versage, trickse, und täusche: "Das ist das Bild, das in der Ukraine als Analyse vorherrscht", meinte Brand.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand war gerade als Teil einer europäischen Parlamentarierdelegation in der Ukraine.
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Michael Brand war gerade als Teil einer europäischen Parlamentarierdelegation in der Ukraine.

© Klaus-Dietmar Gabbert/dpa

Das beträfe vor allem das Thema Waffenlieferungen. "Der Bundeskanzler muss endlich seinen Amtseid ernst nehmen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden und aktiv dafür Sorge tragen, dass die schweren Waffen zur Verteidigung der Ukraine schnell geliefert werden." Seine Blockade der Ausfuhrgenehmigungen von solchen Waffen müsse er aufgeben und sich aktiv dafür einsetzen, dass der Ukraine jetzt der Kandidatenstatus für die EU erteilt werde, um dann in einigen Jahren den Beitritt entscheiden zu können, sagte Brand.

Streitpunkt Waffenlieferungen

Mit Blick auf das Angebot des Rheinmetall-Konzerns, bis zu 100 Marder-Schützenpanzer und dutzende Leopard-Kampfpanzer zu liefern, sagte Brand, die Ukraine könne mit deutschen Unternehmen sofort die Verträge unterzeichnen, wenn die Blockade von Kanzler Scholz endlich aufgehoben werde. "Das ist das klare Signal von den Gesprächen im Außen- und Verteidigungsministerium in Kiew. Die Ukraine will nichts geschenkt haben."

Da die Industrie dringend notwendiges Material zur Verteidigung liefern könne, müsse der Kanzler jetzt entscheiden. "Die Verträge liegen längst auf dem Tisch – es fehlt immer noch das grüne Licht aus Berlin. Für die Blockade von Scholz gibt es kein Alibi mehr, sie setzt uns nur einem schrecklichen Verdacht aus und riskiert die Ausweitung eines brutalen Kriegs", meint Brand.  

"Der Krieg ist wie ein Krebsgeschwür"

Die Ukraine brauche zudem jetzt den EU-Kandidatenstatus, als wichtiges politisches Signal. "Wird der verweigert, hätte dies eine verheerende Auswirkung, und im Kreml würden die Sektkorken knallen angesichts der Mutlosigkeit und Ängstlichkeit der EU. Deutschland hat Gewicht in Europa, und es reicht deshalb überhaupt nicht, den EU-Kandidatenstatus der Ukraine nicht nur nicht zu blockieren. Auch darüber sind die Partner schockiert."

Deutschland müsse hier endlich eine aktive, unterstützende Rolle übernehmen. Ein wichtiger Gesprächspartner der Ukraine habe folgendes Bild dafür verwendet: "Dieser Angriff ist wie Krebs zu bekommen: Du weißt nicht, ob Du überlebst – aber der Kandidatenstatus gibt Hoffnung. Früher gehandelt, hätte Putin vielleicht gar nicht angegriffen."

Vor Scholz war schon fast das halbe Kabinett in der Ukraine

Nachdem Scholz zunächst durchsetzen konnte, dass keine Regierungsmitglieder auf eigene Faust in die Ukraine reisen, war die Linie im Mai nicht mehr zu halten. Bisher waren Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne), Entwicklungsministerin Svenja Schulze (SPD), Agrarminister Cem Özdemir und auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach dort. Als erster prominenter Bundespolitiker war CDU-Chef Friedrich Merz nach Kiew gereist und hatte Scholz so düpiert.

Scholz hatte mehrfach seine Argumentation, warum er die Zeit für einen Besuch noch nicht gekommen hält, geändert. Zuerst stand aus seiner Sicht die Absage einer Reise von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier von ukrainischer Seite im Weg, die das mit Steinmeiers russlandfreundlicher Politik als Außenminister begründeten.

Nachdem die Irritationen ausgeräumt waren, führte Scholz seinen Satz an, dass es um mehr als einen Fototermin gehen müsse. Daher schafft er dadurch nun erst Recht hohe Erwartungen an diese mögliche Reise.

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