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Elias Feinzilberg im Gespräch mit Frank-Walter Steinmeier und Elke Büdenbender in Jerusalem.

© Georg Ismar

KZ-Überlebender zu Steinmeier: „Dass wir hier leben, ist unsere Rache an den Nazis“

Elias Feinzilberg hat Auschwitz überlebt. Am Mittwoch traf er Bundespräsident Steinmeier in Jerusalem – und erzählte von seinem größten Triumph.

Frank-Walter Steinmeier und seine Frau wollen schon gehen, da spricht Elias Feinzilberg sie noch einmal an. Er hat mehrere Konzentrationslager überlebt, darunter Auschwitz – aus Anlass des 75. Jahrestags der Befreiung des deutschen Vernichtungslagers im besetzten Polen ist der Bundespräsident derzeit in Jerusalem.

Es ist der Auftakt einer so noch nie dagewesenen Gedenkwoche. 102 Jahre ist Feinzilberg alt, er spricht ganz leise, Steinmeier und Elke Büdenbender beugen sich herunter, hören ihm genau zu. Zu Beginn eines historischen Israel-Besuchs ist das Präsidentenpaar in Jerusalem im AMCHA-Zentrum, das traumatisierten Holocaust-Überlebenden Hilfe bietet.

Bald sind auch die letzten Zeitzeugen gestorben. Hier sitzen im Stuhlkreis noch 25 von ihnen. Einer von ihnen ist Feinzilberg. Er hält ein paar Kopien seiner unglaublichen Lebensgeschichte in der Hand. In Lodz geboren, landete Feinzilberg 1943 in Auschwitz und hatte viel Glück.

Er wurde zur Zwangsarbeit in Kohleminen 30 Kilometer entfernt abkommandiert, die Briten bombardierten die Mine und Feinzilberg wurden mit hunderten anderen Juden auf einen Marsch geschickt, es gab maximal zwei Kartoffeln am Tag. Am Ende landete er in Dachau, und wurde von den Amerikanern im Mai 1945 befreit. Später lebte er 22 Jahre in Guatemala, weil er dort einen Onkel hatte, bevor er 1969 in Jerusalem seine Heimat fand.

Viel Kraft und eine gute Gesundheit, wünscht ihm der sichtlich berührte Steinmeier immer wieder. Feinzilberg hat heute 21 Enkel und 7 Urenkel. „Das ist unsere Rache an den Nazis, dass wir jetzt schon vier Generationen hier leben“, hat er zuvor in der Gesprächsrunde der Überlebenden mit Steinmeier und Büdenbender gesagt.

Am Zaun sagte ihr Vater: „Morgen gehe ich ins Gas“

Lange konnten sie alle nicht über ihre Pein, den Verlust so vieler Familienmitglieder in den Gaskammern der Nationalsozialisten sprechen – das änderte sich für viele mit den Nachfragen der Enkel. Giselle Cycowicz (92) berichtet, wie ihr Vater 1944 in Auschwitz von ihr getrennt wurde und durch den Stacheldrahtzaun zu ihr sagte: „Morgen gehe ich ins Gas.“

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hört Giselle Cycowicz, Psychologin und Holocaust-Überlebende, im Amcha-Zentrum Jerusalem zu.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hört Giselle Cycowicz, Psychologin und Holocaust-Überlebende, im Amcha-Zentrum Jerusalem zu.

© Bernd von Jutrczenka/dpa

In der Nacht vor Steinmeiers Besuch habe sie nochmal die ganze Shoa durchlebt, berichtet sie. Sie erzählt heute der jüngeren Generation von ihren Erfahrungen, auch sie überlebte Auschwitz, wurde schließlich am 8. Mai 1945 im Nebenlager Mährisch-Weißwasser befreit. Sie arbeitet für AMCHA (hebräisch: Dein Volk), die Zahl der Therapiestunden für Holocaust-Opfer ist von 114.920 Stunden (2009) auf 245.489 (2019) gestiegen – gerade im Alter, wenn die Einsamkeit und Depressionen zunehmen, wächst der Therapiebedarf, betont Lukas Welz, Vorsitzender von AMCHA Deutschland.

Wie können junge Leute ohne Zeitzeugen immunisiert werden?

Steinmeier spricht von einer großen Ehre für ihn und seine Frau, hier mit den Holocaust-Opfern über „ihr Leben und ihr Überleben reden zu dürfen“. Es ist stickig am diesem Mittwoch im achten Stock des Jerusalemer Bürogebäudes, alle lauschen gebannt den Erzählungen – es geht vor allem auch um das Leben nach der Befreiung. Steinmeier treibt es um, wie der jungen Generation künftig dieses schlimmste Kapitel deutscher Geschichte auch ohne Zeitzeugen so eindrücklich vermittelt werden kann, dass sie immun ist gegen eine Rückkehr des Antisemitismus.

Der deutsche Präsident betont im Gespräch mit den rund 25 KZ-Überlebenden: „Wir wissen um unsere Verantwortung. Das ist eine Verantwortung, die keinen Schlussstrich kennt.“ Für ihn ist es bereits der 22. oder 23. Israelbesuch als Politiker, so genau weiß er es selbst nicht. Aber es ist sein wichtigster: Erstmals darf ein deutscher Bundespräsident in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem eine Rede halten, am Donnerstag beim 5. World Holocaust Forum zum 75-jährigen Gedenken an die Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. Staatsgäste aus rund 50 Ländern werden erwartet, Jerusalem gleicht einer Hochsicherheitszone – es ist das größte politische Ereignis in der Geschichte Israels.

Steinmeier nennt Israels Staatspräsidenten Rivlin einen „Freund“

Der Bundespräsident traf in Jerusalem als erstes kurz Israels Staatspräsident Reuven Rivlin, den er als „Freund“ bezeichnet. Steinmeier schrieb ins Gästebuch: „Mit Dankbarkeit und Demut ergreife ich die Hand, die meinem Land und mir mit der Einladung zum World Holocaust Forum als Zeichen der Versöhnung gereicht wird.“

Erwartet werden in Jerusalem auch die Präsidenten Frankreichs und Russlands, Emmanuel Macron und Wladimir Putin, US-Vizepräsident Mike Pence und der britische Thronfolger. Der Titel des World Holocaust Forums lautet: „An den Holocaust erinnern, Antisemitismus bekämpfen“.

Gemeinsam in Auschwitz und im Bundestag

Steinmeier und Rivlin werden drei bedeutende Akzente setzen: Nach der Veranstaltung in Yad Vashem werden sie am Montag auch am Gedenken in Auschwitz teilnehmen und von dort aus gemeinsam in einer Maschine der deutschen Flugbereitschaft nach Berlin fliegen. Am Mittwoch wollen sie beide im Bundestag sprechen – mit Spannung wird erwartet, wie beide sich in Richtung der größten Oppositionspartei, der AfD, äußern werden. Steinmeier hat gerade nach dem Anschlag von Halle klare Worte in Richtung der Rechtspopulisten gefunden und jede Form von Hetze und Antisemitismus scharf verurteilt.

Das nationalsozialistische Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gilt weltweit als Symbol für den Holocaust, bei dem die Nazis und ihre Helfer bis zu sechs Millionen Juden ermordeten. Nach Schätzungen wurden allein in Auschwitz mehr als eine Million Menschen umgebracht, zumeist Juden.

Als Soldaten der Roten Armee das Lager am 27. Januar 1945 erreichten, fanden sie dort noch etwa 7000 überlebende Häftlinge. Nur noch wenige KZ-Überlebende leben heute – künftig werden junge Menschen ihre Berichte nur noch auf Videos sehen. Der 75.Jahrestag der Auschwitz-Befreiung ist einer der letzten großen mit den Zeitzeugen – sie kämpfen vehement dagegen, dass Geschichte vergessen wird und sich so wiederholen kann.

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