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Israel muss stark sein - das war Ben Gurions Ziel. Netanjahu teilt diese Überzeugung.

© Baz Ratner/Reuters

Länger im Amt als Ben Gurion: „Netanjahu beschäftigt sich in erster Linie mit seiner eigenen Karriere“

Was verbindet Israels Staatsgründer Ben Gurion mit Premier Benjamin Netanjahu – und was unterscheidet sie? Ein Gespräch mit dem Historiker Tom Segev.

Herr Segev, wenn Israels Staatsgründer David Ben Gurion noch lebte, wie würde er Benjamin Netanjahu als Israels am längsten regierenden Ministerpräsidenten gratulieren?
Oh, diese Was-wäre-wenn-Frage kann ich kaum beantworten. Was ich aber sagen kann: Netanjahu ist eine Art Nachfolger Ben Gurions. Und das gleich in mehreren Punkten.

Welche sind das?

Zum Beispiel verbindet beide die Überzeugung, dass es im historischen Interesse des Zionismus ist, so viel Land wie möglich zu besitzen – und dort sollten dann möglichst wenig Araber leben. Nach der Staatsgründung 1948 hatte Ben Gurion mehrfach die Gelegenheit, weitere Gebiete zu besetzen. Aber er hat dies nicht getan.

Warum nicht?

Weil die dortige Bevölkerung zu groß war. Bei Netanjahu ist das ähnlich. Mehrfach haben Minister ihn gedrängt, den Gazastreifen zu erobern. Doch bisher will der Premier nichts davon wissen. Es gibt seiner Ansicht nach im Küstenstreifen zu viele Araber. Das macht derartige Pläne zunichte. Der Aufwand wäre zu groß. Und noch etwas haben die beiden gemeinsam.

Und das wäre?

Die Auffassung, dass es mit den Palästinensern keinen Frieden geben kann. Ben Gurion hat das schon 1919 so formuliert: Es besteht eine Kluft zwischen Juden und Arabern in Palästina. Und diese Kluft kann nicht überwunden werden. Und zwar, weil es sich um einen nationalen Konflikt handelt. Denn die Palästinenser werden nicht auf eine eigene Staatlichkeit verzichten – ebenso wenig wie die Juden auf Israel. Deshalb ist der Konflikt nicht zu lösen, man kann ihn nur managen.

Das ist Netanjahus Devise, oder?

Ben Gurion ist der Erfinder dieser Formel. Und Netanjahu verfährt genau nach diesem Prinzip. Die jüdischen Siedlungen sind übrigens ebenfalls ein nationales zionistisches Projekt. Das begann mit den Kibbuzim schon in den 30er und 40er Jahren, wurde nach dem Sechstagekrieg 1967 fortgesetzt und hält bis heute an.

Historischer Tag. Am 15 Mai verkündet David Ben Gurion die Gründung Israels.
Historischer Tag. Am 15 Mai verkündet David Ben Gurion die Gründung Israels.

© Reuters

Was verbindet Ben Gurion und Netanjahu noch?

Dass Israel stark sein muss. So stark, dass die Araber nicht auf die Idee kommen, den jüdischen Staat zerstören zu können. Frieden ist dieser Doktrin zufolge nicht möglich. Aber der Konflikt lässt sich zumindest managen.

Und was unterscheidet die beiden israelischen Politiker?

Ben Gurion war sehr populär und ist es bis heute. Während ich meine Biografie über ihn schrieb, sind vier weitere erschienen. Sogar im Kino lief ein Film über ihn. Es vergeht in Israel kaum ein Tag, an dem er nicht erwähnt wird.

Wie erklärt sich diese Aufmerksamkeit?

Es ist die Sehnsucht nach einer Persönlichkeit mit Integrität und einer Vision. Beides kann man über Netanjahu beim besten Willen nicht behaupten. Ben Gurion war weniger Politiker denn Staatsmann. Netanjahu beschäftigt sich in erster Linie mit seiner eigenen Karriere. Momentan ist er sehr darauf bedacht, nicht wegen Korruption vor Gericht erscheinen zu müssen. Und Ben Gurion war im Grunde bescheiden. Er hatte nur eine Leidenschaft: Bücher. Er kaufte Tausende, manchmal mit Geld aus der Staatskasse. Netanjahu, ein wohlhabender Mann, hat eine Vorliebe für teure Zigarren, Champagner und Luxushotels.

Tom Segev gehört zu den bekanntesten Historikern Israels. Im vergangenen Jahr ist von ihm "David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis" erschienen (Siedler Verlag).
Tom Segev gehört zu den bekanntesten Historikern Israels. Im vergangenen Jahr ist von ihm "David Ben Gurion. Ein Staat um jeden Preis" erschienen (Siedler Verlag).

© picture-alliance /APA

Wie wird später einmal über Netanjahus Amtszeit geurteilt werden?

Auf jeden Fall hat er es geschafft, die wirtschaftliche Situation des Landes deutlich zu verbessern. Noch nie ging es in Israels Geschichte so vielen Menschen so gut wie heute. Das ist sicherlich sein Verdienst. Und er hat den Menschen erfolgreich den Eindruck vermittelt, dass das Palästinenserproblem unter Kontrolle ist. Es gibt – von Gaza abgesehen – kaum noch Terrorismus. Das ist ein wesentlicher Grund für die Bürger, ihn zu wählen.

Hinzu kommt: Netanjahu hat einen guten Draht zu den Mächtigen dieser Welt. Das konnte bisher kein Ministerpräsident für sich in Anspruch nehmen. Zugleich zeigt Netanjahu aber auch, wie zerbrechlich Israels Demokratie ist. Hass und Rassismus scheinen legitim geworden zu sein. Insbesondere seine rechtsgerichteten Minister setzen auf diese Karte und vergiften damit das gesellschaftliche Klima - was nicht zuletzt die Palästinenser zu spüren bekommen.

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