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Biden, lass uns in die USA! Viele Migranten hoffen auf eine liberalere Einwanderungspolitik unter dem neuen Präsidenten.

© dpa

Lager für unbegleitete Kinder: Nun ist es Bidens Notstand an der Grenze

Wie unter Trump werden Tausende Minderjährige aus Lateinamerika unter inhumanen Bedingungen in Zelten festgehalten. Unter Biden hat sich ihre Zahl vervielfacht.

Der Präsident hat gewechselt. Der offizielle Umgang mit migrierenden Kindern an der Südgrenze der USA ebenfalls. Doch parallel dazu hat sich der humanitäre Notstand in den Lagern für unbegleitete Minderjährige verschärft.

Tausende Kinder aus Lateinamerika leben unter schwer erträglichen Bedingungen in US-Lagern für illegale Migranten nahe der Grenze zu Mexiko. Sie schlafen auf Gymnastikmatten statt in Betten, dürfen ihre Zelte tagelang nicht verlassen und können nur alle paar Tage duschen.

Das berichten US-Medien unter Berufung auf Anwälte, die auf Anordnung von Gerichten mit den Minderjährigen sprachen. Parteifreunde wie der moderate Demokrat Henry Cuellar, dessen Wahlkreis in Texas an Mexiko grenzt, werfen dem neuen Präsidenten Joe Biden vor, er liefere Ex-Präsident Donald Trump und den Republikanern Munition, wenn er nicht rasch eine Lösung finde.

Tausend Minderjährige in einem Lager für 250

„Die Lage ist ernst, die Kinder sind Opfer eine Krise“, sagt Anwältin Leecia Welch über ein Lager am Rio Grande in Donna, Texas, das für 250 Kinder gebaut wurde, jetzt aber 1000 in provisorischen Zelten beherbergt.

Ihre Kollegin Neha Desai betont, die Bedingungen hätten sich gegenüber der Amtszeit Donald Trump verbessert. Aber es sei „unakzeptabel, dass Kinder tagelang in überbelegten Räumen“ eingesperrt sind und nicht nach draußen dürfen.

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Der amtierende Chef des Grenzschutzes, Troy Miller, widerspricht. Alle Insassen grenznaher Aufnahmelager bekämen regelmäßige Mahlzeiten, medizinische Betreuung und alle 48 Stunden die Gelegenheit zum Duschen.

Seine Behörde sagt allerdings, es gebe Verzögerungen beim Weitertransport aus den Erstaufnahmelagern in Langzeit-Unterkünfte, der regulär nach spätestens 72 Stunden erfolgen solle. Dies liege an der hohen Zahl der Neuankömmlinge, den begrenzten Plätzen in den Dauerunterkünften sowie den Coronaauflagen, die die Belegung zusätzlich einschränken.  

Drei Mal mehr unbegleitete Kinder als ein Jahr zuvor

Die USA erleben eine Vervielfachung der Ankünfte unbegleiteter Minderjähriger im Vergleich zum Vorjahr. 9400 Kleinkinder und Jugendliche kamen allein im Februar ohne Eltern, drei Mal so viele wie im Februar 2020.

Ihr Alter reicht von einem Jahr bis zu Teenagern. Meist werden sie vom Grenzschutz mit einem Zettel in der Hand aufgefunden, auf dem Adressen oder Telefonnummern von Verwandten oder Bekannten in den USA stehen.

Zelte als Notunterkünfte von Migranten, hier auf der mexikanischen Seite der Grenze. Doch inzwischen auch in den Lagern für aufgegriffene Kinder des US-Grenzschutzes.
Zelte als Notunterkünfte von Migranten, hier auf der mexikanischen Seite der Grenze. Doch inzwischen auch in den Lagern für aufgegriffene Kinder des US-Grenzschutzes.

© dpa

Hat diese Dynamik auch damit zu tun, dass Joe Biden eine liberalere Migrationspolitik versprochen hat? Er wolle Ankömmlinge, die vor Armut und Gewalt in Lateinamerika fliehen, menschlicher behandeln. Die Rückschiebung Minderjähriger nach Mexiko lehnt er ab.

Empörung über Trump und seine Frau Melania

Donald Trump war 2018 und 2019 wegen der humanitären Krise an der Grenze hart kritisiert worden. Er habe Kinder von ihren Eltern getrennt, sie unnötig lang inhaftiert und unbegleitete Minderjährige in den Lagern schlecht behandelt, weil er angeblich einen Abschreckungseffekt erzielen wollte. Und er habe versucht, illegale Migranten und Minderjährige direkt nach Mexiko abzuschieben, statt eine geordnete Rückkehr an ihre Heimatorte zu organisieren. Gerichte setzten dieser Strategie Grenzen.

Zusätzliche Empörung löste 2018 der Besuch der First Lady Melania Trump in einem Heim für Migrantenkinder aus, mit dem sie, wie Mitarbeiter betonten, ihre Solidarität mit den Minderjährigen ausdrücken wollte. Sie lehne es ab, Kinder von ihren Eltern zu trennen. Auf der Reise trug sie jedoch eine Jacke eines spanischen Mode-Labels mit der Aufschrift  „I really don't care - Do u?“ („Es ist mir wirklich egal - und Euch?“)

Haben Bidens Ankündigungen den Ansturm verstärkt?

Im Frühjahr 2021 kommen zwei Dynamiken zusammen: der gewohnte jahreszeitliche Anstieg der Migrantenzahlen und ein „Biden-Effekt“ nach seiner Ankündigung einer neuen Politik gegenüber dem Migrationsdruck.

In den fünf Monaten seit dem 1. Oktober hat der Grenzschutz 396.000 Migranten aufgegriffen, doppelt so viele wie im selben Zeitraum ein Jahr zuvor. Zum Großteil handelt es sich um männliche Erwachsene ohne Familienmitglieder; sie werden rasch nach Mexiko zurückgebracht.

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Doch 29.700 Menschen, die in den fünf Herbst- und Wintermonaten in Gewahrsam genommen wurden, sind unbegleitete Minderjährige – 17.100 war es ein Jahr zuvor. Und die will Biden nicht abschieben. Im März ist ihre durchschnittliche Zahl pro Tag auf 400 gestiegen, in etwa eine Verdoppelung gegenüber den früheren Monaten.

Neue Unterkünfte im Convention Center und auf NASA-Gelände

Nun wächst die Sorge, dass der Rekord vom Mai 2019, als der Grenzschutz 11.000 Minderjährige in einem Monat aufgriff, demnächst übertroffen wird.

Die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU) verlangt von Heimatschutz-Minister Alejandro Mayorkas, er müsse die Zahl der festgehaltenen Migranten in grenznahen Lagern begrenzen, ein humanes Asylsystem einführen und den Grenzschutz für inhumane Behandlungen zur Verantwortung ziehen. „Kinder dürfen dort nicht so lange eingesperrt sein.“

Weiter Weg vom Versprechen zur Verwirklichung

Das Ministerium plant nun, minderjährige Migranten in Mehrzweckhallen wie dem Convention Center in Dallas, Texas, oder auf einem Gelände der Raumfahrtorganisation NASA, Moffett Federal Airfield in Mountain View, Kalifornien, unterzubringen.

Die US-Gesellschaft und ihre neue Regierung bekommen eindringlich vor Augen geführt: Es liegen Welten zwischen der Ankündigung einer neuen Politik und ihrer Umsetzung in die Realität. Und bereits die Ankündigung kann unbeabsichtigte Folgen haben, die die Herausforderung noch vergrößern.

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