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Landgrabbing in Deutschland: Kaufen Spekulanten den Osten auf?

Konzerne, Kapitalanleger und der westdeutsche Geldadel kaufen sich im großen Stil in die ostdeutsche Landwirtschaft ein und verdrängen die eingesessenen Betriebe. Die Politik fördert das Geschäft mit Milliardensubventionen.

Marlies Kalies ist Bäuerin mit Leib und Seele. „Du, wir sollten wieder anfangen“, hatte ihr Mann damals gesagt, als es nach der Wende die Chance gab, als „Wiedereinrichter“ den Hof ihrer Schwiegereltern im Dörfchen Ortwig im Oderbruch 70 Kilometer östlich von Berlin wieder aufzubauen. „Da musste ich nicht lange überlegen“, erinnert sie sich. Sie gab ihren Job auf und machte den Acker zum Arbeitsplatz. 30 Hektar Land bekamen sie aus der Erbmasse der DDR-Landwirtschaft zugeteilt. Zuletzt baute ihr Sohn eine Schweinemastanlage hinzu, die sich bezahlt macht, so ist auch die Hofnachfolge gesichert. „Wir sind klein, aber wir haben’s geschafft“, erzählt sie, und ihr Stolz ist nicht zu übersehen.

Gleichwohl fürchtet die Landwirtin um die Zukunft ihrer Region. „Da kommen jetzt diese Giganten, die kaufen und pachten alles, was sie kriegen können“, erzählt sie. „Wenn hier irgendein Betrieb mal in Geldnot ist, dann sind die sofort da.“ Schon sei auch ihre Familie beim Wettbewerb um Pachtland überboten worden. „Und irgendwann“, so schwant ihr, „werden die Konzerne mit ihren Investoren so viel bieten, dass sie uns den Boden unter den Füßen wegziehen.“

Konzerne und Investoren in der Mark Brandenburg? Beinharter Wettbewerb um Boden und Pachtpreise? Das hat so gar nichts mit dem zu tun, was sich Städter unter Landwirtschaft vorstellen. Doch die Sorgen der passionierten Bäuerin sind berechtigt. Kaum bemerkt von den Verbrauchern erfährt die ostdeutsche Landwirtschaft einen radikalen Wandel. Großunternehmen und Kapitalanleger übernehmen eine immer größere Zahl von Landwirtschaftsbetrieben samt den zugehörigen Ländereien. Und von der Ostsee bis nach Thüringen klagen Landwirte über steigende Bodenpreise und unlauteren Wettbewerb.

Motor für diese Entwicklung ist die Finanzkrise. Weil der Kapitalmarkt kaum noch sichere Anlagen bietet, gilt Ackerland als begehrtes Investment. Darum findet der weltweite Einstieg des großen Kapitals in die Agrarproduktion, den Afrikas Bauern als Landraub („Landgrabbing“) anprangern, auch in Europa statt und ganz besonders in der ostdeutschen Provinz. Zwar folgt das, anders als in vielen Entwicklungsländern, den Regeln des Rechtsstaats. Aber trotzdem ist das Geschäft heftig umstritten.

Kritiker nennen stets einen Namen, wenn sie von den neuen Industriebauern sprechen: Siegfried Hofreiter. Der 51-jährige gemütlich wirkende Bayer mit Stoppelfrisur und Wohlstandsbauch leitet die KTG Agrar AG, das mit 110 Millionen Euro Jahresumsatz größte deutsche Landwirtschaftsunternehmen. Er kennt die Ängste, die sein Konzern auslöst. Darum begegnet er ihnen mit leutseliger Offenheit.

In Linthe, 60 Kilometer südwestlich von Berlin, hat er gerade ein neues Zentrallager für Kartoffeln, Zwiebeln und Möhren eröffnet, wo er den Besucher empfängt. Auch Hofreiter sieht sich als „Landwirt mit Passion“, das habe er „von der Pike auf gelernt“. Nur war in seinem bayerischen Heimatdorf kein Platz für ihn, seinen Bruder und ihre großen Pläne. Daher war die ostdeutsche Revolution auch seine Chance: „Die hatten diese riesigen Flächen.“ Hunderttausend Mark liehen sich die Brüder bei ihren Eltern und pachteten 300 Hektar Ackerland in Sachsen. Drei Jahre hätten sie „gekämpft“, erzählt der Agrarunternehmer, bis in der Nachbarschaft der Nachfolgebetrieb einer DDR-LPG zum Verkauf stand. Auf Kredit stiegen die Hofreiters ein, konnten ihre Produktion vervielfachen, bekamen Lieferverträge mit Rewe, „und dann hatten wir unser Geschäftsmodell. Das haben wir dann immer so weitergemacht“, erzählt Hofreiter, und es klingt, als sei daran nichts Ungewöhnliches.

So kam Betrieb um Betrieb dazu und heute, zwei Jahrzehnte und einen Börsengang später, hat es auch Hofreiter geschafft – im ganz großen Stil. An drei Dutzend Standorten bewirtschaften angestellte KTG-Bauern 31 000 Hektar allein in Ostdeutschland, eine Fläche so groß wie 40 000 Fußballfelder. Gut die Hälfte davon bestellen sie nach den Regeln des ökologischen Landbaus. „Bio für alle“, das sei von Anfang an seine Vision gewesen, erklärt Hofreiter. Weitere rund 8000 Hektar haben die Konzernagrarier zudem in Litauen unterm Pflug. Dazu gehören noch Dutzende von Biogasanlagen mit 40 Megawatt Leistung, eine „Bio-Zentrale“ für den Handel mit Biowaren aller Art sowie ein Gefrierwerk. Das nötige Geld besorgt sich Hofreiter über Anleihen, die den Anlegern mehr als sieben Prozent Zins versprechen, also als sehr riskant gelten. Aber er lockt mit den steigenden Bodenpreisen. Allein darüber habe der Konzern „stille Reserven“ von 50 Millionen Euro angehäuft. Da seien Schulden kein Problem. Allein im vergangenen Jahr legte der Konzernumsatz so um volle 42 Prozent zu und ein Ende des Wachstums sei nicht vorgesehen, versichert der Landwirt neuen Typs.

Die Betrieber sind größer, als die Junker jemals waren

Dabei ist die KTG nur der größte Fisch in einem wachsenden Schwarm. Eine ähnliche Strategie, wenn auch abgeschottet von der Öffentlichkeit, verfolgt die Steinhoff-Familie, die mit dem gleichnamigen Möbelkonzern reich wurde. Sie führt über ihre Familienholding ostdeutsche Agrarbetriebe mit mehr 20 000 Hektar und ist größter Landbesitzer in der brandenburgischen Uckermark. Genauso hält es der niedersächsische Immobilienmillionär Jürgen Lindhorst, dessen JLW Holding an die 25 000 Hektar bewirtschaftet. Mit im Rennen ist auch die Firma Odega aus Großneuendorf im Oderbruch. Dort kauften die verbliebenen drei Mitglieder einer Agrargenossenschaft zahlreiche Betriebe im Umland und bewirtschaften mittlerweile an die 15 000 Hektar. Insider berichten, Geldgeber sei die DKB-Bank, eine Tochter der BayernLB. Aber dazu mag Geschäftsführer Detlef Brauer keine Auskunft geben. Für Presseanfragen stehe er „nicht zur Verfügung“, lässt er ausrichten. Dem Vorbild der Großen folgend sind zudem zahlreiche Vertreter des westdeutschen Geldadels in die ostdeutsche Landwirtschaft eingestiegen, um dort ihr Vermögen zu sichern. Darunter etwa ein Erbe der Industriellenfamilie Dornier, der Müllunternehmer Rethmann („Remondis“), der Brillenfabrikant Fielmann oder der Heizungsmilliardär Martin Viessmann.

Gleichzeitig bieten Fondsgesellschaften Kapitalanlegern die Möglichkeit, auf den Wertzuwachs von Agrarland zu spekulieren, ohne selbst Betriebe führen zu müssen. So vermarktet die Graf von Westphalen GmbH gemeinsam mit einer Hamburger Beteiligungsgesellschaft „Landwirtschaft als Anlageklasse“. Unter dem Namen „Agro Energy“ verkaufen sie Aktien für Projektgesellschaften, die nach erfolgreicher Etablierung weiterverkauft werden. Das erste Projekt erwirtschaftete nach Angaben der Betreiber mit dem Kauf und Verkauf von zwei Großbetrieben in Mecklenburg samt Biogasanlagen eine Rendite von 13,5 Prozent für Aktienkäufer – und das pro Jahr. Derzeit sammeln die Vermittler Kapital für ein Investment von „120 bis 150 Millionen Euro“, um damit gleich fünf Betriebe mit „rund 20 000 Hektar“ Fläche „zu relativ niedrigen Preisen“ zu kaufen, eine angeblich „einzigartige Gelegenheit im deutschen Markt“. Kleinsparer sind dabei allerdings nicht erwünscht. Interessenten sollen mindestens fünf Millionen Euro mitbringen.

So fließt über alle möglichen Kanäle immer mehr Kapital in den Kauf ostdeutscher Agrarbetriebe und deren Besitz konzentriert sich in immer weniger Händen. Das ist das Ergebnis einer Studie, die das bundeseigene Thünen-Institut für Agrarforschung im Juli veröffentlichte. Der vielfach geäußerten „Befürchtung einer Rückkehr zu Strukturen, die sich dem Großgrundbesitz im 19. Jahrhundert annähern“, könne man „nicht gänzlich widersprechen“, schrieben die Autoren. Das ist untertrieben. Tatsächlich seien die neuen „Großgrundbesitzer größer, als es die ostelbischen Junker je waren“, beklagt Axel Vogel, Fraktionschef der Grünen im Brandenburger Landtag. „Wir bekommen hier Besitzstrukturen wie in der Dritten Welt“, warnt Vogel. „Einige haben ganz viel, und die meisten haben nichts.“ Die gleiche Beobachtung machte auch Gernot Schmidt, SPD-Landrat in Märkisch-Oderland. Nur drei Konzerne, KTG, die Lindhorst-Gruppe und Odega, kontrollieren bereits 20 Prozent der gesamten Ackerfläche – und alle drei seien „jetzt schon größer als die ehedem größten Landbesitzer der Region, die von Hardenbergs“, sagt Schmidt.

Dabei will es die Ironie der Geschichte, dass die von den DDR-Machthabern betriebene Enteignung der alten Großagrarier sowie die Zwangskollektivierung der übrigen Bauern die Grundlage dafür schufen, dass jetzt die modernen Agrarfürsten Einzug halten. Denn von bäuerlichen Strukturen, die trotz des Höfesterbens in Westdeutschland bis heute eine vergleichbare Besitzkonzentration verhindern, war nach dem Ende der DDR fast nichts übrig. Die damalige Bundesregierung unter Kanzler Helmut Kohl beanspruchte die enteigneten Flächen der „volkseigenen Güter“ einfach für den Staat. Zwar durften die Erben der Alteigentümer, die schon ab einem Landbesitz von 100 Hektar von ihren Höfen vertrieben worden waren, einen Teil der Flächen günstig zurückkaufen. Doch nur wenige machten davon Gebrauch. Mehr als eine Million Hektar Ackerland blieb im Bundesbesitz und wird seitdem von der Bodenverwertungs- und -verwaltungsgesellschaft (BVVG) verwaltet, die sie verpachtet und nach und nach verkauft.

Die LPG-Kader haben Agrarkapitalisten den Weg bereitet

Gleichzeitig gingen aber auch die rund 750 000 Bauern der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) in den meisten Fällen leer aus. Nur wenige wagten wie Familie Kalies den Neuaufbau. Die große Mehrzahl dagegen wurde von den vormaligen SED-Agrarkadern mit minimalen Abfindungen aus den Betrieben gedrängt. Das Ergebnis war: Die großflächige Struktur der DDR-Landwirtschaft blieb weitgehend erhalten, nur dass sie fortan den „Roten Junkern“ gehörte, die den Besitz unter sich aufteilten und sogar noch große Flächen von der BVVG zu Vorzugspreisen hinzukaufen konnten.

Genau „diese Politik, die LPG-Nachfolgebetriebe zu schützen“, habe „das Einfallstor“ geschaffen, durch das die neuen Investoren nun die ostdeutsche Provinz erobern, sagt der Agrarökonom und Autor der jüngsten Bundesstudie, Bernhard Forstner. Denn es sind die Gesellschafter der LPG-Nachfolgebetriebe, die nun ins Rentenalter kommen und ihre Betriebe an Investoren verscherbeln, vielfach mit einem enormen Gewinn. Das Land, das ihnen nach der Wende zufiel oder das sie für rund 2000 Euro pro Hektar kaufen konnten, ist jetzt oft das Zehnfache wert. Dabei haben die reich gewordenen DDR-Agrarkader anders als ihre westdeutschen Kollegen vielfach keine Bindung an das Land. „Bei 60 Prozent der LPG-Nachfolgebetriebe“ gebe es niemanden, „der den Betrieb übernehmen kann oder will, wenn die Älteren ausscheiden“, erklärt KTG-Chef Hofreiter. „Warum also sollten wir die Betriebe nicht kaufen?“ So bereiten die ehemaligen Kommunisten den neuen Agrarkapitalisten den Weg.

Umso mehr wachsen Angst und Zorn bei der übrigen Bevölkerung. Selbst die übrigen bisher starken LPG-Erben sehen sich bedroht. So berichtet die Landwirtin Wenke Müller, die bis vor kurzem dem Kreisbauernverband Uckermark vorsaß und deren Gesellschaft immerhin 1500 Hektar bewirtschaftet, dass „hier jetzt Bodenpreise von 25 000 Euro pro Hektar bezahlt werden“. Auch die Pachtpreise seien auf 600 Euro pro Hektar und Jahr gestiegen. So etwas lasse sich „landwirtschaftlich gar nicht mehr verdienen“. Da werde versucht, „uns das Wasser abzugraben“, warnt sie.

Parallel dazu wächst die Furcht vor der Verödung des ländlichen Raums. Schon bisher verfallen in Folge der Landflucht viele Dörfer in den stadtfernen Regionen. Die Ausbreitung der neuen Agrarkonzerne verschärfe das „dramatisch“, warnt Reinhard Jung, Geschäftsführer des Bauernbundes, der in Brandenburg 360 Familienbetriebe vertritt. Denn damit fließe „die ganze Wertschöpfung aus der Region ab“. Ortsansässige Eigentümer würden stets auch in die Dörfer investieren, würden beim örtlichen Händler kaufen oder die Handwerker vor Ort beauftragen. „Bei den Konzernen läuft das zentral“, sagt Jung, und „die Gewinne fließen an die Kapitalgeber, die Kaufkraft verschwindet“.

Besonders verrufen sind die im Bauernjargon so genannten „Tiefladerbauern“. Gemeint sind Betriebe, in denen die Feldarbeit nur noch von auswärtigen Lohnunternehmen durchgeführt wird, die mit ihrer Maschinenflotte auf Tiefladern und billigen Arbeitskräften umherziehen, um im Auftrag Felder zu bestellen und zu ernten. Vor allem der Lindhorst-Konzern bediene sich dieser Methode, berichten Nachbarn aus Märkisch Oderland, wo Lindhorst in Schulzendorf einen Großbetrieb unterhält. Fragen dazu mochten die Lindhorst-Manager jedoch lieber nicht beantworten.

Die Konsequenzen seien schlimm, sagt Bäuerin Kalies. „Wir verlieren die Menschen hier, erst schließt die Schule, dann die Kneipe und schließlich der Laden.“ Ein Dorf nach dem anderen verfalle. Diese Sorge treibt auch den CDU-Politiker und Bundestagsabgeordneten Hans-Georg von der Marwitz, der selbst im nahen Seelow den Betrieb seiner Eltern wieder aufgebaut hat und dort 900 Hektar bewirtschaftet. Mit der Konzernlandwirtschaft gehe „alle Vielfalt, alle Privatinitiative verloren“, sagt er. Wenn es nicht gelinge, das aufzuhalten, „dann haben wir hier bald amerikanische Verhältnisse: endlose Felder und kaum Menschen“.

Genauso wie SPD-Landrat Schmidt oder Grünen-Politiker Vogel fordert von der Marwitz darum, die Politik müsse sich dieser „Fehlentwicklung“ entgegenstellen. Glaubt man den Worten der verantwortlichen Regierungspolitiker, dann scheint das nur selbstverständlich. Ihr Leitbild sei „nicht die industrielle Landwirtschaft, sondern der bäuerliche Familienbetrieb“, bekannte erst kürzlich wieder Ilse Aigner (CSU), die zuständige Bundesministerin. Die Bodenspekulation „ziehe Finanzkraft aus den ländlichen Räumen ab“, zürnte Mecklenburgs SPD-Agrarminister Till Backhaus. „Grund und Boden dürfen nicht zum Spielball der Spekulanten werden“, kündete auch dessen Brandenburger Kollege Jörg Vogelsänger. Selbst Kanzlerin Merkel sprach im Juni beim Bundesbauerntag von den „sehr kritischen Diskussionen über Investoren auf dem Bodenmarkt“. Man müsse „aufpassen, dass die Landwirte eine faire Chance für ihren Boden behalten“.

In ihrer politischen Praxis betreiben die Regierenden jedoch das genaue Gegenteil. So könnte die Bundesregierung die BVVG nutzen, um ortsansässige Landwirte mit eigenem Hof zu fördern. Immerhin verfügt das Treuhand-Nachfolgeinstitut noch immer über 250 000 Hektar Ackerland, das bis 2025 verkauft werden soll. Würde nur an solche Landwirte verkauft und verpachtet, die selbst Eigentümer sind und vor Ort leben, würde das die Konzernbetriebe ausschließen und die Preise drücken. Doch da ist Finanzminister Wolfgang Schäuble vor. Er verfügte, dass die BVVG für Pacht und Verkauf stets den aktuellen Verkehrswert fordern muss, um maximale Einnahmen zu erzielen. „Mit dieser Praxis“ heize „die BVVG den Preisanstieg fortwährend an“, urteilt von der Marwitz.

Noch schwerer wiegt, dass Aigner und ihre Kollegen ausgerechnet jene Reform verhindern, mit der die neuen Großagrarier auszubremsen wären: die Kappung der EU-Flächenprämien. Bisher erhält jeder Agrarbetrieb im Durchschnitt 300 Euro pro Hektar und Jahr aus der EU-Kasse, ganz gleich wie groß er ist. Das begünstigt gerade den extensiven Getreideanbau mit wenigen Arbeitskräften, den die modernen Agrarindustriellen betreiben. Die KTG AG etwa kassiert Jahr für Jahr mehr als zehn Millionen Euro Steuergeld. Wegen der hohen Verschuldung und Zinslast hätte der Konzern vergangenes Jahr ohne diese Zahlungen sogar Verlust gemacht. „Da fließen Millionen für Millionäre“, ärgert sich Bauernbund-Sprecher Jung. Auch der CDU-Landwirt von der Marwitz hält die unbegrenzten Zahlungen für „völlig falsch“. Das viele Steuergeld sei schließlich „dafür gedacht, eine vielfältige Landwirtschaft zu erhalten“.

Genauso dachte auch EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos, als er 2012 sein Reformpaket zur EU-Agrarpolitik vorlegte. Demnach sollten die Zahlungen pro Unternehmen auf 300 000 Euro begrenzt und nach Flächengröße gestaffelt werden. Je größer der Betrieb, desto geringer sollten die Zahlungen ausfallen. Hätte sich Ciolos damit durchgesetzt, hätte das die weitere Expansion der neuen Agrarkonzerne „gewiss erheblich gebremst“, urteilt Agrarökonom Forstner. Doch daran hatte Ministerin Aigner kein Interesse. Gemeinsam mit den Briten, wo Landwirtschaft ohnehin fast nur noch im industriellen Maßstab betrieben wird, erreichte Aigner, dass der Brüsseler Ministerrat die obligatorische Kappungsgrenze im Juni verwarf.

Hinter Aigners Verweigerung steht der massive Widerstand der LPG-Nachfolgebetriebe, welche die offiziellen ostdeutschen Bauernverbände kontrollieren. Mit ihren meist weit mehr als 1000 Hektar hätten sie einige Kürzungen hinnehmen müssen. Zugleich wäre der Verkaufswert ihrer Betriebe gesunken, den viele alte DDR-Agrarkader als ihre Altersvorsorge ansehen. Unter dem Druck dieser Lobby stemmten sich daher auch alle fünf ostdeutschen Agrarminister gegen die Kappung und Aigner spielte brav mit. „Größe“ dürfe „nicht diskriminiert werden“, begründet der Brandenburger Bauernverbandschef und SPD-Politiker Udo Folgart diese Position. Folgart ist selbst an einer Agrar GmbH beteiligt, die mehrheitlich einem westdeutschen Investor gehört. Den Umstand, dass der Verzicht auf die Kappung letztlich die Konzernlandwirtschaft fördere und nun seine eigene Klientel in Bedrängnis bringt, nimmt Folgart billigend in Kauf. Dafür gebe es eben „keine Lösung“, sagt er.

Noch ist die Kappung allerdings nicht endgültig gescheitert. Immerhin hat sich das EU-Parlament mehrheitlich dafür ausgesprochen und pocht auf sein Recht, über die Agrarpolitik gleichberechtigt mitzuentscheiden. CDU-Reformer von Marwitz hat gleichwohl nur wenig Hoffnung, dass der Vormarsch der Konzerne und Bodenspekulanten noch aufzuhalten ist. „Ich bin desillusioniert“, gibt er nach seiner Niederlage gegen Aigner zu.

Das sieht Marlies Kalies ganz anders. Zwar gebe es nicht so viele Familienbetriebe wie den ihren, der oppositionelle Bauernbund hat nur rund 1000 Mitglieder. Aber, so verspricht sie, „wir sind besser als die. Wir kämpfen wie die Löwen“.

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