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Armin Laschet (CDU), NRW-Ministerpräsident mit höheren Ambitionen

© Imago/Revierfoto

Laschets Ungeduld bei Corona-Maßnahmen: Mit einer Naturgewalt verhandelt man nicht

Politiker fragen oft die Experten, deren Meinung sie teilen. In der Corona-Krise ist das fahrlässig – und Armin Laschets Kritik ebenso. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Robert Birnbaum

Armin Laschet hat sich dieser Tage ein paar neue Freunde im Volk gemacht, allerdings aus zweifelhaften Gründen. Der NRW-Ministerpräsident schimpfte auf die Virologen: Dauernd neue Zahlen und neue Ziele, statt sich mal festzulegen – das verstehe kein Mensch, und da müsse die Politik „dagegenhalten“!

Laschet will CDU-Chef und Kanzler werden, aber geschenkt. Was der aufgeregte Politiker zur besten Talkshowzeit vorführte, reicht viel weiter als seine Karrierepläne.

Im politischen Raum herrscht schon seit langem Un- und Missverständnis über Wissenschaft. In der Corona-Krise wird es zur Gefahr.

Als die Pandemie noch frisch war, standen Virologen und Epidemiologen hoch im Kurs. Rund um die Welt mussten auftrumpfende Besserwisser lernen, dass Kraftsprüche ein Virus nicht beeindrucken.

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Der Drang zur Normalität

Mit Variationen folgten dann alle dem Rat der Experten: Zwischen Menschen großen Abstand bringen, damit die Seuche nicht überspringt.

Doch je länger der Lockdown dauert, desto mehr drängen nicht nur Bürger und Wirtschaft zurück zu Normalität. Auch in der Politik ist die Sehnsucht mit Händen zu greifen.

Das ist ja auch verständlich. Politiker stehen ja sogar in der Pflicht, die Rückkehr zu gestalten. Aber auf dem Weg dorthin wird gerade ein Akzent massiv verschoben.

Hinter dem Satz, man dürfe die Entscheidungen nicht nur den Virologen überlassen, schimmert immer häufiger ein zweiter durch: Jetzt müsse mal Schluss damit sein, auf diese Forscher zu hören!

Da bricht die Macht der Gewohnheit sich Bahn. Wissenschaft gilt der Politik oft als reine Bütteldisziplin.

Jeder Parteigänger pickt sich aus ihren Daten, was zu den eigenen Glaubenssätzen passt, und tut gegenteilige Befunde als bloße Meinung ab. Es muss viel passieren, bis der CDU-Wirtschaftsrat einen gewerkschaftsnahen Ökonomen ernst nimmt.

Reich der Gewissheit gegen Reich des Zweifelns

Dieses abschätzige Urteil rührt auch aus einem grundsätzlichen Missverständnis. Politik ist das Reich der Gewissheiten: klare Sätze, klares Programm, na klar - ein Kanzlerkandidat.

Wissenschaft, besonders Naturwissenschaft dagegen ist das Reich des Zweifels, des Fragens, des Vorläufigen.

Wer unumstößliche Wahrheit fordert – und das bei einem derart neuen Phänomen - hat schon das Prinzip nicht verstanden. Er erwartet Patentrezepte und schimpft, wenn er nur Kochtipps bekommt.

In normalen Zeiten bleibt derlei Ignoranz folgenlos. Falsche Steuerpolitik kann man korrigieren. Aber in der Klimadebatte und noch viel klarer in der Corona-Krise kommt eine andere, existenzielle Dimension ins Spiel.

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Christian Drosten, ein besonnener Vertreter seiner Zunft, formuliert sie so: Es sei sinnlos, mit Virologen aushandeln zu wollen, ob man Maßnahmen zurücknimmt oder verschärft: „Wenn überhaupt, dann verhandelt man da mit der Natur.“

Man muss den Satz drei Mal lesen, um seine fundamentale Wucht zu erkennen. Viren und Gletscher schließen keine Kompromisse. Das Grundgesetz ist ihnen schnuppe. Sie verzeihen keine Fehler. Sie unterwerfen uns einfach nur blind ihren Naturgesetzen.

Wissenschaftler versuchen, diese Gesetze zu verstehen. Manche können das besser, auch besser erläutern, andere schlechter. Es gibt Kluge und Eitle, Irrtümer und Wissenslücken.

Es schimpft sich leicht auf die Kanzlerin

Politiker haben bisher wenig Sensorium für diese Szene. Sie tun sich schwer, ihr eigenes Urteil zu bilden. Bei manchen wird man den Eindruck nicht los, sie wollten es gar nicht.

Es schimpft sich ja so viel leichter auf die Wortwahl der Kanzlerin! Es kämpft sich so viel lockerer für die Rechte des Küchenhandels! Aber mit Bequemlichkeit und Ignoranz ist der Kampf mit dem Virus nicht zu gewinnen. Er fordert neues Denken, tägliches Lernen, auch Demut.

Vielleicht ist es kein Zufall, dass die Naturwissenschaftler im Bundestag parteiübergreifend für Vorsicht beim Lockermachen plädieren – die Physikerin Merkel, der Biologe Hofreiter, der Epidemiologe Lauterbach. Sie wissen: Mit einer Naturgewalt verhandelt man nicht. Man begegnet ihr besser mit Respekt.

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