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Annalena Baerbock und Robert Habeck, die Bundesvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen.

© Patrick Pleul/dpa

Landtagswahlen im Osten: Die Grünen bedienen bis heute das Klischee vom Besser-Wessi

Freundlich und nicht belehrend wünschte Brecht die Gesellschaft. Vor den Wahlen im Osten müssen die Grünen das Image der West-Partei loswerden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Cordula Eubel

Zu Beginn des Jahres, in dem sich die friedliche Revolution zum 30. Mal jährt und drei Landtagswahlen im Osten anstehen, schlagen die Grünen betont selbstkritische Töne an. Deutlich benennen sie eigene Versäumnisse beim Zusammenwachsen von Ost und West, angefangen beim Wahlkampf 1990 („Alle reden von Deutschland. Wir reden vom Wetter“). Damals hätten die westdeutschen Grünen der gemeinsamen Zukunft Deutschlands kaum einen Raum geben wollen, heißt es in einem Beschluss des Bundesvorstands. Zweifel äußern die Grünen auch daran, ob ostdeutsche Stimmen in der Partei immer ausreichend Gehör gefunden hätten.

Annalena Baerbock und Robert Habeck dürfte dieses Eingeständnis schon deswegen nicht allzu schwer gefallen sein, weil die beiden Parteichefs nicht der Generation angehören, die damals politisch aktiv war. Und doch ist es bemerkenswert, wie demütig sich die Grünen geben. Offenbar auch in dem Bemühen, das Image der West-Partei zu korrigieren, das immer noch an ihnen haftet.

Die Grünen wollen den Soli über 2019 hinaus erhalten

Stattdessen werben die Grünen nun für eine „neue Gemeinsamkeit“ in ganz Deutschland, mit Begriffen wie Anerkennung, Verständnis, Wert und Würde. Um gleichwertige Lebensverhältnisse zu erreichen, wollen sie den Soli auch über 2019 hinaus erhalten – und damit Kommunen im Strukturwandel finanziell unterstützen, nicht nur im Osten, sondern auch im Westen.

Für die Partei steht in diesem Herbst einiges auf dem Spiel: Nach Rekordergebnissen bei den Landtagswahlen in Bayern und Hessen haben sie sich auch für Brandenburg, Sachsen und Thüringen hohe Ziele gesteckt. Lange war Deutschland für sie zweigeteilt, im Osten mussten sie immer wieder um die Fünf-Prozent-Hürde kämpfen, bis heute gibt es deutlich weniger Parteimitglieder. Doch mittlerweile verbessern sich die Umfragewerte dort spürbar – beflügelt durch das bundesweite Hoch. Die Grünen wittern die Chance, im Herbst zweistellige Wahlergebnisse einzufahren – und so ihr Image im Osten zu korrigieren.

„Nicht über und nicht unter“ – diese Zeile aus der Kinderhymne von Bertolt Brecht haben die Grünen als Titel für ihr Thesenpapier gewählt, das in Frankfurt (Oder) beschlossen wurde. Geschrieben in der Nachkriegszeit als Gegenstück zur Nationalhymne war der Text auch bei der Wiedervereinigung als neue deutsche Hymne im Gespräch. Freundlich und nicht belehrend sollte die neue deutsche Gesellschaft sein, das war Brechts Anliegen, als er 1950 den Text schrieb.

Umso ärgerlicher ist es für Parteichef Habeck, dass ihm ausgerechnet jetzt ein Fehler unterlaufen ist, mit dem er das Klischee des „Besser-Wessi“ bedient. „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratisches Land wird“, hatte er am Wochenende in einem Internetvideo der Thüringer Grünen gesagt. Ein demokratisches Land wird – nicht bleibt. Auch wenn er sich für den Versprecher reumütig entschuldigte und mit dem Rückzug von Facebook und Twitter radikale Konsequenzen zog, wird bei manch einem ein schaler Nachgeschmack bleiben. Und auch Habeck weiß, wie fragil der momentane Aufschwung im Osten für seine Partei noch ist.

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